2012-10-11 08:45:00

„Es war ein glanzvoller Tag“: Wie sich der Papst ans Konzil erinnert


Fünfzig Jahre nach Beginn des Konzils erzählt der Papst, wie er sich an dieses Großereignis erinnert. Er war damals als theologischer Experte und Berater des Kölner Kardinals Frings mit dabei. Benedikts Text wurde am Mittwochabend von der Vatikanzeitung „L`Osservatore Romano“ veröffentlicht.

„Es war ein glanzvoller Tag, als am 11. Oktober 1962 mit dem feierlichen Einzug von über 2.000 Konzilsvätern in die Basilika Sankt Peter zu Rom das II. Vatikanische Konzil eröffnet wurde. Im Jahre 1931 hatte Pius XI. auf diesen Tag das Fest der Gottesmutterschaft Marias gelegt, zum Gedächtnis daran, dass 1.500 Jahre zuvor, im Jahr 431, das Konzil von Ephesus Maria diesen Titel feierlich zuerkannt hatte, um damit das unlösliche Miteinander von Gott und Mensch in Christus auszudrücken. Papst Johannes XXIII. hatte auf diesen Tag den Konzilsbeginn festgelegt, um die große Kirchenversammlung, die er einberufen hatte, der mütterlichen Güte Marias anzuvertrauen und die Arbeit des Konzils fest im Geheimnis Jesu Christi zu verankern. Es war beeindruckend, die Bischöfe aus aller Welt, aus allen Völkern und Rassen einziehen zu sehen: ein Bild der weltumspannenden Kirche Jesu Christi, in der sich die Völker der Erde in seinem Frieden vereinigt wissen.

Dies war ein Augenblick einer außerordentlichen Erwartung. Großes musste geschehen. Frühere Konzilien waren fast immer einer konkreten Frage wegen zusammengerufen worden, die sie beantworten sollten. Diesmal war kein bestimmtes Problem zu lösen. Aber umso mehr lag eine allgemeine Erwartung in der Luft: Das Christentum, das die westliche Welt gebaut und geformt hatte, schien immer mehr seine prägende Kraft zu verlieren. Es schien müde geworden, und die Zukunft schien von anderen geistigen Mächten bestimmt zu werden. Das Empfinden für diesen Gegenwartsverlust des Christentums und für die Aufgabe, die daraus folgte, war sehr genau zusammengefasst in dem Wort ,aggiornamento‘. Das Christentum muss im Heute stehen, um Zukunft formen zu können. Damit es wieder gestaltende Kraft für das Morgen werden könne, hatte Johannes XXIII. das Konzil einberufen, ohne ihm konkrete Probleme oder Programme vorzugeben. Dies war zugleich die Größe und die Schwierigkeit der Aufgabe, vor der die Kirchenversammlung stand.

„Große Erwartungen, unterschiedliche Vorstellungen“

Die einzelnen Episkopate gingen zweifellos mit unterschiedlichen Vorstellungen auf das große Ereignis zu. Manche kamen wohl mehr in einer Haltung der Erwartung auf das nun zu entwickelnde Programm. Die entschiedensten Vorstellungen hatte der mitteleuropäische Episkopat – Belgien, Frankreich, Deutschland. Ihre Akzentsetzungen waren im Einzelnen durchaus verschieden, aber es gab doch gemeinsame Prioritäten. Ein Grundthema war die Ekklesiologie, die heilsgeschichtlich, trinitarisch und sakramental vertieft werden sollte; dazu kam das Bedürfnis, die Primatslehre des I. Vaticanums durch eine Neugewichtung des Bischofsamtes zu ergänzen. Ein wichtiges Thema war für die mitteleuropäischen Episkopate die liturgische Erneuerung, mit deren Realisierung Pius XII. bereits begonnen hatte. Ein weiterer zentraler Akzent war besonders für den deutschen Episkopat die Ökumene: Das gemeinsame Bestehen der Verfolgung durch den Nazismus hatte protestantische und katholische Christen nahe aneinander geführt; dies musste nun gesamtkirchlich realisiert und weitergeführt werden. Dazu kam der Themenkreis Offenbarung – Schrift – Überlieferung – Lehramt. Bei den Franzosen rückte dann immer mehr das Thema des Verhältnisses zwischen Kirche und moderner Welt in den Vordergrund – die Arbeit am sogenannten Schema XIII, aus dem dann die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute hervorgewachsen ist. Hier war man an dem Punkt der eigentlichen Erwartung an das Konzil angelangt. Die Kirche, die noch im Barock in großem Sinn weltgestaltend gewirkt hatte, war seit dem 19. Jahrhundert zusehends in ein negatives Verhältnis zu der nun erst vollends begonnenen Neuzeit getreten. Musste das so bleiben? Konnte die Kirche den Schritt in die neue Zeit nicht positiv tun? Hinter dem verschwommenen Begriff ,Welt von heute‘ steht die Frage des Verhältnisses zur Neuzeit. Um sie zu klären, wäre nötig gewesen, das Wesentliche und Konstitutive für die Neuzeit genauer zu definieren. Das ist im ,Schema XIII‘ nicht gelungen. Auch wenn die Pastoralkonstitution viel Wichtiges zum Verständnis von ,Welt‘ aussagt und bedeutende Beiträge zur Frage der christlichen Ethik leistet, ist ihr eine wesentliche Klärung in diesem Punkt nicht gelungen.

