Literaturnobelpreis geht nach China: „Kein Elfenbeinturm“
Er verquickt Volksmärchen
mit der Geschichte und Gegenwart Chinas, in kunstvoller Weise. Dafür bekommt der chinesische
Schriftsteller Guan Moye, der unter dem Pseudonym Mo Yan publiziert, den Literaturnobelpreis
2012. Im Gespräch mit Radio Vatikan fasst die Präsidentin des weltweit tätigen, unabhängigen
chinesischen PEN-Zentrums (ICPC), Tienchi Martin-Liao, das Besondere an Mo Yans Werk
in Worte.
„Er beschreibt zum Beispiel sehr gern Gewalt, Gewalt in verschiedenen
Formen. Zum Beispiel auch bei der Geburt eines Kindes, wie blutig das ist und dass
es nicht nur mit Freude im Leben zu tun hat, sondern auch mit Tötung und Angst. Er
beschreibt auch Arten des Tötens, wie Menschen sich gegenseitig töten. Und wenn das
noch nicht reicht, dann beschreibt er auch, wie man Tiere tötet. Das ist sehr besonders,
denn man findet solche Art von Literatur – in Sprache, Diktion und seinen Metaphern,
eine solche bildliche Darstellung von Gewalt – sehr selten in der chinesischen Literatur.
Insofern ist die Begründung des Komitees verständlich.“
Sprachlos – denn
das heißt „Mo Yan“ übersetzt – ist der in China viel gelesene Autor ganz sicher nicht,
was seine überaus dichte, ja nahezu „halluzinatorisch realistische“ Ausdrucksweise
betrifft. Yans Texte erinnern an Werke von William Faulkner und Gabriel García Márquez,
so das Nobelpreiskomitee.
Die Anprangerung von Missständen in der Volksrepublik
haben sich aber eher andere Schriftsteller auf die Fahnen geschrieben, so Martin-Liao,
die Mo Yan als „Lieblingsautor“ der chinesischen Regierung einordnet:
„Mo
Yan wird von der offiziellen Seite nicht nur akzeptiert, sondern bevorzugt. Das heißt,
er kann immer ins Ausland fahren, wenn er möchte, er bekommt sehr viele Einladungen
und sehr oft zahlt der Staat für ihn. Zum Beispiel war er 2009 zur Frankfurter Buchmesse
als Delegationsleiter mit einer großen Delegation von Autoren und Verlagsmenschen
nach Frankfurt gekommen.“
Im „Elfenbeinturm“ sieht die Literaturexpertin
den Vorzeigeschriftsteller trotz dieser Affinitäten dann aber doch nicht sitzen. Mo
Yan zeige „Verantwortungsgefühl“, wenn er in seinem Buch „Wa“ (Der Frosch) das Problem
der Ein-Kind-Politik in China schildere, meint die langjährige Beraterin der Laogai
Research Foundation in Washington, die über Menschenrechtsfragen in China informiert.
Das Buch erscheint im Frühjahr 2013 in einer deutschen Übersetzung.
„Frauen
werden in höheren Schwangerschaftsmonaten dazu gezwungen, abzutreiben. Frauen auf
dem Land, die die erlaubte Quote überschreiten und ein zweites oder drittes Kind bekommen,
wird das Haus abgerissen oder ihr Ehemann wird eingesperrt wie ein Tier. Das sind
Methoden, die man einfach nicht akzeptieren kann, egal, welche Bevölkerungsexplosion
es auch gibt. (…) Und da diese grausame Methode praktiziert wird überall in China,
hat Mo Yan das zum Thema gemacht. In seinem Roman ,Der Frosch‘ schildert er die Erlebnisse
einer Ärztin auf dem Land, ihre Alpträume, wie sie beteiligt war bei der Tötung der
Geborenen oder Ungeborenen.“
Wenn Mo Yan im Dezember nach Stockholm fährt,
um den Preis entgegenzunehmen, hofft Martin-Liao, dass die Welt dann auch an andere
chinesische Schriftsteller denkt, die ihrem Schaffen nicht so unproblematisch nachgehen
können wie ihr Kollege Mo Yan – zum Beispiel an den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo,
der seit 2008 im Gefängnis sitzt und 2010 nicht nach Oslo zur Preisverleihung durfte.
„Mo Yan wird mit großem Glanz nach Schweden reisen, um den Preis entgegenzunehmen.
Ich hoffe nur, dass die Welt versteht: Mo Yan hat den Preis bekommen, weil er ein
guter Autor ist, er hat es verdient. Aber viele seiner Kollegen sitzen im Gefängnis,
die haben nichts anderes getan, als ihre Meinung zu sagen, die Wahrheit beschrieben
und niedergeschrieben. So ist die Situation in China, das darf die Welt nie vergessen.“
Das
„Independent Chinese PEN Centre“ (ICPC), dem Tienchi Martin-Liao als Präsidentin vorsteht,
hat weltweit mehr als 300 Mitglieder, davon lebt die Hälfte in China, die andere im
Ausland.
Was es in China für manche Schriftsteller bedeutet, von den Behörden
„zum Tee eingeladen“ zu werden oder „beurlaubt“ zu werden, erfahren Sie im zweiten
Teil des Beitrags.
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