Das vatikanische Jahr
2012 war vor allem von drei Dingen geprägt: dem Ausbruch und der Aufklärung des sogenannten
Vatileaksskandals; den viel beachteten Reisen von Papst Benedikt nach Mexiko und Kuba
sowie inmitten der Syrienkrise in den Libanon; und schließlich von der Eröffnung des
Jahres des Glaubens, mit dem Papst Benedikt die Katechese und die Anbetung Gottes
wieder in den Mittelpunkt des Glaubensgeschehens rücken will. Weitere Höhepunkte des
Jahres, vor allem aus deutschsprachiger Sicht, waren die Schaffung zweier neuer deutscher
Kardinäle im Februar, die Heiligsprechung und Erhebung der Hildegard von Bingen zur
Kirchenlehrerin sowie die Besetzung eines der wichtigsten Kurienämter, nämlich des
Präfekten der Glaubenskongregation, mit dem ehemaligen Regensburger Bischof Gerhard
Ludwig Müller. Dem Papst persönlich wichtig war aber vor allem ein weiteres Ereignis,
wie er bei seiner traditionellen Weihnachtsansprache an die römische Kurie betonte:
der Welttag der Familien in Mailand nämlich.
Wie gewohnt hat der Papst am
1. Januar 2012 eine Botschaft zum Weltfriedenstag verkündet. Die jungen Menschen
standen dabei im Mittelpunkt: Sie sollten lernen, Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen.
Damit hatte sich der Papst auch auf den so genannten Arabischen Frühling bezogen,
der von der Kirche wohlwollend betrachtet wurde und vor allem von Jugendlichen getragen
ist. Verkrustete Regime in der Arabischen Welt waren von der Welle der Jugend- und
Frauenbewegungen weggefegt worden. Papst Benedikt hatte gesagt, er bete für ihre Anliegen,
und er rufe die „Verantwortlichen der Nationen“ dazu auf, „den nicht zu unterdrückenden
Wunsch der Menschheit nach Frieden“ zu erfüllen.
Anfang Februar nahmen Bischöfe
aus der ganzen Welt in Rom an einem lange vorbereiteten Kongress zu sexuellem Missbrauch
in der Kirche teil. Der Kongress bettete sich ein in eine Reihe von Initiativen, die
die katholische Kirche in den vergangen Monaten angeregt hat, um die Prävention von
Missbrauch und den Opferschutz zu stärken. Im Februar spricht Vatikan-Sprecher Pater
Federico Lombardi außerdem angesichts der Enthüllungen von vertraulichen Vatikan-Dokumenten
erstmals von „Vatileaks"; dieses Thema sollte sich durch das gesamte Jahr ziehen
und schließlich in der Festnahme und Verurteilung des allseits bekannten Kammerdieners
des Papstes gipfeln. Paolo Gabriele ist von Papst Benedikt jedoch kurz vor Weihnachten
2012 schließlich begnadigt worden.
In einem großen Konsistorium am 18. Februar
sind 22 neue Kardinäle kreiert worden, unter ihnen 2 Deutsche und 7 Italiener.
Die beiden neuen Deutschen im Kardinalskollegium sind der Erzbischof von Berlin, Rainer
Maria Woelki, und Karl Josef Becker, ein anerkannter Theologe und Dogmatiker, der
aufgrund seines Alters von 83 Jahren allerdings keine Wahlberechtigung in einem eventuellen
Konklave hätte. Den neuen Kardinälen wurde traditionsgemäß eine eigene Titelkirche
in Rom zugewiesen. Bei den beiden neuen deutschen Kardinälen sind dies die römischen
Kirchen „San Giovanni Maria Vianney“ für Rainer Maria Woelki und „San Giuliano Martire“
für Karl Josef Becker. Die Zuweisung einer römischen Titelkirche oder Titeldiakonie
erinnert an die alte Praxis, nach der die Päpste früher vom Klerus der Stadt Rom gewählt
wurden. Die Bindung der Kardinäle an ihre römischen Kirchen beschränkt sich in der
Regel jedoch auf gelegentliche Gottesdienste, die der Titelherr mit der Gemeinde feiert.
Im März unternahm der Papst schließlich seine viel beachtete Reise nach
Mexiko und Kuba. Die Reise war als Pilgerfahrt anlässlich der 200-Jahrfeier der
Unabhängigkeit Mexikos und anderer lateinamerikanischer Länder konzipiert worden,
sowie als Teil der 400-Jahrfeier des Gnadenbildes der Jungfrau von El Cobre, Schutzpatronin
Kubas. Am 23. März ging es los. So erinnerte sich Papst Benedikt selbst in der Weihnachtsansprache
an die Kurie an seine Reise: „Es waren unvergessliche Begegnungen mit der tief
im Herzen der Menschen verwurzelten Kraft des Glaubens und mit der Freude am Leben,
die aus dem Glauben kommt. Ich denke daran, wie nach der Ankunft in Mexiko auf dem
langen Weg, der zu durchfahren war, endlose Scharen von Menschen grüßten und winkten.
