D: Der Protest der Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor
Bereits seit Ende
Oktober hat sich eine Gruppe Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor in Berlin versammelt,
um gegen die aktuellen Regelungen für Flüchtlinge in Deutschland zu protestieren.
Mit dem Protestmarsch einer kleinen Gruppe von Würzburg aus und einem mehrtägigen
Hungerstreik gerade vor einem der Wahrzeichen Deutschlands haben sie jedenfalls große
Aufmerksamkeit erregt. Unsere Kollegin Christine Seuß hat mit Heiko Habbe gesprochen,
er arbeitetet für die deutsche Abteilung des Jesuitenflüchtlingsdienstes und kennt
sich mit der schwierigen Situation von Asylbewerbern in Deutschland bestens aus.
Herr
Habbe, Sie sind Flüchtlingsanwalt beim Jesuitenflüchtlingsdienst, ich würde gerne
von Ihnen wissen, was für Forderungen stellen denn konkret die Flüchtlinge, die jetzt
seit einigen Tagen bei teils niedrigsten Temperaturen vor dem Brandenburger Tor ausharren?
„Die
Hauptforderungen gehen dahin, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland
geändert wird, also das System der Sammelunterkünfte aufgehoben wird, dass das Arbeitsverbot
aufgehoben wird, aber auch die so genannte Residenzpflicht, mit der die Betroffenen
verpflichtet werden, sich nur innerhalb eines Landkreises, einer Stadt oder eines
Bundeslandes aufzuhalten. Wenn sie ihren Bezirk ohne Erlaubnis verlassen, dann machen
sie sich unter Umständen strafbar.“
Was haben denn diese Residenzpflicht
und das aktuelle Asylbewerbergesetz, das ja aus dem Jahr 1992 stammt, allgemein für
Auswirkungen?
„Insgesamt bedeutet das schon eine sehr weitgehende Einschränkung
der Bewegungsfreiheit, wenn ich also in Schleswig Holstein wohne und Verwandte beispielsweise
in Bayern wohne, kann ich die nicht einfach besuchen, sondern muss erst um eine Erlaubnis
anfragen. Ob diese Erlaubnis erteilt wird, ist stark abhängig von der einzelnen Ausländerbehörde,
und wenn die das nicht macht und ich reise dennoch und werde dabei erwischt, dann
kann es sein, dass man mir ein Bußgeld auferlegt. Das ist eine Regelung, die unserer
Ansicht nach nicht zeitgemäß ist, und die in einzelnen Bundesländern auch schon gelockert
worden ist. Wir treten als Jesuitenflüchtlingsdienst auch deutlich für die Abschaffung
ein.“
Was für eine Rolle spielt denn dabei die umstrittene Asylbewerberleistung,
die ja vom Verfassungsgericht auch für verfassungswidrig erklärt worden ist?
„Was
die Asylbewerberleistung angeht, also die spezielle Sozialhilfe für Flüchtlinge, die
einem eigenen System unterliegt, hat das Verfassungsgericht im Sommer dieses Jahres
entschieden, dass das Niveau dieser Leistung verfassungswidrig niedrig ist und damit
ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht gesichert werden kann; insofern sind hier
schon erste Anpassungen erfolgt. Wogegen sich die Protestierenden vor dem Brandenburger
Tor aber auch richten, ist der Zwang, in vielen Ländern in einer Sammelunterkunft
zu wohnen. Diese Sammelunterkünfte sind in schlechtem Zustand, das Leben dort ist
sehr belastend gerade auch für Menschen, die psychisch angeschlagen sind. Hinzu kommt,
dass einzelne Bundesländer immer noch Sachleistungen an die Flüchtlinge gewähren,
das heißt, sie haben nicht die Freiheit, sich selbst die Sachen zu kaufen, die sie
vielleicht gerne essen möchten sondern sie bekommen Essenspakete und müssen dann damit
ihren Alltag fristen.“
Wie kommt es denn, dass ein Asylgesetz so lange
unverändert besteht und dann erst solche Aktionen das Augenmerk der Öffentlichkeit
auf die Situation dieser Menschen im Land richten - was läuft denn da falsch?
„Ich
denke, dass diese Protestform eines 600-Kilometer-Marsches durch Deutschland und in
besonderer Weise die Form des Hungerstreiks zeigen, wie verzweifelt die Leute in ihrer
Situation sind. Das ist eine Erfahrung, die wir in unserer Arbeit auch oft machen,
dass gerade Menschen, deren Asylverfahren sich lange hinzieht und auch nicht abgeschoben
werden können, dass die mit den Jahren auch immer stärker an ihrer Lebenssituation
verzweifeln, weil ja die deutschen Gesetze doch sehr rigide sind und diesen Personenkreis
im Grunde am Rande der Gesellschaft zur Ausweglosigkeit verurteilen. Das gilt insbesondere
auch für das Arbeitsverbot, das für diese Gruppe oft dauerhaft gilt. Man macht sie
künstlich zu Leistungsbeziehern, zwingt sie in die Sozialkassen und wirft ihnen dann
oft noch vor, dass sie von Sozialleistungen leben statt die Potentiale dieser Menschen
zu nutzen und ihnen eine Chance zu geben, sich über Schulbesuch, Sprache oder über
das Erlernen eines Berufes in dieser Gesellschaft zu integrieren.“
Eines
haben die Flüchtlinge jedenfalls bereits erreicht: sie sollen, nach den kürzlich stattgefundenen
Gesprächen mit der der Integrationsbeauftragten des Bundes Maria Böhmer, und der Berliner
Integrationssenatorin Dilek Kolat nun in wenigen Tagen auch vom Bundestag empfangen
werden. Wer weiß, vielleicht eine gute Gelegenheit für den deutschen Gesetzgeber,
ein 20 Jahre altes Gesetz einer gründlichen Revision zu unterziehen.