Die Begegnung mit den großen Themen der Neuzeit fand unerwartet nicht in der großen Pastoralkonstitution statt, sondern in zwei kleineren Dokumenten, deren Wichtigkeit erst nach und nach in der Rezeption des Konzils zum Vorschein gekommen ist. Da ist zunächst die Erklärung über die Religionsfreiheit, die vor allem vom amerikanischen Episkopat mit großer Dringlichkeit gefordert und auch vorbereitet wurde. Die Lehre von der Toleranz, wie sie Pius XII. ausführlich entwickelt hatte, erschien angesichts der Entwicklung des philosophischen Denkens und des Selbstverständnisses des modernen Staates nicht mehr zureichend. Es ging um die Freiheit der Wahl und der Ausübung der Religion wie auch um die Freiheit, sie zu wechseln, als grundlegende Freiheitsrechte des Menschen. Von seinem inneren Grund her konnte eine solche Auffassung dem christlichen Glauben nicht fremd sein, der in die Welt getreten war mit dem Anspruch, dass der Staat über die Wahrheit nicht entscheiden und keine Art von Kult beanspruchen könne. Der christliche Glaube erforderte die Freiheit der religiösen Überzeugung und ihrer Ausübung im Kult, ohne damit das Recht des Staates in seiner eigenen Ordnung zu verletzen: Die Christen beteten für den Kaiser, aber sie beteten ihn nicht an. Insofern kann man sagen, dass das Christentum bei seinem Entstehen das Prinzip der Freiheit der Religion in die Welt getragen hat. Aber die Deutung dieses Freiheitsrechtes im Kontext des modernen Denkens war dennoch schwierig, weil es scheinen konnte, als ob die neuzeitliche Fassung der Religionsfreiheit die Unzugänglichkeit der Wahrheit für den Menschen voraussetze und damit von ihrem Grund her Religion in den Bereich des Subjektiven verlagere. Es war gewiss providentiell, dass 13 Jahre nach Konzilsende Papst Johannes Paul II. aus einem Land kam, in dem die Religionsfreiheit vom Marxismus, das heißt von einer bestimmten Form neuzeitlicher Staatsphilosophie her bestritten wurde. Der Papst kam gleichsam aus einer Situation, die derjenigen der frühen Kirche ähnelte, so dass wieder neu die innere Zuordnung des Glaubens auf das Thema der Freiheit, gerade auch der Freiheit von Glaube und Kult sichtbar wurde.

