Wo war Gott in den
letzten Tagen in der Ostküste in den USA, wo in Fukushima in Japan, wo, als ein Bus
voll fröhlicher Kinder ungebremst gegen eine Tunnelwand raste, wo, als ein 12-jähriges
Mädchen in einem Wald brutal vergewaltigt und grausam getötet wurde? Mein Gott, warum
? klagte die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ nach dem schrecklichen Erdbeben in der Türkei?
Ja, und die Frage aller Fragen: wo war Gott in Auschwitz? Diese Frage stellt sich
immer wieder neu. Peter Hahne, prominenter und profilierter Fernseh-Korrespondent,
Bestseller-Autor, Spitzen-Journalist beim ZDF und gelernter Theologe bietet keine
Patentantworten an, sondern Lebenshilfe. Er ist Kommunikator für ethische Wertvorstellungen
in den modernen Medien in den Bereichen Politik, Gesellschaft und Religion. In der
Neuauflage seines Bestsellers „Leid - warum lässt Gott das zu?“ geht Peter Hahne auf
diese Thematik ausführlich ein.
Herr Hahne, worin besteht Ihre
Hauptbotschaft, wenn Sie reden, wenn Sie schreiben, wenn Sie kommunizieren?
„Eigentlich
ist mein Hauptanliegen: Hoffnung machen. Hoffnung, das ist für mich so etwas wie der
Sauerstoff des Lebens. Wenn die Hoffnung weg ist, dann bleibt nur Verzweiflung. Deswegen
bin ich auch in meinem journalistischen Engagement gegen diese Düsternis, die oft
mit dem Tremolo der Betroffenheit verbreitet wird. Wir müssen Hoffnung machen und
dazu möchte ich beitragen.“
In allen gesprochenen und geschriebenen Worten
und Werken scheint bei Ihnen christliches Engagement deutlich durch. Haben Sie dazu
eine Erklärung?
„Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über. Das ist ja
den Aposteln nach Jesus Christus auch so ergangen. Das Herz war voll, sie mussten
es weiter sagen. Für mich ist der Glaube das Maß und Mittel meines Denkens und meiner
Existenz. Nicht irgend so eine Randstelle, der Glaube gehört auch in die Mitte meines
Alltags. Weil ich selbst auch so gute Erfahrung gemacht habe mit dem Glauben, mit
dem Gebet, auch mit anderen Christen zusammen. Deswegen ist es mir wichtig, das auch
offen zu sagen, denn Religion ist eben keine Privatsache, sondern gehört in die Öffentlichkeit.“
Und
woran messen Sie selbst den offensichtlichen Erfolg Ihrer journalistischen Tätigkeit?
Haben Sie eine Erklärung dazu?
„Das ist immer schwierig, so etwas von selbst
zu sagen. Ich kriege ja viel Resonanz auch gerade von jungen Leuten. Und die sagen:
Hahne steht für Klartext, der hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berge, der redet
deutlich und verständlich. Ich möchte mit der Sprache von heute für Leute von heute
diese alte Botschaft des Evangeliums weitergeben. Auch journalistisch: keine Floskeln,
keine Fremdworte, die Menschen müssen es ja begreifen. Auf der anderen Seite erlebe
ich ja eine große Sehnsucht nach Werten. Die Menschen möchten Orientierung haben.
Und dazu möchte ich helfen.“
Medien besitzen auch eine soziologische Funktion.
In der heutigen Vielfalt medialer Angebote verlangen viele Hörer, Leser und Zuschauer
eine Einordnung. Je komplexer die Themen sind, desto mehr bedarf die breite Öffentlichkeit
offener Klarstellungen, sie bedarf jener Menschen, die den Informationsfluss in eine
Form gießen können. Einer dieser Menschen sind Sie: wo erkennen Sie die Chancen, wo
sehen Sie die Gefahren in unserer heutigen Medienvielfalt?
„Also, die Chancen
der Medien muss man mit allen Mitteln nutzen: es gibt das Radio, es gibt das Fernsehen,
aber es gibt auch die neuen Medien, Facebook, Twitter, alles was mit Computern und
Internet zu tun hat. Der Apostel Paulus – davon bin ich überzeugt - hätte diese Medien
heute auch alle benutzt. Denn er hat die Medien, die es damals gab, alle benutzt.
