2012-11-21 14:38:43

D: Streiks in kirchlichen Einrichtungen „unter bestimmten Umständen“ möglich


RealAudioMP3 Streiks in kirchlichen Einrichtungen sind künftig unter bestimmten Umständen zulässig. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt am Dienstagabend entschieden. Es ging um zwei Klagen evangelischer Arbeitgeber, die auf einem generellen Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen bestanden. Dieses wurde vom Gericht so zwar nicht bestätigt, doch ein Streik in kirchlichen Einrichtungen ist nach dem Gerichtsurteil auch nicht uneingeschränkt zulässig. Thomas Schwendle von der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas erläutert im Domradio-Interview die Voraussetzungen, unter denen ein Streik möglich ist:

„Zunächst gibt es keinen Streik in einem stringent dargestellten und umgesetzten „Dritten Weg“. Den braucht es auch nicht, weil man im Dritten Weg zu ausgewogenen Entscheidungen kommt. Wenn im dritten Weg „geschlampert“ wird, dann darf man streiken. Im konkreten Einzelfall ging es um diakonische Einrichtungen, die gar nicht sauber am diakonischen Werk angebunden waren. Die dürfen selbstverständlich bestreikt werden.“

Der „Dritte Weg“ bei Einrichtungen der katholischen Kirche sieht vor, dass Mitarbeiter Mitglieder in die arbeitsrechtliche Kommission wählen, die paritätisch mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern besetzt ist. In diesem Gremium werden die Tarifverträge ausgehandelt. Wenn allerdings diese Verhandlungen stringent umgesetzt werden, dann kann sich die Kirche auf ihr Selbstbestimmungsrecht berufen. Schwendle:

„Ein wesentlich neuer Satz des Gerichtes ist, dass die Gewerkschaften im System des „Dritten Weges“ zu beteiligen sind. Sie also einfach außen vor zu lassen, das geht nicht. Ich gehe davon aus, dass sich die Parteien in Zukunft, sobald der Pulverdampf sich verzogen hat, über Kooperationen verständigen sollten. Eventuell müssen auch die Ordnungen neu gestrickt werden, so dass die Gewerkschaften auch strukturell an den Tisch kommen müssen. Aber das muss man nach einem genauen Studium des Gerichtsurteils sehen.“

Die beiden großen Kirchen haben das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum kirchlichen Streikrecht in einer ersten Reaktion begrüßt. Durch die Entscheidung werde das System der partnerschaftlichen Tariffindung in paritätisch zusammengesetzten Kommissionen im Grundsatz bestätigt, erklärte der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Jesuitenpater Hans Langendörfer, am Dienstag in Bonn. Das Urteil stärke gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. „Gewerkschaften dürfen nicht zu einem Streik im kirchlichen Dienst aufrufen, wenn bestimmte Vorgaben des Dritten Weges erfüllt sind“, erläuterte Langendörfer. Der Dritte Weg des kircheneigenen Arbeitsrechts habe sich in den letzten 30 Jahren bewährt. Er garantiere gute Ergebnisse in einem gerechten Verfahren und werde von der überwältigenden Mehrheit der Dienstgeber und Dienstnehmer aus Überzeugung mitgetragen. „Die katholische Kirche in Deutschland und ihre Caritas werden diesen Weg auch in Zukunft fortsetzen.“ Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) betonte, das Urteil stärke das Selbstbestimmungsrecht von Kirche und Diakonie. Auch ohne Streiks seien in den vergangenen Jahrzehnten gute Tarifergebnisse erzielt worden. Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, verwahrte sich zugleich gegen Vorwürfe des Lohndumpings. Auch die Caritas begrüßte das Urteil im Grundsatz. „Zwar hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Gewerkschaften in das Verfahren des Dritten Weges organisatorisch eingebunden sein sollten. Welche konkreten Konsequenzen dies künftig im kirchlichen Arbeitsrecht haben wird, kann jedoch erst bewertet werden, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt“, erklärte Präsident Peter Neher.

Hintergrund
Auch Kirchenmitarbeiter dürfen nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts unter bestimmten Bedingungen streiken. Voraussetzung sei, dass der kirchliche Sonderweg mit dem Ziel eines einvernehmlichen Interessenausgleichs nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt habe, urteilte das Gericht am Dienstag in Erfurt. Die Entscheidung betrifft rund 1,3 Millionen Arbeitnehmer vor allem von Caritas und Diakonie. (1 AZR 179/11 und 1 AZR 611/11) Auf der Tagesordnung standen zwei Verfahren in diakonischen Einrichtungen der evangelischen Kirche in Westfalen, Niedersachsen und Nordelbien. In beiden Fällen hatten sich bereits die Landesarbeitsgerichte Hamm und Hamburg im vergangenen Jahr gegen ein generelles Streikverbot ausgesprochen. Die höchsten deutschen Arbeitsrichter gaben damit in Teilen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund Recht, die zu Arbeitskämpfen in den Einrichtungen aufgerufen hatten. Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts bestätigte aber zugleich das grundgesetzlich verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auch in arbeitsrechtlichen Fragen.

Die SPD-Politiker Wolfgang Thierse und Kerstin Griese forderten, es müsse jetzt ein Weg gefunden werden, der „das Streikrecht mit dem Dritten Weg des kirchlichen Arbeitsrecht vereinbart, denn das Streikrecht ist ein Grundrecht.“ Die beiden SPD-Politiker sehen deutlichen Reformbedarf im kirchlichen Arbeitsrecht. Outsourcing zum Senken von Löhnen und dauerhafte Leiharbeit genügten dem kirchlichen Anspruch nicht. Die Kirchen müssten sich für eine Beteiligung von Gewerkschaften in den arbeitsrechtlichen Kommissionen öffnen. In der Verhandlung hatten sich die Rechtsvertreter der Kirchen auf deren Selbstbestimmungsrecht berufen. Sie verteidigten den ,Dritten Weg´ der Kirchen und ihrer Einrichtungen. Mit dem Leitbild der „Dienstgemeinschaft“ seien Streik und Aussperrung unvereinbar. Stattdessen suchten Dienstgeber und Dienstnehmer in paritätisch besetzten Kommissionen nach einem Interessenausgleich und schalteten notfalls Schlichter ein.

Die Vertreter von ver.di und Marburger Bund bezeichneten das Streikrecht demgegenüber als unverzichtbaren Bestandteil des grundgesetzlich festgeschriebenen Koalitionsrechts. Ohne Streikrecht sei die Interessenvertretung von Arbeitnehmern nur „kollektives Betteln“. Experten rechnen damit, dass das Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen noch das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg beschäftigen wird. Die Gerichtspräsidentin wertete die Entscheidung deshalb als „Zwischenetappe von richtungsweisender Bedeutung“. Bisher sind bei den beiden großen christlichen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas Streiks verboten. Dumpinglöhne und Leiharbeit im Sozialsektor waren aber vor allem der Diakonie vorgeworfen worden. Die Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden sind in Deutschland mit rund 1,3 Millionen Beschäftigten der zweitgrößte Arbeitgeber nach dem Staat. Ver.di-Chef Frank Bsirske hatte den Kirchen im Vorfeld des Urteils die Missachtung von Grundrechten und vordemokratisches Verhalten vorgeworfen. Die Chefs von Caritas und Diakonie, Peter Neher und Johannes Stockmeier, verteidigten den Dritten Weg als gute Alternative zur üblichen Aushandlung von Tarifen. Neher verwies auch darauf, dass auch Beamte nicht streiken dürften; man könne also nicht von einem Menschenrecht sprechen.

(domradio/kna 21.11.2012 cs)







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