Caritas International fordert schnelles Handeln in Mali
Nach Informationen
des Bundesnachrichtendienstes (BND) entwickelt sich der westafrikanische Staat Mali
zu einem Sammelbecken für Terroristen. Auch Dschihadisten aus Deutschland und Europa
sollen unterwegs nach Mali sein, schreibt die „Financial Times Deutschland“. Doch
nicht nur diese Nachricht gibt Anlass zur Sorge - Caritas International berichtet
von Menschenrechtsverletzungen und einer verheerenden humanitären Lage - vor allem
im Norden Malis. Die Internationale Gemeinschaft müsse dringend handeln.
Der
Mali-Experte von Caritas International, Hannes Stegemann, war vom 8. bis zum 20. November
in Mali. Er reiste von der Hauptstadt Bamako über Ségou und San bis zur Frontstadt
Mopti. Radio Vatikan hat mit ihm über den Konflikt in Mali gesprochen.
Zuerst
wollten wir wissen, was aktuell das dringendste Problem für die Menschen vor Ort ist:
„Mit
Sicherheit die Besetzung des gesamten Nordens Malis - also knapp über die Hälfte des
gesamten Territoriums - durch islamistische Milizen, durch Tuareg-Rebellen. Die Bevölkerung
empfindet das als das größte aktuelle Problem. Das Klima war etwas bedrückend und
die Leute hoffen, dass das Problem der Besetzung Nordmalis und die Frage eines drohenden
Krieges möglichst schnell gelöst wird und nicht noch Monate weiter verschleppt wird.“
Man hört ja auch immer wieder von Menschenrechtsverletzungen in Mali,
haben Sie davon etwas mitbekommen oder Berichte gehört?
„Berichte darüber
habe ich gehört, aber selber mitbekommen habe ich davon nichts - aus Sicherheitsgründen
konnte ich weder nach Timbuktu, Gao oder Kidal im Norden fahren. Wir haben immer noch
lokale Partnerorganisationen, die in Gao, Timbuktu und Kidal präsent sind. Sie müssen
sehr vorsichtig sein, aber sie informieren uns über das, was im Norden passiert. Die
Menschenrechtslage dort ist erschreckend. Insbesondere Frauen leiden unter der absoluten
Verschleierungspflicht, Zwangsverheiratung...Also die Anwendung der so genannten islamischen
Rechtssprechung, der Scharia in ihrer extremsten Form – wie sie übrigens auch vom
hohen Islamrat in Bamako aufs Schärfste verurteilt wird. Man kann nicht sagen, dass
die Verbrechen, die dort geschehen nun tatsächlich auch im Namen des Islams toleriert
werden.“
Was sollte denn ihrer Meinung nach geschehen, damit sich die
Situation in Mali bessert?
„Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten.
Caritas International als humanitäres Hilfswerk kümmert sich im Land selbst in erster
Linie um die intern Vertriebenen, die aus dem Norden in den Süden gezogen sind, um
sich vor den Übergriffen zu schützen. Das sind insgesamt etwa 200.000 Menschen. Wir
versuchen für die Daheimgebliebenen, in erster Linie in Gao, eine minimale Unterstützung
zu gewähren, insbesondere für Straßenkinder. Da haben wir eine Art tägliche Suppenküche
organisiert. Das sind geringe humanitäre Maßnahmen, die man leisten kann. Auf einem
ganz anderen Blatt steht natürlich die politische Lösung für die Problematik, beziehungsweise
überhaupt eine Lösung. Denn es geht irgendwann auch darum, dass man nicht nur die
massive Verletzung von Menschenrechten anklagt, und bedauert, sondern eben auch diese
Menschenrechte schützt. Wie das genau geschehen kann, darüber debattiert die internationale
Gemeinschaft ja aktuell sehr viel – und ich glaube, das ist auch eine internationale
Aufgabe. Das Land Mali wäre alleine mit dem Problem völlig überfordert.“
In
dem Zusammenhang wird ja auch über einen UNO-Militäreinsatz nachgedacht – was halten
Sie davon?
„Im Augenblick haben wir im gesamten Norden Malis ein Gebiet
von etwa 1000 Kilometer mal 1000 Kilometer Größe, in dem ein totales Vakuum herrscht:
Der malische Staat ist dort nicht mehr präsent, es gibt keine Administration, es gibt
keine Polizei, es gibt keine Armee, es gibt keine Sicherheitsstruktur. Die Hälfte
der Bevölkerung ist weggelaufen. Dieser Zustand kann oder sollte nicht mehr lange
so andauern. Welche Maßnahmen dann zu ergreifen sind, das muss die internationale
Gemeinschaft jetzt möglichst bald beschließen – ob man wirklich einen massiven Militäreinsatz
braucht, kann man auch in Frage stellen. Aber man braucht auf jeden Fall wieder eine
staatliche Präsenz – auch wenn es eine internationale Präsenz ist. Man muss Straftaten
verfolgen können, man muss polizeilichen Schutz gewähren können und das möglichst
schnell.“
Möglichst schnell muss etwas passieren sagen Sie - am 7. Dezember
(diesen Freitag) soll es dazu ein Treffen in Rom mit Romano Prodi geben, dem UNO-Sondergesandten
für die Sahelzone. Was erwarten Sie sich davon?
„Wenn ich mir die jüngsten
Äußerungen von Romano Prodi noch mal durch den Kopf gehen lasse, erwarte ich nicht
sehr viel. Ich fürchte weitere Verzögerungen, die zu Lasten der Bevölkerung im Norden
Malis gehen – und nicht nur zu Lasten der Bevölkerung im Norden Malis, sondern auch
im angrenzenden Niger, die auch sehr beunruhigt sind über die Verzögerungsstrategie
der Vereinten Nationen. Man kann nicht einerseits sagen, es muss ein Militäreinsatz
geplant werden und dann wie Romano Prodi sagen, aber dafür sind wir bestenfalls im
September 2013 bereit. Entweder man braucht keinen Militäreinsatz und findet andere
Möglichkeiten – über Verhandlungen, es gibt ja auch andere Wege – aber wenn man glaubt,
dass die Sicherheitslage und die humanitäre Situation der verbliebenen Bevölkerung
so dramatisch ist, dass schnell ein Polizei- oder Militäreinsatz durchgeführt werden
muss, dann kann man den nicht für September 2013 ankündigen – das ist viel zu spät.“
Was
glauben Sie denn, was passiert, wenn es jetzt noch lange dauert, bis etwas geschieht
– seien es Verhandlungen, sei es ein militärischer Eingriff?
„Wir dürfen
hier nicht vergessen, dass ein Großteil der so genannten El Kaida-Zellen im Norden
Malis algerischer Herkunft sind, Salafisten sind, die in den 90er Jahren in Algerien
schon tätig waren. Nach dem Sturz von Ghaddafi sind etwa 2000 bewaffnete Tuareg aus
Libyen zurück gekommen, um im Januar in Mali ihren unabhängigen Tuareg-Staat auszurufen.
Das heißt, der arabische Frühling, der NATO-Angriff auf Ghaddafi, auf Lybien – all
das hat zur Destabilisierung des Nordens von Mali beigetragen. Insofern ist es eben
ein internationaler Konflikt, der international möglichst zügig gelöst werden muss.“