Also alle Mittel nutzen. Das ist wichtig. Aber dahinter steht immer: Welche Menschen
machen diese Medien, welche Menschen haben die Macht über die Medien, welches Weltbild,
welches Menschenbild steht dahinter…. Und da sind wir schon bei den Gefahren. Ich
erlebe schon seit vierzig Jahren, seit ich aktiv im Journalismus mit den Medien zu
tun habe, dass es heute viel schneller und viel schriller geworden ist. Also der Kampf
um die schnelle Schlagzeile, wo man gar nicht mehr richtig recherchiert, sondern sofort
mit der Nachricht auf den Markt geht. Und hier liegt die Verantwortung bei uns Journalisten:
dass wir sauber recherchieren, das wir erst dann auf den Markt gehen, wenn wir uns
der Sache sicher sind. Also Journalisten sind Dienstleister. Dienstleister für die
Zuhörer und Zuschauer. Aber, sie sind auch Dienstleister an der Wahrheit.“
Nehmen
wir uns zwei ,Gedanken am Sonntag’ von Peter Hahne als Paradebeispiel Ihrer Kommunikations-Methode
vor. 1. ,Die Armutsdiskussion in Deutschland ist eine Heuchelei’ und 2. ,Mit jeder
Lüge sagen wir die Wahrheit über uns selbst’. Wie lautet die Quintessenz zu diesen
interessanten Sendungen?
„Ja, Sie haben da wirklich zwei gute Beispiele herausgesucht.
Die Quintessenz heißt eigentlich, bei der Wahrheit bleiben. Bei der Wahrheit bleiben!
Also nehmen wir die Armutsdiskussion in Deutschland. Die Wahrheit ist, wir müssen
auch auf die anderen Länder in der Welt gucken. Da werden wir feststellen: da ist
es viel, viel schlimmer! Wir jammern in Deutschland, im deutschsprachigen Raum, auf
hohem Niveau. Ich war gerade in Südtirol, das ist förmlich ein Paradies, da gibt es
eigentlich nichts zu jammern… Es ist Heuchelei, wenn wir das tun! Auf der anderen
Seite – und da sind wir jetzt bei ,Mit jeder Lüge sagen wir die Wahrheit über uns
selbst’: die Lüge im Kleinen, also zwischen Menschen, Ehepartnern, Kindern, Eltern.
Jede Lüge sagt ja etwas über unseren Charakter. Deswegen glaube ich, dass wir auch
für die kleinen Dinge die Wahrheit brauchen, denn in der Tat: mit jeder Lüge sagen
wir ja die Wahrheit über uns, über unseren Charakter. Und dagegen möchte angehen und
die Augen öffnen.“
Einen ganz besonders überzeugenden Einblick in Ihre Arbeit
und Denken bietet die erst vor wenigen Tagen erschienene Neuauflage Ihres Buches:
,Leid – Warum lässt Gott das zu?’. Wo war Gott in Fukushima in Japan, wo war Gott,
als ein Bus in der Schweiz voll fröhlicher Kinder ungebremst gegen eine Tunnelwand
raste, wo war Gott, als ein 12-jähriges Mädchen missbraucht und grausam getötet wurde?
Ja, und die Frage aller Fragen: wo war Gott in Auschwitz? Wie kann Gott das alles
nur zulassen?
„Ich liefere da keine Patentrezepte, keine Paradeantworten auf
diese Fragen. Die gibt es auch nicht. Mir ist es wichtig, Menschen zu zeigen, die
mit Ihrem Leid fertig geworden sind, indem sie an Gott festgehalten haben. Auschwitz
zum Beispiel: an der Auschwitzwand hatte jemand geschrieben: ,Wo ist Gott?’ Da hat
jemand dazu geschrieben: ,Hier’. Also Gott ist im Leid nicht fern von uns, er ist
uns nah. Meine These ist, gerade im Leid müssen wir an Gott festhalten, sonst sind
wir die Ärmsten unter der Sonne.“
Als der bedeutende Philosoph Robert Spaemann
vom ,Spiegel’ einmal herausfordernd gefragt wurde, wo Gott denn in Auschwitz gewesen
sei, antwortete er mit knappen zwei Worten: ,Am Kreuz!‘ Wie reagieren Sie intellektuell,
philosophisch und theologisch auf diese eindrucksvolle, plakative Antwort Spaemanns?
„Robert
Spaemann gehört – wie Papst Benedikt XVI. – für mich zu den größten Denkern unserer
Zeit. Er hat es als großer Philosoph auf den Kern, auf den Punkt gebracht: Das Geheimnis
im Kreuz ist Gott in Jesus Christus. Das heißt doch, alles, was wir als Menschen an
Leid erfahren und ertragen müssen, hat Gott schon längst auf sich genommen in Jesus
Christus! Und Jesus Christus ist auferstanden, er lebt und deswegen kann ich auch
Leid durchleben. Durch die Kraft dessen, der am Kreuz gestorben ist für das Leid der
Welt. Spaemann bringt es so klar auf den Punkt. Ich kann nur sagen, ich selber erlebe
es so und ich kenne viele Menschen die sagen: ohne das Kreuz, ohne Jesus Christus
wären wir arm dran.“
Statt der Anklage ,Wie kann Gott das zulassen’, müsste
die Frage also eigentlich richtiger lauten: wie kann der Mensch das zulassen?
