Adventsbetrachtung von Bischof Gmür: Wir brauchen Zeit für Gott
Der Bischof von Basel,
Felix Gmür, hält die Adventsbetrachtung 2012 bei Radio Vatikan. Jeweils in der Samstagabendsendung
hören Sie seine zur diesjährigen Vorweihnachtszeit. In seinem zweiten Beitrag betont
der Basler Bischof, dass wir uns Zeit für die Besinnung nehmen sollten. Denn der Advent
sei nicht nur die Zeit der Innerlichkeit und Umkehr, sondern er sei auch die Zeit
der Vorbereitung. (rv)
Lesen und hören Sie hier die gesamte Meditation
von Felix Gmür, Bischof von Basel
Liebe Hörerin, lieber Hörer
Der
Advent lädt uns zur Besinnung ein. Finde ich in Jesus Christus den Sinn des Lebens?
Glaube ich, dass Jesus Christus Gottessohn ist, dass sich in ihm das Antlitz Gottes
zeigt, die Güte Gottes sichtbar wird? Und richte ich mein Leben darauf aus? Die Adventszeit
führt uns in der Besinnung zu Gott und damit zu uns selbst. Dafür brauchen wir aber
Zeit. Die Konzentration auf das eigene Innenleben geht nicht schnell, und schon gar
nicht automatisch. Wir haben nur die Zeit, die wir uns nehmen. Die dafür nötigen Zeitfenster
müssen wir uns reservieren, sonst wird die Zeit anders ausgefüllt.
Nun merken
wir, dass uns die Adventszeit zwar zur Besinnung einlädt, aber dass wir ja auch vielfältig
eingespannt sind. Denn der Advent ist nicht nur die Zeit der Innerlichkeit und Umkehr,
sondern sie ist auch die Zeit der Vorbereitung. Das Fest von Weihnachten will gut
geplant sind. Wir wollen uns zurüsten. Sicher gehört dazu die innere, die geistliche
Vorbereitung. Doch auch Aspekte, die uns vielleicht äußerlich scheinen, gehören dazu.
Auch wenn wir hoffentlich nicht mit Geschenken übertreiben, das Weihnachtsessen nicht
wichtiger nehmen als die Christmette: Ohne Vorbereitungen geht es nicht.
Hier
scheint ein Konflikt auf. Besinnung braucht Abstand, Alleinsein, Zeit für sich selbst.
Vorbereitung für das gemeinsame Fest spannt uns ein. Wie gehen wir damit um? Auch
Jesus kannte diese Art von Konflikt. Der Evangelist Markus schreibt:
„In
aller Frühe, als es noch dunkel war, stand Jesus auf und ging an einen einsamen Ort,
um zu beten. Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, und als sie ihn fanden, sagten
sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten
Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. Und er zog durch
ganz Galiläa, predigte in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.“ (Mk 1,35-39)
Jesus
ist in Kafarnaum sehr eingespannt. In kurzer Zeit und auf engem Raum lehrt er, vollführt
einen Exorzismus in der Synagoge, richtet danach die Schwiegermutter Simons im Haus
von Simon und Andreas auf, heilt später Kranke an der Tür und bannt schließlich Dämonen.
Jesus ist immer unter Leuten und ständig in Gesellschaft. Nun will er einmal zur Ruhe
kommen. Er will beten. Das will er in dieser Situation alleine tun. Er zieht sich
also zurück. Was in unserer deutschen Bibel harmlos übersetzt wird mit den Worten:
„und ging an einen einsamen Ort“, wird im griechischen Originaltext mit zwei Verben
unterstrichen und betont: „Er ging hinaus und er ging weg an einen einsamen Ort“.
Um zu wahrer Besinnung zu kommen, ist es nötig, sich vom Gewohnten wegzubewegen, vom
Alltag Abstand zu nehmen, sich eine Zeit für sich alleine zu nehmen. Das ist ein adventlicher
Akt. Alleine zu sein, heißt aber nicht, dass Jesus einsam ist. Im Gegenteil: Er betet.
Er stellt sich in die Gegenwart Gottes. In seiner Gegenwart kommt Jesus zur Ruhe.
Uns geht es gleich: Nehmen wir uns Zeit, uns ein Stückweit abzusondern vom ruhelosen
Gang des Alltags, können wir beten und in dieser Besinnung zur Ruhe kommen in Gottes
Gegenwart.
Es ist interessant zu sehen, dass es Jesus ähnlich geht wie uns
in der Adventszeit. Er wird schnell vom Alltag eingeholt, so wie wir allzu oft und
allzu schnell wieder in den Alltag zurückgeworfen werden. Petrus und seine Begleiter
forschen intensiv nach Jesus. Sie laufen ihm eilends nach und behaupten, als sie ihn
finden, dass er von allen gesucht würde. Ob man den Jüngern teilweise selbstsüchtige
Motive unterstellen muss, ist unerheblich. Tatsache ist, dass Jesus aus seiner Einkehr
und seinem Beten herausgerissen wird. Und wie reagiert er? Ärgert er sich? Weist er
die Suchenden zurück? Weit gefehlt! Er nimmt die Jünger mit, geht mit ihnen an andere
Orte und tut dort das, wozu er gekommen ist: Er verkündet die Frohe Botschaft vom
Reich Gottes.
Typisch Jesus! Er geht auf die Jünger ein, nimmt sie an der Hand,
zeigt sich verständnisvoll. Dadurch zeigt er uns, dass die Konzentration auf
sich selber Grenzen hat. Selbstgenügsamkeit ist keine Eigenschaft des christlichen
Glaubens. Vielmehr ist die Unfähigkeit, über sich selbst hinauszublicken, ein Hindernis
für den Glauben. Glaube ist doppelte, ja vielfältige Beziehung; er ist das offene
Tor auf den Anderen hin. Der andere ist der Nächste: Es ist Gott, dem ich mich im
Gebet öffne, es ist der Mensch, der mir begegnet und auf den ich eingehe.
Der
Advent öffnet uns Christinnen und Christen jedes Jahr neu die Tür zu Gott. Er öffnet
jedes Jahr neu die Tür zu den Menschen. Er ist eine Zeit der Ruhe und Besinnung, die
sich nach Innen richtet, und er ist eine Zeit der Begegnung mit dem Nächsten, meinem
Mitmenschen, Geschöpf Gottes wie ich, die sich nach außen richtet. Deshalb ist die
Adventszeit eine spannende Zeit. Wir leben die Spannung von Innen und Außen, von Ruhe
und Hektik, von Dasein und Rückzug. Wir erleben diese Spannung in der Gewissheit,
die uns der Glaube schenkt: Gott ist immer da, Jesus Zeit sich mir in allen Situationen.
Die Adventszeit ist eine gesegnete Zeit!