Afghanistan: „Frieden bringt Fortschritt, das beginnt die Bevölkerung zu verstehen“
Am zweiten Weihnachtsfeiertag
hat sich in Ostafghanistan ein Selbstmordattentäter der Taliban vor einem US-Militärstützpunkt
in die Luft gesprengt, er riss drei Menschen mit in den Tod, mindestens sieben wurden
verletzt. Tödliche Anschläge und Fanatismus haben seit Anfang des Monats eine blutige
Spur durch das Land am Hindukusch gezogen: In der Provinz Laghman, ebenfalls im Osten
unweit der pakistanischen Grenze, kamen gewaltsam ein Polizeichef, ein Soldat der
internationalen Schutztruppe Isaf und eine Frauenbeauftragte ums Leben, deren Vorgängerin
auch erschossen worden war.
Gewalt, Armut und Korruption sowie eine unklare
Perspektive für die Zukunft – wie kann Fortschritt für Afghanistan angesichts dieser
Probleme überhaupt aussehen? Darüber hat Radio Vatikan mit Pater Giuseppe Moretti
gesprochen, er ist Leiter der einzigen katholischen Kirche des Landes, die in der
italienischen Botschaft in Kabul untergebracht ist. Er deutet an, dass es Besserung
für das Land geben kann – und zwar durch einen inneren Willen nach Frieden, nämlich
den Ruf der Zivilbevölkerung nach Sicherheit und Stabilität. Dieser Ruf wird seiner
Beobachtung nach lauter.
„Es gibt Zeichen eines Neuanfangs, wenn sie auch
ganz klein sind. Irgendwas muss die Anwesenheit des Westen ja in diesen nunmehr elf
Jahren auch gebracht haben. Was man wahrnehmen kann ist der Wille zum Frieden. Mit
Frieden kommt Fortschritt – nicht im Sinne von Konsum, sondern in Form von mehr Schulen,
mehr Krankenhäusern, mehr sozialen Diensten, mehr Arbeit, mehr Ruhe, mehr Würde, mehr
Respekt vor den Menschenrechten, vor allem denen der Frauen und Kinder. Wir richten
unsere Gebete darauf, dass es hier keine Check-Points mehr geben wird, keinen Stacheldraht,
dass es mehr Zutrauen und Ruhe gibt.“
Christen sind in Afghanistan eine
verschwindende Größe; ihre religiöse Praxis ist auf den privaten Raum begrenzt, jede
Form von Mission läuft Gefahr, geahndet zu werden. Die soziale Arbeit zum Beispiel
der Jesuiten oder von Menschenrechtsaktivisten wird dagegen halbwegs akzeptiert. Der
Wunsch nach Aufbau, Frieden und Sicherheit muss in der afghanischen Gesellschaft selbst
fruchten und wachsen – das ist auch Pater Moretti klar. Doch wäre das Land überhaupt
in der Lage, auf eigenen Füßen zu stehen? Dem Abzug der internationalen Schutztruppen
sähe die Bevölkerung jedenfalls mit gemischten Gefühlen entgegen, so Moretti:
„Einerseits
empfinden die Menschen das als Befreiung – die Anwesenheit bewaffneter ausländischer
Truppen wird in jedem Land nicht allzu gern gesehen. Andererseits herrscht Sorge,
was die soziale Lage angeht: Wie viele junge Leute und wie viele Familienväter haben
heute nicht eine Anstellung in den internationalen Truppen und arbeiten mit ihnen
zusammen? Das sind hunderte, wirklich hunderte. In einem Land mit so hoher Arbeitslosigkeit
wie in Afghanistan wird der Abzug die Arbeitslosenzahlen zusätzlich in die Höhe treiben.“
Die Arbeitslosigkeit begünstige illegale Geschäfte wie den Drogenanbau
und Drogenhandel. Von irgendetwas müssten die Menschen leben.
„Wenn die
Leute keine Arbeit haben, versuchen sie in jeder möglichen Weise, Geld in die Kasse
zu kriegen – sei es nun auf legale oder illegale Weise. Das sind die wirklich großen
Probleme, die es zu bewältigen gilt: soziale Sicherheit und das tägliche Brot zu garantieren.“
Die
ausländischen Kampftruppen in Afghanistan sollen bis Ende 2014 abgezogen sein.