Kia Vahland:
Michelangelo & Raffael – Rivalen im Rom der Renaissance. C.H. Beck Verlag München,
ca. 22 Euro. Rezensiert von Stefan v. Kempis
Vor genau fünfhundert Jahren
stellte Michelangelo der Öffentlichkeit seine Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle
vor – ein Jubiläum, das Papst Benedikt in diesem November zum Anlass nahm, die Vesper
in der Sixtina zu feiern. Wohl selten ist ein Künstler so intensiv und bildmächtig
ins Gespräch mit den großen Themen der Bibel eingetreten wie Michelangelo. Die Journalistin
und Kunsthistorikerin Kia Vahland führt uns in diese Jahre im Vatikan ein, als die
zwei größten Künstler ihrer Zeit, nämlich Michelangelo und Raffael, gleichzeitig für
den Papst arbeiteten und sich dabei einen erbitterten Wettstreit lieferten. An dem
farbigen Panorama bestechen vor allem die klugen Bilddeutungen: Vahland weist an kleinen
Details nach, wie aufmerksam die beiden Genies sich gegenseitig kopierten und dabei
noch zu übertreffen versuchten. Dabei erwachen Raffaels Gemälde in den Vatikanischen
Stanzen, seine Sixtinische Madonna und Wandteppiche sowie Michelangelos Fresken in
der Sixtina – alles weltberühmte Werke, die man eigentlich zu kennen glaubte – zu
überraschendem Leben.
Mit diesem Buch in der Hand entdeckt man auf einmal,
dass der von Michelangelo an die Decke gemalte Noah, der am Opferaltar steht, tatsächlich
ein „Nachgänger Gottes“ ist: schwächere Kopie des ein paar Meter weiter durch die
Schöpfungsgeschichte wirbelnden Gottes. Man versteht, was Michelangelo beim Malen
alles so gelernt hat: nicht zuviele Menschen in ein Bildfeld zu packen, zum Beispiel.
Man entdeckt plötzlich die Ähnlichkeit zwischen dem Porträt Gottes und dem Auftraggeber,
Papst Julius II. Und man staunt, welche Freiheiten sich der Maler mit der Zeit herausnimmt,
etwa als er den fliegenden Gott von hinten zeigt. Und das sind nur Beispiele, die
sich auf Michelangelos Deckenfresken beziehen, man könnte zu ihm und auch zu Raffael
viele weitere Erkenntnisse auflisten, die einem dieses Buch erlaubt. Es ist ein unglaubliches
Erlebnis, in diese Zeit einzutauchen!
Je mehr man erfährt, desto mehr möchte
man allerdings noch wissen. Warum zum Beispiel sieht die von Michelangelo gemalte
Arche wie ein schwimmender Tempel aus? Was bedeutet es theologisch, dass an der Sixtina-Decke
auf den Sündenfall nicht chronologisch exakt die Sintflut folgt, sondern das Opfer
des Noah? Wie kam es genau zu den guten Beziehungen zwischen Raffael und Bramante,
bzw. zwischen Michelangelo und Sebastiano del Piombo? Manchmal sind die Informationen,
die Vahland uns bietet, doch etwas zu knapp gehalten: Sie erwähnt zum Beispiel, dass
das Fresko des Propheten Sacharja über dem Eingang der Sixtina platziert ist, weil
er eine Tempel-Vision hatte; dazu hätte aber auch der Hinweis gehört, dass Papst Sixtus
die Kapelle nach den alttestamentlichen Massen des Jerusalemer Tempels hatte bauen
lassen. Einmal wird der frühchristliche Osternachtshymnus mit seinem berühmten „Oh
felix culpa“ fälschlich als Werk der Renaissance eingestuft, und bei der Schilderung
von Michelangelos Sixtina-Deckenfresken wäre es vielleicht besser gewesen, nach Genesis-Chronologie
zu erzählen und nicht gegen den Strich, nur weil Michelangelo mit den spätesten Darstellungen
angefangen hat. Auch die Schilderung „Michelangelo malt das Jüngste Gericht“ ist eindeutig
zu knapp ausgefallen.
Aber diese kleineren Kritikpunkte können den überwältigenden
Gesamteindruck nicht beeinträchtigen: Ein umwerfendes, kenntnisreiches Buch, das einem
die Türen zu Michelangelo, Raffael und ihrer Zeit weit aufstößt!