Adventsbetrachtung von Bischof Gmür: Gott kennt unser Ziel
Der Bischof von Basel,
Felix Gmür, hält die Adventsbetrachtung 2012 bei Radio Vatikan. In seinem vierten
und letzten Beitrag geht der Basler Bischof darauf ein, dass Gott in Jesus Christus
unüberbietbar nahe zu uns komme. Gott stehe uns in den Herausforderungen des Alltags
bei, „wenn wir vielleicht einmal stocken, nicht genau wissen, wohin unser Leben uns
führen wird“. Gott kenne das Ziel. (rv)
Lesen und hören Sie hier die gesamte
Meditation von Felix Gmür, Bischof von Basel
Der adventliche Mensch
weiß sich mit allen Fasern seiner Existenz vor Gott. Er lebt vollkommen in der Gewissheit
der Gegenwart Gottes. Und gerade deshalb hat er keine Angst. Er glaubt. Er vertraut.
Er schaut hoffnungsvoll in die Zukunft. Und er richtet sein Leben auf Erfüllung aus.
Gott wird es erfüllen. Denn Gott ist bereits in meinem Leben angekommen, und er kommt
stets neu. Deshalb kann der adventliche Christ sein Leben ganz in Gottes Hand übergeben
und zuversichtlich in die Zukunft schreiten. Im Alten Testament gibt es dazu eine
Erzählung. Abraham schaut vertrauensvoll in die Zukunft. Wir hören aus dem 12. Kapitel
des Buches Genesis:
„Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von
deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.
Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen.
Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den
will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.
Da zog Abram weg, wie der Herr ihm gesagt hatte, und mit ihm ging auch Lot. Abram
war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran fortzog. Abram nahm seine Frau Sarai
mit, seinen Neffen Lot und alle ihre Habe, die sie erworben hatten, und die Knechte
und Mägde, die sie in Haran gewonnen hatten. Sie wanderten nach Kanaan aus und kamen
dort an.“ (Gen 12,1-5)
Die Geschichte über Abrams Berufung ist gleichzeitig
ein Bericht über sein Gottesvertrauen und seinen Lebensmut. Abrams Heimat könnten
die Gebirge Nordsyriens gewesen sein. Da beginnt die Reise. Wohin? Das scheint zunächst
unwichtig; Gott nennt kein Ziel. Er ruft Abram einfach aus seinem Leben heraus und
fordert ihn auf wegzuziehen. Er legt ihm keinen Köder vor; er sagt nicht: „Geh fort
ins Schlaraffenland, wo alles besser ist, das Ziel wird die Mühsal lohnen“. Nein,
er sagt: „Geh, die Richtung werde ich dir dann schon zeigen“. Zunächst ist der Weg
selbst entscheidend, die Tatsache, überhaupt die Energie aufzubringen um loszuziehen,
den Mut aufzubringen, sich Fremdem auszusetzen, sich wirklich auf die Wanderschaft
zu machen und fortzugehen.
In gewisser Weise ist bei Abrams Berufung der Weg
selbst das Ziel. Das bedeutet erst einmal, dass wir noch nicht am Ziel sind. Auch
wir Christinnen und Christen sind noch auf dem Weg. Gott hat uns geschaffen, damit
wir hier auf Erden leben und in diesem Leben dem Ziel entgegengehen. Die christliche
Existenz, unser Lebensweg ist letztlich eine Wallfahrt auf Gott hin. Gott hat uns
in jeweilige Lebenssituationen hinein, ja mutet uns manches zu. Aber er lässt uns
nicht allein, sondern begleitet uns, genauso wie Abram, mit seinem Segen. Gottes Segen
dürfen wir uns besonders in der Adventszeit vergewissern. Gott steht uns bei in den
Herausforderungen des Alltags, wenn wir vielleicht einmal stocken, nicht genau wissen,
wohin unser Leben uns führen wird. Gott kennt das Ziel. Deshalb ist die Adventszeit
eine große Einübung in den Glauben. Glaube bedeutet hier Hingabe an Gott: Wir geben
uns der Fügung Gottes hin, wir vertrauen vollkommen darauf, dass er uns den richtigen
Weg weist und zum Ziel führt.
Abram ist in absolutem Gottvertrauen ausgezogen,
in das Land, das Gott ihm zeigte. Und Abram ging nicht allein. Er nahm seine Frau
Sarai, seinen Neffen Lot und die Knechte und Mägde mit. Gemeinschaft mit Gott setzt
sich in der Gemeinschaft mit den Menschen fort. Mit seinen Nächsten teilt Abram den
Glauben, das Vertrauen und den Segen Gottes. Der Advent erweist sich so auch als eine
Einübung ins Leben der Gemeinschaft, eine Einübung ins Leben der Kirche. Denn mit
unseren Mitchristen teilen wir den Glauben, das Vertrauen, den Segen Gottes.
Abrams
Vertrauen wurde nicht enttäuscht. Ausdrücklich heißt es deshalb: „Und sie kamen dort
an“. Gott will, dass wir ans Ziel kommen. Deshalb spricht er Abram überhaupt an. Gott
kommt zu uns. Das ist das Wunder des Advents: Gott kommt. Das ist ja das absolut Neue
und Umwerfende in der Heilsgeschichte: Gott interessiert sich für den Menschen, für
sein Suchen und Gehen, für seine Wege, für sein Leben. Er zeigt an Abram, was er für
alle Menschen sein will: ein Segen. So verbindet sich Gott mit uns Menschen. Gott
offenbart nicht etwas von sich, sondern offenbart sich der Menschheit selbst und geht
mit ihr eine innige Verbindung ein. Deshalb ist ihm nichts Menschliches fremd. Höhepunkt
dieser Selbstmitteilung Gottes ist die Menschwerdung seines Sohnes. Gott verbindet
sich existentiell mit uns Menschen und wird in Jesus Christus „in allem uns gleich,
außer der Sünde“, wie das Konzil von Chalkedon definiert und wie wir im vierten Hochgebet
beten. Gott kommt in Jesus Christus unüberbietbar nahe zu uns; und wir machen uns
im Advent auf den Weg und gehen ihm entgegen. Wenn das kein Segen ist!