Kardinal Donald William Wuerl, Erzbischof von Washington (USA) Es ist
mir eine große Ehre, bei dieser Synode als Generalrelator meinen Dienst zu leisten,
und ich bin unserem Heiligen Vater dankbar für dieses Privileg. Wir beginnen nun mit
unseren Arbeiten über die Neuevangelisierung zur Weitergabe des christlichen Glaubens.
Ich möchte daher einige Punkte behandeln, die, so hoffe ich, dazu beitragen werden,
unsere Beratungen zu umreißen und einige Themen zur gemeinsamen Reflexion zu bieten.
Keiner
von uns ist zu dieser Synode gekommen ohne die vorausgehende Vorbereitung, die in
unserem pastoralen Dienst enthalten ist und die ihrerseits auch von der Arbeit des
Generalsekretariats der Bischofssynode gespeist wird, das zunächst die Lineamenta
erarbeitet hatmit den Ratschlägen und Vorschlägen der Bischofskonferenzen,
der Synoden der katholischen Kirchen sui iuris, der Dikasterien der Römischen
Kurie, der Bischöfe ohne Bischofskonferenzen und der Union der Ordensoberen. Anregungen
kamen auch von einzelnen Bischöfen, Frauen und Männern des geweihten Lebens und Laiengläubigen,
wobei die kirchlichen Bewegungen und Vereinigungen nicht vergessen werden dürfen.
Vor kurzem wurde uns auch das Instrumentum laboris geschenkt, das in seinen
eingehenden Überlegungen das Augenmerk auf die Neuevangelisierung richtet. Das Instrumentum
gibt bereits einen Orientierungsrahmen für einen großen Teil der Synodenberatungen,
und es ist meine Absicht, einige Abschnitte herauszustellen, die eingehender behandelt
werden können. In meinen Ausführungen werde ich auf das Instrumentum laboris Bezug
nehmen.
In meine Beobachtungen möchte ich folgende Punkte einschließen:
1)
was und wen wir verkünden- das Wort Gottes; 2) neue Ressourcen, die uns bei dieser
Aufgabe helfen; 3) Begleitumstände unserer Zeit, die diese Synode notwendig machen; 4)
Elemente der Neuevangelisierung; 5) einige theologische Prinzipien für die Neuevangelisierung; 6)
Eigenschaften der Träger der Neuevangelisierung; und schließlich 7) Charismen der
Kirche heute, um die Aufgabe der Neuevangelisierung zu unterstützen
1)
Was / Wen wir verkünden
Im Mittelpunkt unserer Verkündigung steht Jesus, sein
Evangelium und sein Weg. Christliches Leben ist definiert als eine Begegnung mit Jesus.
Als Jesus zum ersten Mal zu uns kam, bot er eine völlige neue Art zu leben an. Die
Begeisterung breitete sich aus, so wie der Sohn Gottes, der auch einer von uns ist,
das Kommen des Gottesreiches verkündete. Auch heute lädt er uns ein, seine Jünger
zu werden, und bietet uns einen Platz in seinem Reich an, so wie er es bei jenen tat,
die ihm zuhörten. Und dies war in den vergangenen zwanzig Jahrhunderten so. Mit dem
immer besseren Verständnis seiner Botschaft wurde auch immer klarer, dass Jesus uns
nicht nur eine völlig neue Art zu leben anbietet, sondern auch eine neue Art zu sein.
Der heilige Petrus schreibt: “Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus
Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu geboren, damit wir durch die Auferstehung
Jesu Christi von den Toten eine lebendige Hoffnung haben...” ( 1 Petr 1,3). Dieses
neue Leben als Kinder Gottes durch die Taufe ist uns von Jesus selbst offenbart worden:
“Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann
er nicht in das Reich Gottes kommen” (Joh 3,5). (vgl. Instrumentum laboris Nr.
18-19, Nr. 31)
Wir freuen uns, weil wir als Kinder angenommen worden sind,
und der heilige Johannes versichert uns, das diese Annahme an Kindes Statt keine juristische
Fiktion ist: “Seht wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen
Kinder Gottes, und wir sind es” (1 Joh 3,1).
