2013-01-03 12:53:15

„Religionen können unglaublich viel tun für den Frieden“


RealAudioMP3 Frieden zu stiften zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen: Das ist seit langem ein Anliegen der katholischen Soziallehre. Es geht hierbei nicht nur um Friedensbildung zwischen verschiedenen Gemeinschaften und Ländern im Kriegsfall, sondern auch - so die Ansicht der katholischen Kirche - wenn die Waffen endlich schweigen. Dann müssen die sozialen Beziehungen zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern und den einzelnen Gemeinschaften wieder aufgebaut werden und Opfer von Gewalt wieder mit einer Langzeitperspektive versorgt werden.

Maryann Cusimano Love ist Dozentin für Internationale Beziehungen an der Catholic University of America in Washington und Beraterin des US-Außenministeriums sowie der US-Bischofskonferenz. Sie ist eine der führenden Experten der katholischen Kirche für Friedensbildung und Mitglied der Arbeitsgruppe des State Departement für Religion und Außenpolitik. Eine der Fragen, die sich ihr in ihrer täglichen Arbeit stellen, ist die, wie Christen, Juden und Muslime wirklich zum Weltfrieden beitragen können - und auf welche Weise sie realistisch betrachtet für dieses Ziel zusammenarbeiten können:

„Es ist zunächst einmal wichtig, sich klar zu machen, dass wir in einer Zeit leben, in der alle Staaten rund um den Globus von vielen Problemen herausgefordert werden, angefangen beim Terrorismus über ethnische Konflikte bis hin zu Bürgerkriegen. Daneben lebt die Religion auf der ganzen Welt wieder auf.

Wir fragen also danach, was für praktikable Ansätze Religionen haben, um Frieden zu stiften. Religionen können eine sehr wichtige Ressource für Friedensbildung sein. Ich weiß, dass das Gegenteil der Fall zu sein scheint, vor allem seit dem 11. September. Seitdem gilt oftmals die Meinung, Religion wäre eher Schuld an den Schwierigkeiten und würde den Krieg überhaupt erst verursachen, während andere sogar meinen, Religion wäre einfach unwichtig. Stalin beispielsweise fragte während des Zweiten Weltkrieges: Wie viele Divisionen hat denn der Papst? Dahinter steht die Einstellung: Wenn du keine Waffen hast, kannst du in einem Krieg keine große Rolle spielen – doch ich denke, dabei wird der unglaublich große Einfluss übersehen, den religiöse Organisationen ausüben können. Beispielsweise über die Bildung, im Gesundheitswesen, bei der humanitären Nothilfe. Bei dieser Arbeit bauen die Organisationen Beziehungen mit den Menschen vor Ort und in Krisengebieten auf. Und wenn es dann zu einem Krieg kommt und die Regierungen nicht mehr in der Lage sind, als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, mit wem kann man denn dann sprechen? Jemand, der Beziehungen zu den Menschen hat und vielleicht in der Lage ist, Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen, der sicherlich in der Lage ist, den Vertriebenen, Binnenflüchtlingen und Opfern der Konflikte Hilfe zu gewähren und der eine reiche Kenntnis der tatsächlichen Lage vor Ort hat. Deshalb denke ich erstens, dass religiöse Gruppierungen sehr hilfreich dabei sein können und es auch sind, Friedensaufbau auf dem Globus zu leisten.

Wieviele Divisionen hat der Papst?

