Die Stammzellforscher
John Gurdon und Shinya Yamanaka erhalten den diesjährigen Medizin-Nobelpreis. Positive
Reaktionen dazu kommen von Vertreter der katholischen Kirche. Die beiden Forscher
gelten als Vorbild für ein ethisch korrektes Vorgehen, weil sie mit adulten Stammzellen
arbeiten. Kurienkardinal Elio Sgreccia ist Präsident der Lebensschutz-Stiftung „Ut
vitam habeant“ und ehemaliges Mitglied der italienischen Bioethikkommission. Er begrüßt
die Auszeichnung der beiden Forscher: Es sei wichtig, dass sich die Wissenschaft mit
adulten Stammzellen beschäftige, sagte Sgreccia im Gespräch mit Radio Vatikan.
„Die
adulten Stammzellen haben bereits vielversprechende Resultate hervorgebracht, während
es bei embryonalen Stammzellen keine nennenswerte Ergebnisse gibt. Aus katholischer
Sicht ist die embryonale Stammzellforschung nicht hinnehmbar, weil das ungeborene
Leben zerstört wird. Die adulte Stammzellforschung hingegen ist eine ethisch akzeptable
Variante.“
Das schwedische Nobelpreis-Komitee hatte am Montag bekanntgegeben,
die wichtigste Auszeichnung der medizinischen Wissenschaft in diesem Jahr an John
B. Gurdon von der University of Cambridge und Shinya Yamanaka von der Kyoto University
zu verleihen. Beide Forscher haben Grundsteine für jene Forschung gelegt, die reife
Körperzellen erwachsener Lebewesen zu noch wandlungsfähigen Stammzellen, sogenannten
induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS), zurückverwandelt. Diese Entdeckung könnte
das Klonen von Menschen bald möglich machen, warnt Weihbischof Anton Losinger der
die katholische Kirche im Deutschen Ethikrat vertritt, im Münchner Kirchenradio.
„Das
Wissen um rückprogrammierbare Zellen hat in jedem Fall weitreichende Folgen. Der Vorteil
liegt darin, dass man in Zukunft auf die Verwendung embryonaler Stammzellen verzichten
kann. Das ist eine sehr positive Wendung. Wenn aber bei der Reprogrammierung von Körperzellen
nicht nur pluripotente Zellen, sondern auch totipotente Zellen erzeugt werden können,
ist man nicht mehr weit entfernt von der Frage des Klonens von Menschen. Aus einer
totipotenten Zelle lässt sich im Unterschied zur pluripotenten ein ganzes Individuum
entwickeln.“
Die reproduktive und medizinische Absicht des Klonens, menschliche
Wesen aus Körperzellen zu erzeugen, sei zwar noch Zukunftsmusik. Trotzdem werde mit
den neuesten Erkenntnissen „eine Schallmauer durchbrochen“, so der Augsburger Weihbischof
weiter.
„Das zeigen aktuelle Forschungen in Japan. Dort hat man es bereits
geschafft, aus Körperzellen von Mäusen lebendige Mäuse herzustellen. Wenn es sich
abzeichnet, dass reproduktives Klonen von Menschen möglich wird, dann muss der Gesetzgeber
handeln. Außerdem muss vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt werden, was es bedeutet,
wenn ein Mensch identisch zu einem existierenden Menschen durch ein Klonverfahren
hergestellt werden kann.“
Der Wiener Theologe und Bioethiker Matthias Beck
sieht das genauso. Denn obwohl es noch Zukunftsmusik sei, könne man Körperzellen Erwachsener
zu IPS-Zellen reprogrammieren und daraus Ei- und Samenzelle herstellen, was in Tierversuchen
bereits gelinge.
„Das wäre zunächst ethisch auch unbedenklich. Aber wenn
man damit Embryonen herstellt, was macht man mit ihnen? Angesichts sinkender Fertilität
sind derartige Szenarien nicht auszuschließen. Ich rate, fürs erste die Forschungsergebnisse
abzuwarten, wofür sich IPS tatsächlich einsetzen ließen, ehe sicherlich eine neue
ethische Diskussion stattfinden wird.“
Die Nominierung zweier Pioniere
der Erforschung pluripotenter Stammzellen für den Medizinnobelpreis 2012 ist für den
Wiener Theologen Beck dennoch ein „großer Schritt in die richtige Richtung“.
„Die
vor zehn Jahren begonnene embryonale Stammzellenforschung für die Therapie sehe ich
mittlerweile auf europäischer Ebene als tot: Man hat gemerkt, dass die embryonalen
Stammzellen zur Krebserkrankung führen. Diese Gefahr trifft bisher auch auf die IPS-Zellen
zu. Dennoch stufe ich diesen Forschungsbereich als zukunftsträchtig ein und halte
es für möglich, dass in absehbarer Zeit Therapien begonnen werden.“
Forscher
reagierten auf die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees zunächst mit der Hoffnung,
dass sich aus den von Gurdon und Yamanaka entdeckten Stammzellen eines Tages Ersatzgewebe
oder sogar ganze Organe erschaffen lassen können, die vom Empfänger nicht abgestoßen
werden. Der Medizin-Nobelpreis wird am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred
Nobel, in Stockholm verliehen.