Das Evangelium, zu dessen Verkündigung
Jesus Christus gekommen ist, ist nicht eine Nachricht über Gott, sondern Gott selbst
in unserer Mitte. Gott hat sich selbst sichtbar, hörbar, berührbar gemacht. Im Gegenzug
will er unsere Liebe.
In der im Matthäusevangelium enthaltenen Bergpredigt
hören wir von eine neue Lebensweise und was diese mit dem Barmherzigen, dem nach Gerechtigkeit
Dürstenden, dem Trauernden, dem Friedfertigen, dem Armen im Geiste zu tun hat. Hier
hören wir von der Berufung, Salz der Erde und Licht auf dem Leuchter zu sein. Später
hören wir im selben Evangelium die aussergewöhnliche Formulierung, dass wir im Nächsten
die Gegenwart Christi selbst sehen sollen. Die Jünger Jesu sind dazu gerufen, eine
Welt für möglich zu halten, in der nicht nur der Hungrige gesättigt, der Durstige
getränkt, der Fremde aufgenommen und der Nackte bekleidet wird, sondern dass sogar
Sünden vergeben werden und das Unterpfand für das ewige Leben gegeben wird. (Vgl.
Instrumentum laboris Nr. 23, Nr. 28-29)
Jesus zieht uns an sich. Die
Freude, die wir erfahren drängt uns, sie mit anderen zu teilen. Wir sind nicht nur
Jünger, sondern wir sind Missionare, Verkünder des Evangeliums. Wie die ersten Jünger
sollen wir uns selbst an der Seite Jesu sehen, der als Sämann die Samen einer neuen
Lebensweise aussät, Samen der Teilhabe an einem Königreich, das für immer bestehen
wird (vgl. Mt 13, 1-9, 18-23; Mk 4,3; Lk 8, 5). (vgl. Instumentum laboris Nr.
25 und Nr. 34)
Dieselbe Sicht müssen wir heute haben, wenn wir andere einladen,
das Evangelium aufzuschlagen und von dem Ruf zu lesen, Reben am Weinstock des Herrn
zu sein, von dem Brot des ewigen Lebens zu essen und die Worte der Wahrheit zu hören,
Worte die auf immer bestehen werden. Wir müssen mit lebendigem Glauben, fester
Überzeugung und freudigem Zeugnisgeben fähig sein, unsere Verkündigung zu erneuern,
in der Überzeugung, dass Gott so wie in vergangenen Zeiten auch heute immer noch zu
uns spricht. So sagt das Nachsynodale Apostolische Schreiben Verbum Domini des
Heiligen Vaters ganz klar: “Die Beziehung zwischen Christus, dem Wort des Vaters,
und der Kirche kann nicht einfach nur als Ereignis der Vergangenheit verstanden werden,
sondern es ist eine lebendige Beziehung, in die persönlich einzutreten jeder Gläubige
berufen ist. Tatsächlich sprechen wir von der Gegenwart des Wortes Gottes heute bei
uns: ‘Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt’ (Mt 28,20)” (51).
Was
unseren katholischen Glauben heute auszeichnet, ist genau dieses Verständnis von der
Kirche als fortdauernder Gegenwart Christi, dem Mittler von Gottes rettendem Eingreifen
in unsere Welt, und der Kirche als Sakrament von Gottes heilsbringendem Handeln. Das
Zweite Vatikanische Konzil hat in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen
Gentium am Anfang daran erinnert, dass “die Kirche [... ] ja in Christus gleichsam
das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott
wie für die Einheit der ganzen Menschheit [ist]...”. (1) (vgl. Instrumentum laboris
Nr. 27).
Die intellektuelle und ideologische Trennung von Christus und seiner
Kirche ist einer der ersten Fakten, mit denen wir bei dem Versuch einer Neuevangelisierung
von Kultur und Menschen heute umzugehen haben. Schon in seiner Enzyklika Gott ist
die Liebe (Deus caritas est) hat uns der Heilige Vater daran erinnert,
dass “die Kirche [...] Gottes Familie in der Welt” ist und dass sich “das Wesen der
Kirche in einem dreifachen Auftrag aus [drückt]: Verkündigung von Gottes Wort (kerygma-martyria),
Feier der Sakramente (leiturgia), Dienst der Liebe (diakonia)”. Weiter unterstreicht
er, dass dies “Aufgaben [sind], die sich gegenseitig bedingen und sich nicht voneinander
trennen lassen” (25).