Ich denke daran, wie auf der Fahrt nach Guanajuato, der malerischen Hauptstadt des
gleichnamigen Staates, junge Menschen ehrfürchtig an der Seite der Straße knieten,
um den Segen des Petrusnachfolgers zu empfangen; wie der große Gottesdienst in der
Nähe der Christkönigs-Statue zu einer Vergegenwärtigung von Christi Königtum wurde
– seines Friedens, seiner Gerechtigkeit, seiner Wahrheit. Dies alles geschah auf dem
Hintergrund der Probleme eines Landes, das unter vielfältigen Formen der Gewalt und
unter den Nöten wirtschaftlicher Abhängigkeit leidet. Es sind Probleme, die gewiss
nicht einfach durch Frömmigkeit gelöst werden können, aber erst recht nicht ohne jene
innere Reinigung der Herzen, die aus der Kraft des Glaubens, aus der Begegnung mit
Jesus Christus kommt. Und da war das Erlebnis Kuba – auch hier die großen Gottesdienste,
in deren Singen, Beten und Schweigen die Gegenwart dessen spürbar wurde, dem man den
Platz im Land lange hatte verweigern wollen. Die Suche nach einem rechten Ansatz für
das Verhältnis von Bindung und Freiheit in diesem Land kann gewiss nicht gelingen
ohne einen Anhalt an jene Maßstäbe, die der Menschheit in der Begegnung mit dem Gott
Jesu Christi aufgegangen sind.“ Die kubanische Regierung hat schließlich auf
Bitten des Papstes den kurz darauf folgenden Karfreitag zum Feiertag ernannt.
Über
die Osterfeiertage machten vor allem Papst Benedikts Mahnung an die Unterzeichner
der österreichischen Pfarrerinitiative am Gründonnerstag sowie sein eindringlicher
Appell für Frieden in Syrien von sich reden. Doch leider wissen wir, dass die dortige
Situation auch am Ende des Jahres immer noch von Gewalt und zunehmenden Flüchtlingsströmen
geprägt ist.
Am 30. Mai beginnt das große Weltfamilientreffen in Mailand,
bei dem auch Papst Benedikt selbst anwesend ist und zum wiederholten Mal auf die immense
Bedeutung der intakten Familie für die Sozialisation des Einzelnen – auch im Hinblick
auf den Glauben - hinweist. In seinen Worten an die Kurie wird auch die Sorge Benedikts
XVI. um diese Institution deutlich:
„Die große Freude, mit der in Mailand
Familien aus aller Welt einander begegnet sind, zeigt, dass die Familie trotz aller
gegenteiligen Eindrücke auch heute stark und lebendig ist. Aber unbestreitbar ist
doch auch die Krise, die sie - besonders in der westlichen Welt – bis auf den Grund
bedroht.“
Ansonsten verliefen die Monate Juni, Juli und August im Vatikan
relativ ruhig. Es gab allerdings eine wichtige Personalie – nämlich die Ernennung
des Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller zum Leiter der Glaubenskongregation
und zum Erzbischof. Außerdem bestand der Vatikan Mitte Juli (18.) den ersten offiziellen
Finanztransparenz-Test, dem er sich unterzogen hatte, und erfüllt laut einem Experten-Gutachten
von Moneyval neun von 16 zentralen internationalen Standards zur Vorbeugung von Geldwäsche.
Das Gutachten ist einzuordnen ist in eine Reihe von Aktivitäten, die der Heilige Stuhl
zur Förderung der Kontrolle und Transparenz in seinen Finanzangelegenheiten insbesondere
im vergangenen Jahr unternommen hat.
Im September schließlich fand die Reise
in den Libanon statt. Lange war es nicht klar, ob diese Visite aus Sicherheitsgründen
nicht doch lieber abgesagt werden würde, doch Papst Benedikt war es ein großes Anliegen,
den Christen im Nahen Osten durch seine Anwesenheit Mut zuzusprechen und das Postsynodale
Schreiben der Bischofssynode für den Nahen Osten, die 2010 im Vatikan stattgefunden
hatte, zu überreichen. Papst Benedikt:
„Als weitere Haltepunkte des vergangenen
Jahres möchte ich nennen: das große Fest der Familie in Mailand sowie den Besuch im
Libanon mit der Übergabe des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens, das nun im Leben
der Kirchen und der Gesellschaft des Nahen Ostens Wegweisung werden soll auf den schwierigen
Wegen der Einheit und des Friedens.“
Benedikt XVI. verurteilte während
seiner Reise auch den internationalen Waffenhandel als „schwere Sünde“ und forderte
mehr Religionsfreiheit für Christen im Nahen Osten. Gleichzeitig ermutigte er diese,
die Heimat nicht zu verlassen und für den Frieden in ihren Heimatländern einzutreten.