„Ja,
mich regt es einfach auf, dass wir alles, was wir an Leid und an Katastrophen erfahren,
Gott in die Schuhe schieben. Als hätte Gott diese Welt unvollkommen geschaffen. Gott
hat diese Welt vollkommen geschaffen. Man kann das doch sehen, wenn wir die Natur
anschauen, diese Schönheit. Und wer zerstört das Ganze? Es ist doch nicht ein selbstzerstörender
Gott, sondern es ist der Mensch. Nehmen wir die große Katastrophe in Japan, die Sie
erwähnt haben, als Beispiel: die Kernkraftwerke dort sind auf eine Erdbebenspalte
gebaut worden. Jeder Geologiestudent hätte schon im ersten Semester gewusst, dass
man das nicht darf! Die Japaner haben es gemacht, die Konsequenzen müssen sie ertragen.
Das können wir Gott nicht in die Schuhe schieben. Nehmen wir die Lawinenunglücke:
wir werden in diesem Winter bestimmt wieder davon hören. Schrecklich. Die Menschen
haben die Welt zu Skipisten gemacht, die die Natur verändert haben. Das ist die Konsequenz.
Die Titanic ist von Menschen gebaut worden. Und Mord, Missbrauch, Misshandlung von
Kindern, das können wir doch nicht Gott in die Schuhe schieben. Das ist der Mensch,
der Mensch, der einen freien Willen hat für das Gute und das Böse. Und deshalb mein
Appell: dass wir selber als Menschen innehalten und uns fragen, was können wir dafür
tun, dass es weniger selbstverschuldetes Leid in der Welt gibt.“
Darf man
sich, Herr Hahne, auch einmal fragen: Erklärt der Ungläubige, der Agnostiker, der
Atheist die Welt vielleicht besser, als der Gläubige? Hat der Atheismus manchmal bessere
Antworten auf Katastrophen-Ereignisse parat, als der Gläubige?
„Also, da kann
ich aus meiner Erfahrung nur sagen: der Atheismus ist längst Bankrott. Der Atheismus
hat auf keine der zentralen Menschheitsfragen: ,woher komme ich, wozu bin ich da,
was ist das Ziel meines Lebens?’ eine Antwort. Ich möchte es einmal umdrehen: für
mich ist interessant, wie Atheisten, auch intellektuelle Atheisten, zum Schluss ihres
Lebens mit ihrem Atheismus fertig geworden sind. Der Existenzphilosoph Martin Heidegger,
meinte: ,Philosophie ohne Gott ist das, was wir brauchen’. Zum Ende seines Lebens
sagt er: ,nur ein Gott kann uns noch retten’. Am 11. September 2001, anlässlich der
schrecklichen Terrorkatastrophe, sagte Jürgen Habermas, ein Neo-Marxist der Frankfurter
Schule: ,Wir brauchen Glauben, Theologie und Religion, das ist die wichtigste Ressource,
die wir in unserer Gesellschaft haben.´ Er hat dann mit Papst Benedikt, damals noch
Kardinal Ratzinger, diskutiert und gesagt: ,Die christliche Gemeinde hat Kräfte, ohne
die unsere Gesellschaft nicht leben kann’. Also das Eingeständnis von Atheisten, dass
es ohne den Glauben nicht geht, ist ja schon das größte Dokument, auf das man zu dieser
Frage verweisen kann. Ich brauche das nicht zu beurteilen, sie tun es schon selbst.
Ein Leben ohne Gott ist im Endeffekt ein Bankrott.“
Wollen wir unser Gespräch
über die quälende Frage: ,Warum lässt Gott so viel Leid zu?’ mit dem anderen Fragewort
,Wozu’ lässt Gott das zu, ersetzen und damit beenden?
„Ja, ich glaube, das
quälende Wort ,warum’ führt zu überhaupt nichts. Das macht einen nur lebensmüde. Aber
die Frage ,wozu lässt Gott Leiden zu? möchte ich an einem ganz praktischen Beispiel
erklären: das sagt einer, der im KZ gesessen hat, im Dritten Reich in Deutschland,
als er rauskam: ,Eigentlich war es gut, dass ich dies erlebt habe. Als Atheist bin
ich hinein gekommen, als Christ bin ich wieder heraus gekommen. Oder ein Bergmann,
der im Ruhrgebiet im Bergwerk ein Bein verloren hatte, sagt plötzlich, nachdem er
zum christlichen Glauben gefunden hatte: ,Lieber auf einen Bein in den Himmel, als
auf zwei Beinen in die Hölle’. Das zeigt, dass Gott mit dem Leid auch etwas Pädagogisches,
Erzieherisches vorhat, das besagt: ,Mensch besinne dich auf deinen Glauben, auf deine
Grundlagen, auf deine Hoffnungen.’ Die Gegenwart Gottes im Leid, das ist der Trost,
den wir finden können.“