Alles, was die Kirche ist, hat sie von Christus empfangen.
Die erste und kostbarstes Gabe ist die aus dem Ostermysterium gewonnene Gnade: aus
seinem Leiden, Tod und seiner glorreichen Auferstehung. Jesus hat uns aus der Macht
der Sünde befreit und uns vom Tod errettet. Die Kirche empfängt von ihrem Herren nicht
nur die überwältigende Gnade, die er für uns verdient hat, sondern auch die Aufgabe,
seinen Sieg mittzuteilen und zu verkündigen. Wir sind dazu aufgerufen, die Frohbotschaft
Jesu Christi treu der Welt zu übermitteln. Die erste Aufgabe der Kirche ist die Evangelisierung.
(Vgl. Instrumentum laboris Nr. 23-26).
Eine der Herausforderungen, die
einerseits die Neuevangelisierung dringend macht und andererseits eine Barriere gegen
sie bildet, ist der heutige Individualismus. Unsere Kultur und der Schwerpunkt in
vielen Teilen der gegenwärtigen Gesellschaft heben den Einzelnen hervor und schätzen
die für jede Person notwendige Bindung an andere gering. In unserer Gesellschaft,
die individuelle Freiheit und Autonomie, persönliche Selbstverwirklichung und Dominanz
wertschätzt, verliert man leicht unsere Abhängigkeit von anderen und unsere Verantwortung
für sie aus den Augen. In seiner Ansprache an die nordamerikanischen Bischöfe während
seines Washingtonbesuches 2008 hat uns unser Heiliger Vater gelehrt, dass die Betonung
unserer persönlichen Beziehung zu Gott auf Kosten unserer Berufung in die Mitgliedschaft
einer erlösten Gemeinschaft “nur ein weiterer Beweis dafür [ist], dass eine Erneuerung
der Evangelisierung der Kultur dringend ansteht” (vgl. Instrumentum Laboris Nr. 7,
Nr. 35, Nr. 43-44, Nr. 48).
Die Kirche wird niemals müde, die vom Herrn empfangene
Gabe zu verkünden. Das Zweite Vatikanische Konzil hat daran erinnert, dass die Evangelisierung
das Herzstück der Kirche ist. In Lumen Gentium, dem grundlegenden Text und
Kern der Aussagen des Konzils über das Leben der Kirche, unterstreichen die Konzilsväter:
“Diesen feierlichen Auftrag Christi zur Verkündigung der Heilswahrheit hat die Kirche
von den Aposteln erhalten und muss ihn erfüllen bis zu den Grenzen der Erde” (17).
Das Konzil spricht überzeugend von der Wahrheit, dass die göttliche Sendung, die Jesus
der Kirche übertragen hat, in den Aposteln und ihren Nachfolgern bis an das Ende der
Welt fortdauert. (Vgl. Instrumentum laboris Nr. 27 und Nr. 92)
2) Neue
Ressourcen
Wir stellen uns der Aufgabe der Neuevangelisierung nicht innerhalb
eines luftleeren Raumes. Seit Jahrzehnten hat das päpstliche Lehramt die Kirche zu
einem tiefen Bewusstsein sowohl der Problematik als auch der Art und Weise, wie ihr
zu begegnen ist, geführt. Papst Paul VI. hat das Interesse daran angestoßen, der selige
Papst Johannes Paul II. zu einem tieferen Bewusstsein ihrer Notwendigkeit gedrängt,
und unser Heiliger Vater, Papst Benedikt XVI., hat diese Aufgabe der Kirche zu einem
beständigen Thema seiner Lehre und Predigt gemacht.
