2012-12-12 14:19:04

Sprechende Archive: Neues Schlaglicht auf Papst Pius XI.


Er war eine „aktive Gestalterpersönlichkeit“, die vom ersten Tag des Pontifikates an aktive Kirchenpolitik betrieb: Papst Pius XI., auf dem Stuhl Petri von 1922 bis 1932. Der Kirchenhistoriker Rupert Klieber stellte vor kurzem auf einer internationalen Tagung über Pius XI. in Wien neue Erkenntnisse zum schwierigen und umstrittenen Pontifikat dieses Papstes am Vorabend des Zweiten Weltkrieges vor. Dank Öffnung der Vatikanarchive zu Pius XI. kommt heute ein differenzierteres und bisweilen überraschendes Bild des damaligen „Pontefice“ zum Vorschein: So haben Detailforschungen etwa neue Erkenntnisse zutage gefördert, die das heikle Verhältnis des Heiligen Stuhls zur Situation in Österreich zur Zeit des Ständestaates (1934-1938) besser verstehen lassen. Ebenso müsse weiter die Einschätzung revidiert werden, Pius XI. habe zwar die Gefahr des Kommunismus, nicht aber jene des Faschismus und Nazismus erkannt, so Klieber, der Leiter des Forschungsnetzwerkes „Pius XI. und Österreich“ ist.


Papst Pius XI. dürfte in Österreichs Stiften und Klöstern gefürchtet gewesen sein: Wo der Papst der Zwischenkriegszeit (1922-1939) das Mönchsleben in Gefahr sah, enthob er im Zuge von Visitationen immer wieder Äbte ihres Amtes, so Rupert Klieber im Interview mit „Kathpress“ über die laufenden Forschungsarbeiten zu Pius XI. Die Orden, die stark in der Wirtschaft, Pfarrseelsorge und im Schulwesen engagiert waren, hätten am Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder Kritik auf sich gezogen. „Zwar sah die Öffentlichkeit diese praktische Ausrichtung als durchaus positiv, doch vermissten viele innerkirchliche Stimmen das klösterliche Leben“, so der Kirchenhistoriker. Anders als bei den jungen Missionsorden habe Pius XI. in die etablierte Landschaft der alten Klöster und Stifte Österreichs teils massiv eingegriffen, um sie auf die kirchliche Linie der Zeit zu bringen.

„Es gab ja dann ernsthafte Versuche, die alten Stifte und Klöster eben wieder mehr auf die monastischen Ideale zu verpflichten, die Stiftsherren wiederum mehr zu Mönchen zu machen, zu Chorherren nach altem Muster.“

Umgesetzt wurde dies in mehreren großen Stiftsbesuchen: Visitatoren aus anderen Orden oder aus dem Weltklerus, die das Vertrauen der römischen Kurie besaßen und mit großen Vollmachten ausgestattet waren, wurden in die Stifte geschickt, um hier nach dem Rechten zu sehen. Eine erste Welle von Visitationen fand am Ende der 1920er-Jahre statt, eine weitere 1938. Die Macht der Visitatoren ging so weit, dass sie Äbte und Prälaten absetzen konnten und dies mehrfach auch taten - Klieber geht von „etwa einem halben Dutzend Fällen“ aus:

„Misswirtschaft konnte ein Grund sein für die Absetzung, aber auch allzu weltlicher Lebensstil. Wenn Prälaten, Äbte mehr auf der Jagd als am Schreibtisch und auf der Kanzel zu finden waren, dann war die Gefahr groß, abgesetzt zu werden.“

Derart markante Eingriffe wie unter Pius XI. habe es in den Klöstern in dieser Strenge seit 300 Jahren nicht mehr gegeben, so Klieber. Nur in den großen Kloster- und Klerusvisitationen nach dem Konzil von Trient (1545-1563) seien aufgrund damaliger Missstände die Eingriffe noch größer gewesen. Von einer Krise der Klöstern konnte in den 1920er- und 1930er-Jahren allerdings keine Rede sein: Die meisten Stifte hätten wirtschaftlich und personell gut dagestanden, keinen Nachwuchsmangel zu beklagen gehabt und hohes Ansehen besessen, so der Experte.
Politisch motivierte Absetzungen gab es in Österreichs Stiften nach bisherigen Ergebnissen nicht, wohl aber eine davon initiierte Visitation 1938 im Stift Seckau. „Als bei der Volksabstimmung nach dem 'Anschluss' einige Laienbrüder sich in Rom beschwerten, der Abt hätte zu großen Druck für eine 'Ja'-Stimme ausgeübt, zog das immerhin eine Visitation nach sich. Zu einer Absetzung kam es nicht - denn das Stift war damals schon schwer in politischer Bedrängnis, war mit vielen Enteignungen konfrontiert und hatte somit andere Sorgen.“ Weitere Detailergebnisse erwartet Klieber von einem derzeit noch laufenden Dissertationsprojekt.