Lernende in der Schule des Heiligen Geistes

Das zweite Dokument, das sich als wichtig für die Begegnung der Kirche mit der Neuzeit erweisen sollte, ist fast zufällig entstanden und in mehreren Schichten gewachsen. Ich meine die Erklärung „Nostra ætate“ über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Am Anfang stand die Absicht einer Erklärung über das Verhältnis zwischen der Kirche und dem Judentum, ein Text, der nach den Schrecknissen der Shoah von innen her notwendig geworden war. Die Konzilsväter aus den arabischen Ländern setzten sich einem solchen Text nicht entgegen, erklärten aber, wenn man schon über das Judentum spreche, müsse man auch ein Wort zum Islam sagen. Wie recht sie damit hatten, ist uns im Westen erst allmählich aufgegangen. Schließlich wuchs die Einsicht, dass es richtig sei, auch über zwei andere große Religionen – Hinduismus und Buddhismus – sowie über das Thema Religion insgesamt zu sprechen. Dazu kam dann von selbst eine kurze Weisung über den Dialog und die Zusammenarbeit mit den Religionen, deren spirituelle, moralische und sozial-kulturelle Werte zu achten, zu hüten und zu fördern seien (2). Damit war in einem präzisen und außerordentlich dichten Dokument ein Thema eröffnet, dessen Wichtigkeit damals noch nicht abzusehen war. Welchen Auftrag es einschließt, wie viel Mühe der Unterscheidung des Klärens und des Verstehens noch zu leisten ist, wird immer mehr sichtbar. In diesem Prozess aktiver Rezeption ist auch eine Schwäche dieses an sich großartigen Textes allmählich deutlich geworden: Er spricht von Religion nur positiv und lässt dabei die kranken und gestörten Formen von Religion beiseite, die geschichtlich und theologisch von großer Tragweite sind: Der christliche Glaube war deshalb von Anfang an nach innen wie nach außen auch religionskritisch.

Wenn am Anfang des Konzils die mitteleuropäischen Episkopate mit ihren Theologen dominierend gewesen waren, so hat sich im Lauf der Konzilsperioden der Radius der gemeinsamen Arbeit und Verantwortung immer mehr ausgeweitet. Die Bischöfe wussten sich als Lernende in der Schule des Heiligen Geistes und in der Schule der gegenseitigen Zusammenarbeit, aber gerade so als im Glauben lebende und wirkende Diener des Gotteswortes. Die Konzilsväter konnten und wollten nicht eine neue, eine andere Kirche schaffen. Dafür hatten sie weder Vollmacht noch Auftrag. Väter des Konzils mit Stimme und Entscheidungsrecht waren sie nur als Bischöfe, das heißt auf dem Grund des Sakraments und in der Kirche des Sakraments. Sie konnten und wollten deshalb nicht einen anderen Glauben oder eine neue Kirche schaffen, sondern nur beides tiefer verstehen und so wahrhaft „erneuern“. Deshalb ist eine Hermeneutik des Bruchs absurd, gegen den Geist und gegen den Willen der Konzilsväter.

In Kardinal Frings hatte ich einen „Vater“, der diesen Geist des Konzils beispielhaft lebte. Er war von großer Offenheit und Weite, aber er wusste auch, dass nur der Glaube ins Freie, in die Weite hinausführt, die der positivistischen Einstellung verschlossen bleibt. Diesem Glauben wollte er mit der im Sakrament der Bischofsweihe empfangenen Vollmacht dienen. Ich kann ihm immer nur dankbar bleiben, dass er mich – den jüngsten Professor der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn – als seinen Berater zu der großen Kirchenversammlung mitgenommen hat, so dass ich mit in dieser Schule war und den Weg des Konzils von innen her mitgehen durfte. In dem vorliegenden Band sind die verschiedenen Schriften gesammelt, mit denen ich mich in dieser Schule zu Worte gemeldet habe. Es sind durchaus bruchstückhafte Wortmeldungen, in denen auch der Prozess des Lernens sichtbar wird, den Konzil und Konzilsrezeption für mich bedeuteten und bedeuten. Ich hoffe, dass diese vielfältigen Beiträge bei all ihren Grenzen insgesamt doch dazu beitragen können, das Konzil besser zu verstehen und in rechtes kirchliches Leben umzusetzen. Erzbischof Gerhard Ludwig Müller und den Mitarbeitern des Instituts Papst Benedikt XVI. danke ich von ganzem Herzen für die außerordentliche Mühe, die sie für die Entstehung dieses Bandes auf sich genommen haben.

Castel Gandolfo, am Fest des heiligen
Bischofs Eusebius von Vercelli,
Benedikt XVI.
2. August 2012



(rv 11.10.2012 sk)








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