2012-11-22 11:48:27

Pakistan: Trotz Freispruch für Rimsha Klima der Angst


RealAudioMP3 Wie steht es eigentlich um die Christen in Pakistan? Die junge Christin Rimsha Masih, die wegen Blasphemie angeklagt war, wurde am Dienstag in Islamabad freigesprochen. Ein Imam hatte das geistig behinderte Mädchen beschuldigt, Seiten des Korans verbrannt zu haben. Das ließ sich aber nicht beweisen – im Gegenteil: Der Imam, der sie beschuldigt hatte, ist nun selbst angeklagt – wegen des Verdachts, Beweise gefälscht zu haben. Möglicherweise hat er selbst dem etwa 14-jährigen Mädchen die verbrannten Seiten untergeschoben. Rimsha hätte im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe riskiert. Was das Urteil für die Christen im Land bedeutet und ob sie jetzt aufatmen können.

Paul Bhatti, der einzige christliche Minister in der pakistanischen Regierung, war erfreut über den Freispruch. Er sagte im Gespräch mit Radio Vatikan:

„Das ist eine der schönsten Nachrichten, die ich jemals erhalten habe. Sie hat mir Kraft gegeben und Hoffnung darauf, dass es in diesem Land die Möglichkeit der Gerechtigkeit gibt. Das stärkt auch die Hoffnung darauf, dass die verschiedenen Religionen hier friedlich miteinander zusammen Leben können. Wir haben dazu zwei wichtige Dinge zu sagen: Erstens zeigt sich, dass das Blasphemiegesetz in Pakistan in verschiedenen Fällen für persönliche Racheakte genutzt wird. Zweitens zeigt sich nun: Wer dieses Gesetz missbraucht, kann dafür auch bestraft werden. Auch wenn dadurch das Blasphemiegesetz noch nicht geändert ist, ist das doch eine sehr gute Nachricht.“

Bhatti hofft nun, dass dieser Urteilsspruch ein „positives Bild Pakistans“ an die internationale Gemeinschaft vermittelt. Ulrich Delius verfolgt die Diskussion um die Blasphemievorschriften seit 20 Jahren. Auch er freut sich für Rimsha. Die Lage in Pakistan sieht der Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker aber immer noch kritisch:

„Ich habe so viele Zusagen gehört von Seiten der pakistanischen Regierung endlich diese umstrittenen Bestimmungen abzuschaffen – und bislang ist nichts geschehen. Auch alles, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, deutet in keiner Weise darauf hin, dass man jetzt bereit wäre, diese Bestimmungen abzuschaffen: Es ist eine äußerstkomplexe Situation und es ist vor allen Dingen immer wieder der Druck der Straße, der Druck radikaler Islamisten, der dafür sorgt, dass die Politiker letztlich nicht bereit sind, endlich mal Konsequenzen zu zeigen.“

Und es sind immer noch viele Menschen betroffen. Mindestens 43 Personen finden sich nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker wegen Verstoß gegen die Blasphemievorschriften in Haft. Mindestens 15 Personen drohe wegen Blasphemie eine Verurteilung zum Tode - so wie Asia Bibi. Ihre Lage ist ebenso unklar, wie die eines Muslims, der vor wenigen Tagen zum Tode verurteilt wurde, so Delius. Für Rimsha und alle anderen Betroffenen gehe es aber nicht nur um die Entscheidungen der Justiz:

„Alleine durch die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens sind die Menschen im Prinzip dazu gezwungen sind, ihr ganzes Leben lang unterzutauchen. Wenn sie irgendwo gefunden werden, dann droht ihnen der Lynchmord. Seit dem in Kraft treten dieser umstrittenen Bestimmung im Jahr 1986. ist das schon in mehr als 60 Fällen geschehen. Das alleine sollte eigentlich Grund genug sein, dass man endlich diese Bestimmung abschafft.“

Die junge Rimsha ist auch nach dem Urteil weiter an einem geheimen Ort untergebracht. Asienreferent Delius geht davon aus, dass sie sich in Zukunft nicht mehr in die Öffentlichkeit wagen kann. Doch nicht nur Rimsha ist gefährdet:

„Die Lage der Christen ist äußerst problematisch. Es herrscht ein Klima der Angst. Jenseits der Thematik der Blasphemievorwürfe, die häufig ganz unbegründet sind und einfach aus Nachbarschaftsstreitigkeiten herrühren. Das sind alles nur Auswüchse eines generellen Klimas der Missachtung und der Ausgrenzung. Es gibt immer wieder Übergriffe auf kirchliche Gemeinden und Einrichtungen: Selbstmordanschläge, Entführungen von christlichen Kindern, Zwangsheiraten, Zwangskonversionen – eine Fülle von Übergriffen. Der Missbrauch der Blasphemievorschriften ist da nur ein kleines Teil in einem wirklich breiten System von Missachtung und Übergriffen gegenüber religiösen Minderheiten.“

Vor diesem Hintergrund ist es für den Asienreferenten der Gesellschaft für bedrohte Völker ein Skandal, dass Pakistan seit dem 12. November im UN-Menschenrechtsrat ist:

„Ein Staat wie Pakistan, der so massiv Willkür Tür und Tor öffnet mit solchen Blasphemievorschriften, der nicht vorgeht gegen Übergriffe auf religiöse Minderheiten - auf Christen, auf Ahmadiyya, auf gemäßigte Muslime, auf Schiiten – dass so ein Staat sich mit mehr als 170 Stimmen von 192 möglichen in der UN-Vollversammlung in den UN-Menschenrechtsrat wählen lässt, ist eigentlich schon eine Armutserklärung für Menschenrechte und den Respekt für Menschenrechte in den vereinten Nationen.“

Delius findet, es wird so ein völlig falsches Signal gesendet:

„Es fehlt letztlich am Druck der internationalen Staatengemeinschaft auf Pakistan. Selten haben wir gehört – auch von unserem Außenminister in Deutschland – dass Kritik geübt wurde an der katastrophalen Menschenrechtslage in Pakistan. Wenn es keine Kritik gibt - auch nicht vom Ausland, obwohl man weiß, wie schwierig die Situation dieser Minderheiten im Inland ist - dann kann man nicht erwarten, dass sich etwas verändert.“

Deshalb seien Fälle wie der von Rimsha, auch wenn das absurd klinge, wichtig: Sie könnten den Regierungen in der EU klar machen, dass Pakistan im Umgang mit religiösen Minderheiten eine rote Linie überschreite. Dazu müsste sich die europäische Union noch häufiger und deutlicher öffentlich äußern, so Ulrich Delius, der Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker.

(rv/agi 22.11.2012 sta)







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