Zweitens muss man bedenken, wie verschiedene Traditionen dabei zusammen arbeiten können. Und dieser Punkt wird immer wichtiger, denn es passiert momentan nicht nur, dass Religion überall wieder auflebt und die Staaten vor großen Herausforderungen stehen, sondern die neue Globalisierung mischt alle Menschen untereinander. Das heißt, dass Orte, die in der Vergangenheit nicht mit verschiedenen Glaubensgemeinschaften auf ihren Territorium konfrontiert waren, es nun sind. So stehen wir vor der Tatsache, dass wir stärker zusammen arbeiten müssen, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Es gab in dieser Hinsicht wirklich gute Errungenschaften. Erzbischof Ledesma von den Philippinen beispielsweise arbeitet nun seit etwa dreißig Jahren am Dialog zwischen Bischöfen und muslimischen Ulemas im Süden der Philippinen, wo der Konflikt seit Jahren besteht. Die Bischöfe und die Imame haben zusammen gearbeitet, um Beziehungen zu bilden und Vertrauen über die Religionsgrenzen hinweg aufzubauen – und sie haben dort Frieden geschaffen.“

Papst Benedikt XVI. ist es ein großes Anliegen, die Neuevangelisierung voranzutreiben; die Ausrufung des Jahres des Glaubens, aber auch die große Bischofssynode vom vergangenen Oktober sind Versuche, Leitlinien auf diesem Weg anzubieten. Dennoch, der Versuch einer neuen Evangelisierung könnte in bestimmten Fällen auch zu Konversionen führen, was wiederum in einigen Ländern (insbesondere islamischer Prägung) große Konflikte mit den religiösen und staatlichen Autoritäten hervorrufen könnte.

„Die Evangelisierung kann viele Gesichter annehmen. Für die Friedensstifter rund um den Globus steht als wichtigste Form die Tat selbst für sich. Die Menschen werden durch unsere Liebe erfahren, dass wir Christen sind. So beispielsweise Caritas Internationalis, eine der größten humanitären Einrichtungen der katholischen Kirche: Sie dient dem Nächsten, um ihm in seiner Notlage zu helfen, nicht um ihn zu bekehren. In vielen Fällen ist es auch nicht erlaubt, Bibeln weiter zu geben oder die Taufe zu spenden, aber oft sind die Menschen, nachdem sie die Arbeit und Nächstenliebe der Kirche erlebt haben, unglaublich bewegt durch dieses Zeugnis Christi in der Welt. So kommt es, dass sie von selbst fragen, kann ich mehr über deinen Glauben erfahren, was ist es, das dich dazu bringt, mir zu dienen, obwohl ich nicht Teil deines Stammes, deiner Ethnie, deiner Religion bin? Du kümmerst dich mehr um mich als Menschen, die vielleicht sogar einige dieser Merkmale mit mir gemeinsam haben.

Caritas, Konversion - eine Bedrohung für den Frieden?

Ja, Sie haben Recht, diese Organisationen könnten zunächst einmal als Bedrohung wahrgenommen werden. Doch ich denke, wenn wir unsere Taten sprechen lassen, dann kann uns das weit auf dem Weg bringen, guten Willen zu erzeugen. Eine Tatsache, die sehr interessant ist, ist dass die Kirche oft in Gegenden, wo sie in der Minderheit ist, über ihre Diözese und das ganze Land verteilt Workshops anbietet, die von Menschen jeder Glaubensrichtung besucht werden können. Beispielsweise Kurse zu Menschenrechten, zu bürgerlichen Beteiligungsmöglichkeiten, zu den durch die Verfassung garantierten Rechten und wie man friedlich Konflikte lösen kann. Das heißt, sie kennen die katholische Soziallehre und die Kirche bietet diese Kurse nicht auf Basis der Religionszugehörigkeit oder ethnischer Herkunft an, sondern sie sind für alle offen. Das ist sehr interessant, wie die Kirche auch in Orten, wo sie stark in der Minderheit ist, als Sauerteig für die gesamte Gesellschaft fungieren kann.“

Die Arbeit der Kirche vor Ort und die Netzwerke, die sie zu bilden vermag, können jedoch nicht Konflikte wie den seit Jahrzehnten schwelenden und immer wieder ausbrechenden Nahostkonflikt verhindern. Aber wer ist verantwortlich dafür? Ist es die internationale Gemeinschaft, die moralisch gesehen verantwortlich dafür ist, was im Nahen Osten passiert? Ist es also ihre Aufgabe, den Frieden zwischen größeren und kleineren Gemeinschaften zu stiften?

