Bei der derzeit tagenden
Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus
Schneider ein düsteres Bild der Situation der christlichen Kirchen in Deutschland
gezeichnet. Gottvergessenheit und ein Abdriften der Religion in den Privatbereich
stellten die Kirchen vor große Herausforderungen:
„Wie steht es um den
Gottesglauben in unseren Tagen? Die jüngsten Untersuchungen zum Gottesglauben heutiger
Menschen in Deutschland zeigen: Es gibt eine Unkenntnis Gottes in zweiter und dritter
Generation. Vor allem in den östlichen Bundesländern, aber auch in manchen Stadtteilen
westlicher Großstädte lässt sich eine religiöse Kultur wahrnehmen, in der nicht erst
theologische Antworten, sondern schon die Frage nach Gott für viele Menschen schlicht
unverständlich ist. Gott, Glaube, Kirche sind Teil einer Fremdsprache, mit der manche
Menschen genauso viel oder wenig anfangen können wie mit Mandarin oder Kisuaheli.“
An dieser Entwicklung seien auch die Kirchen selbst schuld, denn die gegenwärtige
Gotteskrise sei mit das Ergebnis eines verharmlosenden Gottesbildes, das die Kirchen
immer mehr vermittelten:
„Die Frage nach Gott aufrichtig zu stellen und
die Sehnsucht nach Gott wach zu halten – das ist und bleibt eine zentrale Aufgabe
unserer Kirche. Dabei gibt es allerdings auch die Gefahr einer Selbstsäkularisierung
in unserer Rede von Gott, wenn das theologische Reden einen immer freundlichen, nur
harmlosen, kumpelhaften Gott verkündigt. Wenn Theologie Gott nicht mehr nah und fremd
zugleich sein lässt, wenn sie ihn nicht zugleich vertraut und verstörend sein lässt,
dann nimmt sie ihrer Rede von Gott mitunter die Tiefenschärfe.“ Im Zusammenhang
mit der Beschneidungsdebatte stellt Nikolaus Schneider klar, dass es in seinen Augen
„fatal“ wäre, wenn „Deutschland das einzige Land der Welt wäre, das Beschneidung rechtlich
in Frage stellen würde.“ Die Religion insgesamt dürfe nicht ins Private abgedrängt
werden, und es sei Aufgabe aller Konfessionen, dies zu verhindern: „Zusammen
mit jüdischen und muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern treten Christinnen und
Christen ein für das Recht auf positive, sichtbare Religionsausübung in der Gesellschaft.
Wir wissen es zu schätzen, in einem demokratischen und religiös neutralen Staat zu
leben, der aber bewusst kein laizistischer Staat ist. Ein Abdrängen der Religion ins
Private kann nämlich die Konsequenz haben, dass die aggressiven oder fundamentalistischen
Fehlformen von Religion – die es in allen Glaubensrichtungen gibt – in Hinterhöfen
oder in Parallelgesellschaften entstehen und gepflegt werden.“ In seinem Ratsbericht
äußerte Schneider auch den Wunsch, den 31. Oktober 2017 zu einem zumindest einmaligen
Feiertag in Deutschland zu machen. Mit Blick auf die römisch-katholische Kirche hob
Schneider hervor, dass zwar für diese die in Reformation und Gegenreformation verloren
gegangene Einheit der westlichen Kirche kein Grund zum Feiern, sondern ein auch mit
Kummer zu bedenkendes „Datum“ sei. Die Kirchen der Reformation sähen im Thesenanschlag
Luthers jedoch einen zentralen Schritt, um aus einer theologisch unhaltbaren Situation
der westlichen Christenheit im Spätmittelalter herauszufinden.