2012-11-11 09:35:40

Der künftige Primas: Wer ist Justin Welby?


RealAudioMP3 Stühlerücken in der Ökumene: Nicht nur die Kopten bekommen demnächst ein neues Oberhaupt, sondern auch die anglikanische Weltgemeinschaft. Der künftige Erzbischof von Canterbury ist ein Spätberufener: Justin Welby, 56 Jahre alt, bisher Bischof im nordenglischen Durham. Der Eton- und Cambridge-Absolvent hat zunächst elf Jahre auf hohen Posten in der Ölindustrie gearbeitet, bevor er den Wechsel ins geistliche Fach wagte. Nach dem Theologen Rowan Williams rückt damit im Frühjahr 2013 ein dezidierter Seelsorger an die Spitze der „Church of England“. Die BBC fragte Welby noch vor seiner Nominierung zum künftigen Primas, wie es zu seinem ungewöhnlichen Berufswechsel kam.

„Ich fand keinen Arbeitsplatz! Es waren die späten siebziger Jahre, und die wirtschaftliche Lage war nicht so einfach; ich bewarb mich um mehrere Jobs, die ich nicht bekam. Stattdessen wollte mich eine französische Ölfirma in Paris für ihre Rechenabteilung einstellen; dabei sprach ich gar kein Französisch!“

Welby ging dennoch mit seiner Frau Caroline nach Paris, hatte beruflich vor allem mit Nigeria- und Nordsee-Ölplattformen zu tun. Doch in Paris erlebte er eine Tragödie: Sein erstes Kind, Johanna, starb bei einem Autounfall; sie war erst sieben Monate alt. „Eine sehr schwere Zeit für Caroline und mich“, sagt Welby. „Aber auf eine seltsame Weise brachte uns das Gott näher.“ Das Paar kehrte zurück nach London.

„Damals war ich sehr engagiert in einer großen anglikanischen Pfarrgemeinde in London, und das beanspruchte immer mehr von meiner Zeit; es ist nicht so, dass ich auf einmal aus heiterem Himmel kontemplativ geworden wäre, aber in mir wuchs das Gefühl: Das ist die Richtung, in die ich eigentlich gehen sollte, und meine Frau war derselben Ansicht. Das Ölgeschäft verließ ich aus purem Überdruss; ich habe mit aller Kraft versucht, da herauszukommen.“

Immerhin, er nimmt viel mit aus seiner Öl- und Finanzwelt-Zeit. Eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit vor allem, und Unerschrockenheit, wie ihm seine Bekannten bescheinigen. Als Kirchenmann hat er später oft in Afrika heikle Konflikte gelöst: ein „troubleshooter“, ein Friedens-Profi, wie ihn auch die anglikanische Kirche gut gebrauchen kann.

„Es gab schon einen besonderen Moment der Erleuchtung, wenn man so will, während eines Sonntagabend-Gottesdienstes in einer Kirche. Volle Kirche, schöne Predigt – und das Gefühl, als ob Gott mir sagen wollte: Das solltest du tun. Allerdings, dann begann ein zweijähriger Auswahlprozess für die Kirche von England, und da sagt keiner: Schön, dass Sie zu uns stoßen, kommen Sie herein! Ganz im Gegenteil, die stellen bohrende Fragen, und je mehr sie dies taten, umso mehr war ich in Versuchung, hinzuschmeißen. Ich entkam aber nicht diesem Eindruck, berufen zu sein.“

Diesen Eindruck hatten damals nicht alle. „Für Sie ist kein Platz in der Kirche von England“, sagte etwa der Bischof von Kensington zu Welby. Und weiter: „Ich habe Tausende von Kandidaten für das Priesteramt befragt – Sie kommen bei mir noch nicht mal unter die ersten Tausend.“ Aber Welby hielt stand, fühlte sich berufen.

„Berufen zu etwas, was ich sowieso schon tue: Ihm nachzufolgen nämlich. Aber berufen, das auf einem ganz bestimmten Weg zu tun, nämlich durch die Priesterweihe. Das war merkwürdig... und ich hatte keine Ahnung, wohin mich das führen würde.“

Es führte ihn, zunächst einmal, wieder auf die Schulbank:

„Ich ging wieder zur Universität. Dort war ich viel älter als alle anderen Studenten und schlief in den Vorlesungen immer wieder mal ein. Nach meinem Abschluß in Theologie wurde ich dann zum Priester geweiht und in eine Pfarrei in den Midlands geschickt.“

Das war zu Anfang der neunziger Jahre; seine Doktorarbeit schrieb er über die Frage: „Können Unternehmen sündigen?“ Welby wurde Dekan in der Arbeiterstadt Liverpool und erst vor genau einem Jahr in Durham Bischof. Damals wurde er gefragt, worauf er sich bei dieser Aufgabe am meisten freue. Seine Antwort scheint charakteristisch für ihn zu sein:

„Das ist sehr einfach: Ich bin gern mit Menschen zusammen, verbringe Zeit mit ihnen, höre ihnen zu, mache mit bei dem, was sie tun. Es tut mir gut, mich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. Ob ich jetzt im Theater bin oder auf einer Konferenz oder einfach in irgendeinem Pub – ich sitze gerne mit Menschen herum und interessiere mich für das, was sie so denken und sagen.“

Welby steht – so formuliert die „Times“ – für einen historischen Wandel, „den wichtigsten, seit die Kirche von England sich 1992 für die Priesterweihe von Frauen entschied“. Sein Eintreten für die Bischofsweihe für Frauen könnte bei der Generalsynode der Kirche in einer Woche „über die Zweifler den Sieg davontragen“. Schon im Frühjahr 2014, so rechnet die Zeitung, „könnte der erste weibliche Bischof geweiht werden, sie würde eventuell von Welby geweiht“, und damit besteht zumindest auf dem Papier „die Möglichkeit, dass der nächste Erzbischof von Canterbury eine Frau sein wird“. Ein weiteres wichtiges Streitthema, das auf Welby wartet, ist der kirchliche Umgang mit Homosexuellen; in diesem Punkt gilt er als traditionell. Das könnte ihm laut „Times“ die Sympathie der Anglikaner in Afrika einbringen: eine wichtige Voraussetzung, um die anglikanische Weltgemeinschaft noch vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren.

(bbc-online/times 09.11.2012 sk)








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