Enzyklika „Mit brennender Sorge“
Unter völlig anderem Licht standen allerdings die Beziehungen von Pius XI. zu den damals jungen Missionsorden. Mehrere in Österreich stationierte Patres der Steyler Missionare - darunter der Ethnologe P. Wilhelm Schmidt - waren etwa in der Entstehung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ maßgeblich involviert. Der Papst habe die Expertise der jungen ethnologischen Forschung gebraucht, „um dem scheinbar wissenschaftlichen Ergebnissen der NS-Rassenlehre fundierte Argumente entgegenzuhalten und somit die Kernthese des Rassismus zu verurteilen“, so Klieber. Die diesbezügliche Korrespondenz konnte dank Öffnung der vatikanischen Archive nun erstmals gesichtet werden.
Pius XI. fiel als ein wichtiger Förderer der Mission das Wirken der jungen Missionsorden, darunter die damals in Deutschland und Österreich besonders florierenden Steyler Missionare, besonders auf. „Für die Organisation der großen Missionsausstellung 1925 griff der Papst auf Pater Wilhelm Schmidt als einen der damals renommiertesten Ethnologen und Sprachwissenschaftler zurück“, berichtete Klieber. Als die Missionsausstellung in das päpstliche „Museo Missionario-Etnologico“ übergeführt wurde, bestellte der Papst den Steyler Priester mit Stammsitz in St. Gabriel bei Mödling zu dessen Leiter. „Pater Schmidt und der Papst sind sich bei diesen Arbeiten auch persönlich nähergekommen. Es hat sich fast so etwas wie eine Freundschaft daraus entwickelt“, erklärte der Kirchenhistoriker.

Fachkompetenz gegen die NS-Rassenlehre
Dieser Kontakt habe den Weg dazu geebnet, dass Papst Pius XI. Schmidt sowie auch andere Steyler Patres in jene Recherchen einbezog, die angesichts der mit der NS-Bewegung aufkeimenden Rassendiskussion notwendig geworden waren.

„Man hat seitens der Kirche sehr versucht, den scheinbar wissenschaftlichen Ergebnissen nationalsozialistischer Forscher, die etwa messbare Unterschiede zwischen Rassen und Abstufungen der Menschlichkeit postulierten, etwas entgegenzuhalten.“

Angesichts dieser Lehren wäre die Kirche ohne fundierte Gegenexpertise „auf verlorenem Posten“ gewesen, so Klieber, weshalb sie die Gegenargumente besonders in den damals jungen ethnologischen Forschungen der Missionare suchte.
Das NS-Regime reagierte prompt und setzte Schlüsselwerke bereits 1934 auf den Index der verbotenen Bücher. Auf katholischer Gegenseite seien unter Beratung der Steyler Missionare mehrere Vorbereitungsarbeiten gelaufen, um die Kernthesen des Rassismus zu verurteilen, so der Wiener Kirchenhistoriker. Pater Schmidt habe mit einigen Passagen und Thesen wesentlich dazu beigesteuert. Klieber:

„Aus der Korrespondenz, die wir nun erstmals in größerem Stil gesichtet haben, fällt auf, dass hier Formulierungen und Kernaussagen der Enzyklika ,Mit brennender Sorge‘ früher auftauchten als bisher bekannt war. Selbst der Name des Papstschreibens dürfte aus dieser Korrespondenz stammen.“
Die Kommunikation zwischen P. Schmidt, seinen Ordenskollegen und dem Vatikan verlief laut Klieber über andere Kanäle und andere Themen als dies beim apostolischen Nuntius der Fall war, der dem Papst „eher über aktuelle politische Ereignisse in und um Österreich berichtete“. Dank des Generalats in Rom seien die Steyler Missionare vor Ort präsent gewesen und hätten keiner Vermittlung bedurft. Während der NS-Zeit sei es dem Papst die brenzlige Lage von Pater Schmidt klar gewesen. „Schmidt gehörte gemeinsam mit Wilhelm Miklas und Kurt Schuschnigg zu jenem Kreis, für deren Schutz der Papst persönlich bei deutschen Stellen interveniert hat. Er wusste aber ohnehin, dass er auf der Abschussliste stand und verbrachte die gesamte NS-Zeit in der Schweiz“, so Klieber.

(kap 12.12.2012 pr)








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