Papstansprache an die Kurie: „Offen und angstfrei in jeden Dialog eintreten“
Vom Glauben gehalten
können Christen „offen und angstfrei in jeden Dialog eintreten.“ So lässt sich der
Grundton der Weihnachtsansprache des Papstes für die vatikanische Kurie zusammenfassen.
Der Papst gab einen Überblick über die Ereignisse des zu Ende gehenden Jahres und
damit über die großen Themen: Die Familie, wie sie beim Familientreffen in Mailand
aber auch bei der Bischofssynode immer wieder Thema war, der Dienst zum Frieden in
der Welt und der Dialog der Religionen, und drittens die Frage der erneuerten Verkündigung.
Erstes
Schwerpunktthema des Papstes war die Familie, die er als stark und lebendig, aber
auch „bis auf den Grund bedroht“ charakterisierte. In all den Diskussionen um die
Familie werde vor allem eines deutlich:
„Dass es bei der Frage nach der
Familie nicht nur um eine bestimmte Sozialform geht, sondern um die Frage nach dem
Menschen selbst – um die Frage, was der Mensch ist und wie man es macht, auf rechte
Weise ein Mensch zu sein.“
Familie: Grundlegende Erfahrung des Menschseins
Als
erstes Problem benannte der Papst die Frage der Bindungsfähigkeit des Menschen: Lebenslanges
sich Binden werde als der Freiheit und dem menschlichen Wesen widersprechend wahrgenommen,
so als verhindere es Selbstverwirklichung.
„Die Absage an die menschliche
Bindung, die sich von einem falschen Verständnis der Freiheit und der Selbstverwirklichung
her wie in der Flucht vor der Geduld des Leidens immer mehr ausbreitet, bedeutet,
dass der Mensch in sich bleibt und sein Ich letztlich für sich selbst behält, es nicht
wirklich überschreitet. Aber nur im Geben seiner Selbst kommt der Mensch zu sich selbst,
und nur indem er sich dem anderen, den anderen, den Kindern, der Familie öffnet, nur
indem er im Leiden sich selbst verändern lässt, entdeckt er die Weite des Menschseins.
Mit der Absage an diese Bindung verschwinden auch die Grundfiguren menschlicher Existenz:
Vater, Mutter, Kind; es fallen wesentliche Weisen der Erfahrung des Menschseins weg.“
Als
zweite Dimension dieses Themas neben der Bindungslosigkeit entwickelte der Papst seine
Gedanken zur Gender-Theorie. Diese besage, dass sich das Geschlecht in der Gesellschaft
ergebe, zu Mann und Frau werde man erst gemacht.
„Das Geschlecht ist nach
dieser Philosophie nicht mehr eine Vorgabe der Natur, die der Mensch annehmen und
persönlich mit Sinn erfüllen muss, sondern es ist eine soziale Rolle, über die man
selbst entscheidet, während bisher die Gesellschaft darüber entschieden habe. Die
tiefe Unwahrheit dieser Theorie und der in ihr liegenden anthropologischen Revolution
ist offenkundig. Der Mensch bestreitet, dass er eine von seiner Leibhaftigkeit vorgegebene
Natur hat, die für das Wesen Mensch kennzeichnend ist.“
Das sei schlicht
ein Leugnen der Natur, so der Papst. Diese Vorstellung des Menschen leugne, dass ihm
etwas vorgegeben sei, dass es die menschliche Natur sei, die von Gott gewollt sei.
