Nigeria: Verbrechen gegen Menschlichkeit dauern an
Möglicherweise beteiligen
sich auch Sicherheitskräfte der Regierung an grausamen Gewalttaten gegen die Menschen
in Nigeria. Dies geht aus einem am Donnerstag verbreiteten Bericht von ‚Human Rights
Watch’ hervor. Demnach beginge nicht nur die militante islamistische Terrorgruppe
‚Boko Haram’ aus dem Norden Nigerias Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern
auch die Regierung selbst schade der unbeteiligten Zivilbevölkerung bei ihren militärischen
Einsätzen gegen die Rebellen.
Die Welle der Gewalt, die im Jahr 2009 ihren
Anfang nahm, hat geschätzt bisher zwischen 1.400 und 2.800 Menschen in Nigeria das
Leben gekostet. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation ‚Human Rights Watch’ ist
die Situation aktuell besonders kritisch. Radio Vatikan hat darüber mit dem Afrika-Experten
Enrico Casale gesprochen, der als Redakteur bei ‚Popoli’ einem Internetmagazin der
Jesuiten, arbeitet. Casale erklärt:
„Das Problem in Nigeria ist, dass der
religiöse Fundamentalismus explodiert ist. Das zeigt sich besonders gewaltsam bei
der Sekte von Boko Haram. Diese radikale, fundamentalistische und islamistische Bewegung
lehnt alles ab, was aus dem Westen kommt – also auch den christlichen Glauben. Diese
Situation ist deshalb eine große Gefahr für die Stabilität des Landes. Und Nigeria
ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas und Hauptexporteur für Erdöl auf dem Kontinent.“
Dass
‚Boko Haram’ alles Westliche ablehnt, zeigt schon der Name der Gruppe, der übersetzt
etwa ‚Gegner westlicher Erziehung’ bedeutet. Was nach Ansicht der Islamisten nicht
ihrer Auslegung des Koran entspricht, wird gewaltsam bekämpft. Darunter leiden oft
auch Christen. Sicherheitskräfte der Regierung sollen allerdings ebenfalls sehr brutal
vorgehen:
„Das ist richtig. Die Reaktion der Sicherheitskräfte und der Polizei
war sehr hart und hat deshalb auch die Zivilbevölkerung getroffen. Dabei hat die mit
dem Ganzen nichts zu tun - weder mit Boko Haram, noch mit den bewaffneten Kräften.
Und auch die Boko-Haram-Sekte greift hilflose Menschen an: Besonders Christen, die
am Sonntagmorgen in die Kirche gehen.“
Dabei gab es noch Ende August Zeichen
der Hoffnung, als die Regierung in Abuja und einige gemäßigte Boko-Haram-Aktivisten
inoffizielle Gespräche führten – die nach etwa 14 Tagen jedoch ohne Ergebnis wieder
beendet wurden. Die Probleme in Nigeria sind dabei kein Sonderfall:
„Der
islamistische Fundamentalismus ist ein Problem, das sich momentan in einigen Sahel-Ländern
und im Afrika südlich der Sahara ausbreitet. Denken wir zum Beispiel an Mali, wo sich
bei der Tuareg-Revolte, die ursprünglich von Laien ausging, später fundamentalistische
Kräfte eingeklinkt haben. Letztlich haben die Fundamentalisten dann die Kontrolle
der nördlichen Regionen in diesen Ländern übernommen. Denken wir auch besonders an
Somalia, wo Al-Shabaab, die eng mit Al-Qaida verbunden ist, immer noch aktiv ist.
Und obwohl die Islamisten einige wichtige Stellungen verloren haben, ist zu befürchten,
dass sie sich mittels einer Guerilla-Strategie gegen das Regime stellen. Dann würde
am Horn von Afrika noch für lange Zeit gekämpft.“
Es wird auch in Zukunft
weiter schwierig sein, die Lage in diesen Gebieten zu stabilisieren, glaubt der Afrika-Experte:
„Vor
allem in Mali, das bis vor kurzem noch als eines der stabilsten Länder des ganzen
afrikanischen Kontinents galt. Dort fürchtet man jetzt einen Angriff der bewaffneten
Kräfte, die von einigen Verbündeten aus West-Afrika unterstützt werden. Aber auch
Somalia, das mehr als 20 Jahre Bürgerkrieg hinter sich hat, ist immer noch verwundet
durch den Konflikt mit fundamentalistischen islamistischen Kräften.“
Es
bleibt deshalb nur zu hoffen, dass es in Nigeria und den anderen betroffenen Ländern
doch bald wieder Ansätze zum Dialog gibt.