Frieden in Kolumbien „eine nahezu unmögliche Aufgabe“
Der neue Kardinal
aus Kolumbien, Rubén Salazar Gómez, ist nicht sehr optimistisch über die Friedensgespräche
zwischen Regierung und FARC-Rebellen. Der blutige Konflikt, in dem sich seit einem
halben Jahrhundert marxistische Rebellen, Armee und Paramilitärs gegenüberstehen,
sei letztlich nur ein Symptom der vielen ungelösten Probleme in Kolumbien, vor allem
der sozialen Ungleichheit, sagte Salazar Gómez im Gespräch mit Radio Vatikan.
„Kolumbien
ist ein Land, das einen in sozialer Hinsicht sehr ernsten Konflikt durchmacht. Ein
Land, dem das innere Ungleichgewicht praktisch schon von Geburt an mitgegeben worden
ist und wo es – aus einer Vielzahl von Gründen – eine enorme Kluft gibt zwischen Reichen
und Armen, Gebildeten und Analphabeten, zwischen Leuten, die am sozialen Leben teilnehmen
können, und denen, die am Rand stehen. Auch das hat zu dem bewaffneten Konflikt geführt,
der vielleicht der älteste noch anhaltende Konflikt in der Welt ist. Millionen von
Menschen sind ihm in etwa fünfzig Jahren schon zum Opfer gefallen.“
Nirgendwo
in Lateinamerika hat sich die Schere zwischen Arm und Reich so weit geöffnet wie in
Kolumbien. Am letzten Dienstag trafen sich in der kubanischen Hauptstadt Havanna Unterhändler
von Kolumbiens Regierung und FARC-Rebellen zu einer neuen Gesprächsrunde. Die Verhandlungen
scheinen zwar gut voranzugehen, doch stellt die Regierung auch während der Gespräche
ihre Armee-Operationen gegen die FARC keineswegs ein. Die FARC haben einen einseitigen
Waffenstillstand für zwei Monate Dauer erklärt (ihr erster in mehr als zehn Jahren)
und ließen vor ein paar Tagen auch drei entführte Chinesen frei – womit sie ihre Beteuerungen,
sie hätten keine Entführten mehr in ihrer Gewalt, selbst Lügen straften. Mitte Dezember
wollen beide Seiten in Bogotà über eine Landreform sprechen, das wohl dornigste Problem.
„Hoffen
wir auf ein Wunder“ „Jetzt hat es die Regierung endlich geschafft, sich
mit Vertretern zumindest einer der Guerillas an einen Tisch zu setzen; die FARC sind
womöglich die wichtigste Guerilla-Gruppe. Da müssen wir Christen wirklich hartnäckig
darum beten, dass uns der Herr den Frieden schenkt! Die Lage ist ausgesprochen komplex
und schwierig; es scheint eine nahezu unmögliche Aufgabe, zwischen Regierung und Guerilla
zu einer Abmachung zu kommen. Hoffen wir also, dass der Herr ein Wunder wirkt und
die Verhandelnden zu einem Einverständnis bringt, damit endlich der bewaffnete Konflikt
aufhört.“
In seiner ersten Botschaft als Kardinal hat Salazar Gómez zu
mehr Wertschätzung für das menschliche Leben aufgerufen. Ihm scheint das eine der
dringendsten Fragen für sein Land derzeit.
„Das liegt daran, dass sich in
Kolumbien – vielleicht unter dem Eindruck des Konflikts, bei dem soviel Blut vergossen
wurde – eine Mentalität herausgebildet hat, als ob das Leben nichts wert wäre. Dabei
haben wir seit 1991 eine Verfassung, die völlig auf dem Prinzip der Grundrechte jeder
menschlichen Person aufbaut. Tatsächlich wird in Kolumbien viel von den Rechten gesprochen,
die es zum Beispiel für Minderheiten zu sichern gälte; dabei werden aber gleichzeitig
Menschenrechte angegriffen, etwa durch einen Gesetzesvorstoß, der Abtreibung völlig
liberalisieren möchte.“
Der Gesetzesvorstoß stützt sich auf ein Urteil
des Verfassungsgerichts in Bogotà von 2006. Danach wäre Abtreibung straffrei bei Gefahr
für Leben oder Gesundheit der Mutter, bei schwerer Missbildung des Fötus oder nach
einer Vergewaltigung. Ursprünglich galt auch der Erzbischof von Bogotà als Befürworter
einer vorsichtigen Liberalisierung beim Abtreibungsverbot, vor allem nach einem Zeitungsinterview
Mitte November. Doch auf Bitten aus dem Vatikan präzisierte Salazar Gómez seine Haltung:
Er halte Abtreibung für ein „abscheuliches Verbrechen“, und ihre Straffreiheit sei
keineswegs „als ein Recht zu betrachten“. Ähnlich klar ist seine Stellungnahme gegen
einen Gesetzesvorschlag zur Sterbehilfe, über den der Kongress von Bogotà debattiert:
„Christliches
Volk, aber antichristliche Gesellschaft“ „Ein umfassendes und ausgesprochen
gefährliches Euthanasie-Gesetz! Denn es öffnet die Türe dahin, dass praktisch jeder
über das Leben von anderen bestimmen kann, über das Leben von Kranken. Auch gegen
die Familien werden sehr gefährliche Türen geöffnet. Ich würde sagen: Wir erleben
einen Moment, wo das grundlegende, absolute Recht auf Leben aufs Spiel gesetzt wird.
Und darum ist es so wichtig, dass wir in Kolumbien eine neue Mentalität entwickeln,
die das Leben verteidigt und fördert.“
Wie kommt es eigentlich, dass gerade
Kolumbien so stark von Gewalt, inneren Konflikten und Ungleichheit geprägt ist? Das
Land ist doch christlich: 86 Prozent der Bevölkerung gehören zur katholischen Kirche,
die hier schon im frühen 16. Jahrhundert ihre ersten Bistümer gründete. Kardinal Salazar
Gómez erklärt:
„Eines der großen Dramen, die wir in Kolumbien – aber auch
allgemeiner in Lateinamerika überhaupt – haben, ist dass der Glaube fast immer als
eine Privatsache angesehen wird, die im sozialen Leben null Auswirkungen hat. Das
hat es überhaupt möglich gemacht, dass wir eine völlig ungerechte Gesellschaft aufgebaut
haben, eine antichristliche Gesellschaft – obwohl doch das Volk im wesentlichen aus
Christen besteht!“
Rubén Salazar Gómez ist seit vier Jahren Vorsitzender
der Bischofskonferenz von Kolumbien, seit zwei Jahren Erzbischof der Hauptstadt Bogotà
– und seit ein paar Tagen Kardinal.