Wer kontrolliert in Syrien eigentlich die Truppen?

„Die Verantwortung für den Schutz der anderen ist eine wichtige Norm im Statut der Vereinten Nationen und im Völkerrecht, und es ist sicherlich ein Punkt, den die katholische Kirche entschieden verfolgt. Aber die Verantwortungsnorm besagt nicht, ab welchem Punkt es obligatorisch wird, Waffen einzusetzen, um Zivilisten zu schützen, die von einem Regime umgebracht werden. Und das ist sicherlich der schwierigste Teil daran. Die Verantwortung zu schützen besagt, dass wir alle Verantwortung tragen, und der Großteil der Verantwortlichkeiten sind nicht militärischer Natur. Jeder Weg, den man beschreiten kann, um militärische Konflikte zu verhindern oder zu stoppen, wenn sie aufkommen, ist auszuloten. Militärische Intervention ist das absolut letzte Level in diesem System. Aber an welchem Punkt wird es zur Pflicht, die Zivilisten militärisch zu schützen, wenn ihre Regierungen sie töten? Und das ist die Entscheidung, vor der die internationale Gemeinschaft klarerweise in diesem Moment bei der Frage Syrien steht, und in Libyen stand. Jeder hofft natürlich, dass es nicht zu einer militärischen Intervention kommen muss.

Was Syrien betrifft, weiß man immer noch nicht, wer die Truppen eigentlich kontrolliert. Hat der Präsident noch die Macht über die Truppen, oder handeln sie in Eigenregie? Es sind also noch eine Menge Fragen offen. Aber das ist genau der Punkt, an dem die Kirche helfen kann, Institutionen aufzubauen und die Normen einzuführen, die den Menschen ins Zentrum der Überlegungen rücken. Während die typische Antwort der Staaten ist, dass man zunächst den Staat schützen muss, spielen die Kirche, oder die Kirchen, eine sehr wichtige Rolle und sagen, nein, wir müssen zunächst das Wohl der Menschen im Blick haben und die Sicherheit der Menschen ist wichtiger als die Sicherheit der Staaten. Und das ist der Punkt, an dem die Stimme der Kirche ins Spiel kommt, um den Wert des menschlichen Lebens zu unterstreichen.“

Weltfrieden – das ist ein hehres Ziel, das eigentlich zu hoch gegriffen scheint für den Einzelnen. Doch ist das wirklich so? Oder können sogar die einzelnen Familien ihren Beitrag zum Weltfrieden leisten?

„Nun, eines der Dinge, die ich angesprochen habe, ist die Erziehung. Erziehen wir unsere Kinder zum Frieden? Helfen wir unserer Familie, unseren Kindern dabei, unsere Berufung zum Friedensstifter zu schätzen? Das ist nicht Aufgabe der Staatsregierungen oder von Soldaten und Diplomaten, sondern das ist eine Aufgabe für jeden von uns, Frieden in unseren Familien zu schaffen, in unserer Gemeinschaft, aber auch unter den religiös und ethnisch verschiedenen Gemeinschaften. Wir müssen mit Vertrauen vor die Haustür gehen. Denn wir sind Anhänger des Friedenskönigs. Das ist, was er uns mitgegeben hat, das ist die Mission, die er uns anvertraut hat, das ist die Mission, für die unsere Kirche uns aussendet. Deshalb tun wir nicht etwas Unnormales, sondern wir tun etwas, das an der Basis unserer christlichen Tradition liegt. Wir müssen unsere Familien dazu in die Lage versetzen und dazu ermutigen, einerseits was die Konfliktlösung innerhalb der Familie betrifft, genauso wie außerhalb der Familie.“

(rv 03.01.2013 cs)







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