Der Oktober ist aus Vatikansicht insgesamt einer der ereignisreichsten Monate
des vergangenen Jahres. Zu Beginn einer Bischofssynode erhebt Benedikt XVI.
Hildegard von Bingen und Juan de Avila zu Kirchenlehrern. Bis zum 28. Oktober berieten
im Vatikan 400 Synodale, darunter 262 Kardinäle, Patriarchen und Bischöfe sowie 140
Experten, Beobachter und Gäste über Strategien zur Neuevangelisierung. Die zahlenmäßig
größte Synode der Neuzeit steht unter dem Leitwort: „Die neue Evangelisierung für
die Weitergabe des christlichen Glaubens“ und fällt mit der Eröffnung des Jahres des
Glaubens am 11. Oktober, genau 50 Jahre nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen
Konzils, zusammen. Bereits im Januar hatte der Vatikan das so genannte Instrumentum
Laboris oder die Leitlinien zum weltweiten „Jahr des Glaubens“ veröffentlicht: „Das
letzte wichtige Ereignis dieses abgelaufenen Jahres war dann die Synode über die Neuevangelisierung,
die zugleich ein gemeinsamer Beginn für das Glaubensjahr gewesen ist, mit dem wir
der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren gedenken, um es in der veränderten
Situation neu zu verstehen und neu anzueignen. Mit all diesen Anlässen sind grundlegende
Themen unseres geschichtlichen Augenblicks angesprochen: Familie (Mailand) – Dienst
am Frieden in der Welt und Dialog der Religionen (Libanon) sowie die Verkündigung
der Botschaft Jesu Christi in unserer Zeit an jene, die ihm noch nicht begegnet sind
und an die vielen, die ihn nur von außen kennen und so gerade nicht er-kennen.“ Im
Zusammenhang mit der Bischofssynode gab es am 21. Oktober noch eine Premiere: Papst
Benedikt hat in einer feierlichen Messe sechs neue Heilige erhoben, darunter mit Kateri
Tekakwitha erstmals eine Indianerin. Am 27.10. beendete die im Vatikan tagende Weltbischofssynode
zum Thema Neuevangelisierung schließlich ihre Arbeiten mit dem Beschluss eines 20-seitigen
Thesenpapiers und darin aufgeführten 58 Empfehlungen.
Ende November erschien
dann der lange erwartete letzte Band der Trilogie "Jesus von Nazareth" von
Benedikt XVI./Joseph Ratzinger – bereits wenige Tage nach seinem Erscheinen hat sich
herauskristallisiert, dass auch der dritte Band über die Kindheit Jesu wie die Vorgängerbücher
ein Verkaufsschlager werden wird. In einem erneuten Konsistorium am 24. November werden
sechs neue Kardinäle kreiert - erstmals seit Jahrzehnten sind keine Europäer unter
ihnen.
Der vatikanische Dezember brachte ein weiteres Novum: am 4. Dezember
setzte Papst Benedikt XVI. unter dem Twitternamen @pontifex und weiteren sieben
Twitter-Adressen elektronische Kurzbotschaften ab. Nach anfänglicher Skepsis der Medien
über den „zwitschernden Papst“ geben ihm die Zahlen allerdings Recht: Bereits nach
einer guten Woche Twitterpräsenz hatte der Papst rund 1 Millionen Follower, mittlerweile
sind es weit über 2 Millionen, die die wöchentlichen Papstbotschaften erhalten und
weiter verbreiten. Außerdem von Belang für die vatikanischen Angelegenheiten: Der
Privatsekretär des Papstes Georg Gänswein wird Erzbischof und Leiter des Päpstlichen
Haushalts (Casa Pontificia), der unter anderem für die Organisation der Papstreisen
in Italien und der Generalaudienzen eine wichtige Rolle spielt. Das Amt des Privatsekretärs
wird er auch weiterhin wahrnehmen.
Zum Abschluss unseres vatikanischen Jahres
noch ein paar Zahlen: die Besucher bei der wöchentlichen Generalaudienz am Mittwoch
haben im Vergleich zum Vorjahr in diesem Jahr 2012 um rund 10 Prozent zugenommen,
wie aus den Statistiken eben jenes Päpstlichen Haushaltes hervorgeht. Bei 43 Generalaudienzen
auf dem Petersplatz, in der Audienzhalle und in Castel Gandolfo haben insgesamt etwa
447.000 Personen teilgenommen. Den größten Zulauf hatten die Audienzen im Monat Oktober
– also zur Zeit der Bischofssynode, der Heiligsprechungen und der Eröffnung des Jahres
des Glaubens – mit 90.000 Besuchern, während im Monat August, in dem der Papst zur
Sommerfrische in Castel Gandolfo weilte, am wenigsten Besucher kamen – etwa 10.500
Menschen.