„Es
gilt nicht mehr, was im Schöpfungsbericht steht: „Als Mann und Frau schuf ER sie“
(Gen 1, 27). Nein, nun gilt, nicht ER schuf sie als Mann und Frau; die Gesellschaft
hat es bisher getan, und nun entscheiden wir selbst darüber. Mann und Frau als Schöpfungswirklichkeiten,
als Natur des Menschen gibt es nicht mehr. Der Mensch bestreitet seine Natur. Er ist
nur noch Geist und Wille. Die Manipulation der Natur, die wir heute für unsere Umwelt
beklagen, wird hier zum Grundentscheid des Menschen im Umgang mit sich selber. Es
gibt nur noch den abstrakten Menschen, der sich dann so etwas wie seine Natur selber
wählt.“
Gott habe den Menschen aber als sich ergänzend, als Mann und Frau,
geschaffen. Wer diese Dualität bestreite, bestreite auch die Wirklichkeit von Familie,
auch das Kind verliere damit „seinen Ort und seine Würde.“
„Wo die Freiheit
des Machens zur Freiheit des Sich-selbst-Machens wird, wird notwendigerweise der Schöpfer
selbst geleugnet und damit am Ende auch der Mensch als göttliche Schöpfung, als Ebenbild
Gottes im Eigentlichen seines Seins entwürdigt. Im Kampf um die Familie geht es um
den Menschen selbst. Und es wird sichtbar, dass dort, wo Gott geleugnet wird, auch
die Würde des Menschen sich auflöst. Wer Gott verteidigt, verteidigt den Menschen.“
Ruhig
aufs offene Meer der Wahrheit hinausfahren
Das zweite große Thema Benedikts
XVI. war der Dialog, er habe bei allen großen Ereignissen, von Assisi 2011 über Mexiko
und Kuba bis zur Synode immer wieder eine Rolle gespielt. Der Papst nannte drei Felder
für den Dialog, auf denen sich die Kirche „im Ringen um den Menschen und sein Menschsein“
einbringen müsse: Den Dialog mit den Staaten, den Dialog mit der Gesellschaft und
der Kultur und Wissenschaft, und drittens den Dialog mit den Religionen. Was die Kirche
anzubieten habe, sei keine Sonderwelt, die die anderen Menschen nichts anginge, so
Benedikt XVI.. So sei zum Beispiel der Dialog der Religionen eine „notwendige Bedingung
für den Frieden in der Welt“ und darum eine „Pflicht für die Christen wie für andere
Religionsgemeinschaften“. In diesem Dialog ginge es zuerst immer um die konkreten
Probleme des Miteinanders. Aber bereits dafür müsse man lernen, den anderen „in seinem
Anderssein und Andersdenken anzunehmen“. Der nächste Schritt sei dann das ethische
Ringen um die Wertungen und bereits hier kämen dann die einzelnen Überzeugungen zum
Tragen, aber das müsse nicht unbedingt sofort ein Gegeneinander bedeuten:
„So
kann dieses Mühen auch gemeinsame Schritte auf die eine Wahrheit hin bedeuten, ohne
dass die Grundentscheide geändert werden. Wenn beide Seiten von einer Hermeneutik
der Gerechtigkeit und des Friedens ausgehen, so wird die Grunddifferenz nicht verschwinden,
aber es wächst doch auch eine tiefere Nähe zueinander.“
Benedikt XVI. unterstreicht
dieses Wachsen einer tieferen Nähe dadurch, dass er im Folgenden die Grundannahme
fast jeden interreligiösen Dialoges hinterfragt, nämlich die Aussage, dass der Dialog
nicht auf Bekehrung ausgerichtet sein dürfe und immer die Identitäten gewahrt blieben.
Diese Regeln seien richtig, aber zu vordergründig formuliert.
„Die Suche
nach Erkennen und Verstehen will doch immer auch Annäherung an die Wahrheit sein.
Beide Seiten sind so im stückweisen Zugehen auf Wahrheit, auf dem Weg nach vorn und
zu größerer Gemeinsamkeit, die von der Einheit der Wahrheit gestiftet wird. Was das
Festhalten an der eigenen Identität betrifft: Es wäre zu wenig, wenn der Christ mit
seinem Identitätsentscheid sozusagen vom Willen her den Weg zur Wahrheit abbrechen
würde. Dann wird sein Christsein etwas Willkürliches, bloß Positives. Er rechnet dann
offenbar gar nicht damit, dass man es in der Religion mit Wahrheit zu tun bekommt.
Demgegenüber würde ich sagen, der Christ habe das große Grundvertrauen, ja, die große
Grundgewißheit, dass er ruhig ins offene Meer der Wahrheit hinausfahren könne, ohne
um seine Identität als Christ fürchten zu müssen.“
Für den Papst bedeutet
das, dass Christen „offen und angstfrei in jeden Dialog“ eintreten könnten, wüssten
sie sich doch von ihrem eigenen Glauben getragen. Christus „habe uns an die Hand genommen“,
das mache frei.
Neuevangelisierung
Abschließend ging Papst
Benedikt XVI. noch auf die Frage nach einer erneuerten Verkündigung ein: Die Evangeliums-Erzählung
der Berufung der ersten Jünger nach Johannes auslegend betonte er, dass Verkündigung
dort wirksam wird, wo hörende Bereitschaft der Menschen da sei.
„Dann wird
die Begegnung mit der Verkündigung zur heiligen Neugier, Jesus näher kennenzulernen.
Dieses Mitgehen führt dorthin, wo Jesus wohnt, in die Gemeinschaft der Kirche, die
sein Leib ist. „Kommt und seht!“ Dieses Wort, das Jesus zu den beiden suchenden Jüngern
sagt, sagt er auch zu den suchenden Menschen von heute. Am Ende des Jahres wollen
wir den Herrn darum bitten, dass die Kirche trotz all ihrer Armseligkeiten immer mehr
als seine Wohnstatt erkennbar wird. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen von Herzen
gesegnete Weihnachten und ein glückliches Neues Jahr.“