In seinem Apostolischen
Schreiben Evangelii nuntiandi hat Papst Paul VI. die Lehre des Konzils wiederaufgenommen,
wenn er sagt, die Kirche ist “eine Gemeinschaft, die ihrerseits evangelisiert. Der
Auftrag, der den Zwölf gegeben wurde – ‘Gehet hin, verkündet die Frohbotschaft’ –,
gilt auch, wenngleich in anderer Art, für alle Christen... Im übrigen gilt die Frohbotschaft
vom Reich, das kommt und das angefangen hat, für alle Menschen aller Zeiten. Jene,
die sie empfangen haben, jene, die sie zu einer Gemeinschaft des Heils versammelt,
können und müssen sie mitteilen und ausbreiten” (13). In diesem historischem Dokument,
das zehn Jahre nach dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils veröffentlicht
wurde, erkannte der Papst die Dringlichkeit einer “neuen Zeit der Evangelisierung”.
(vgl. Instrumentum laboris Nr. 3 und Nr. 27)
Das Pontifikat des seligen
Johannes Paul II. hat uns häufige Bezugnahmen auf die Elemente der Neuevangelisierung
und eine mutmachenden Unterweisung geschenkt: im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben
Catechesi Tradendae, im nach der Synode über die Laien veröffentlichten Schreiben
Christifideles Laici sowie in der Enzyklika Redemptoris Missio. Der
selige Johannes Paul II. hat uns in Erinnerung gerufen, dass die Evangelisierung
“der vorrangige Dienst (ist), den die Kirche jedem einzelnen und der Menschheit insgesamt
anbieten kann”, und er hat den Einsatz für eine Evangelisierung angeregt, die “neu
im Eifer, in den Methoden und in ihrer Durchführung.” ist (vgl Instrumentum laboris
Nr. 130, Nr. 100-101)
Papst Benedikt XVI. hat bekräftigt, dass die Unterscheidung
der “neuen Erfordernisse der Evangelisierung” “die prophetische Aufgabe der Päpste”
ist. Er betonte, dass “die gesamte Aktivität der Kirche ein Ausdruck der Liebe ist”,
welche die Welt zu evangelisieren sucht. Mit der Bekanntgabe der Schaffung einer neuen
vatikanischen Behörde für die Neuevangelisierung in der Predigt am Fest der Apostel
Peter und Paul in der Basilika St. Paul vor den Mauern hat unser Heiliger Vater diesem
Einsatz eine formale Struktur gegeben und hat die Notwendigkeit und die all-umfassende
Natur dieser Sendung der Kirche verdeutlicht. (vgl. Instrumentum laboris Nr.
130, Nr. 149)
Eine andere Quelle, die der universalen Kirche bei diesem Bemühen
zur erneuten Präsentation des Evangeliums zur Verfügung steht, ist der Katechismus
der Katholischen Kirche. Dieses Kompendium des Glaubens in seinen vielfältigen
Manifestationen und Anwendungen ist ein helles Licht in dem, was leider in zu vielen
Fällen Finsternis der religiösen Ignoranz geworden ist (vgl. Instrumentum laboris
Nr. 100-101).
3) Begleitumstände unserer Zeit Der dramatischen Veränderungen
unterworfene gesellschaftliche Hintergrund für die Annahme, die Aneignung und das
Leben des Glaubens ist der Kontext dieser Synode. Der Aufruf, den katholischen Glauben,
die Botschaft des Evangeliums, die Lehre Christi erneut vorzuschlagen, ist gerade
deshalb notwendig, weil wir so vielen Menschen begegnen, die diese Heilsbotschaft
zwar gehört haben, für die diese Verkündigung aber jetzt schal geworden ist. Die Vision
ist verblasst. Die Verheißungen scheinen leer zu sein oder keinen Bezug zum wirklichen
Leben zu haben (vgl. Instrumentum laboris Nr. 41-44).
In der Kirche
haben wir es in vielen Fällen, insbesondere in den meisten Ländern der so genannten
“Ersten Welt”, mit einem dramatischen Rückgang der Glaubenspraxis der bereits Getauften
zu tun. Unser Heiliger Vater hat darüber hinaus präzisiert, dass das Werk der Neuevangelisierung
darin besteht, Jesus Christus und sein Evangelium in den Ländern zu verkünden, “wo
zwar schon eine erste Verkündigung des Glaubens erfolgte und es Kirchen alter Gründung
gibt, die aber eine fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft und eine Art
‘Finsternis des Sinnes für Gott’ erleben” (28. Juni 2010; vgl. Instrumentum laboris
Nr. 52-53, Nr. 94).
Die Antworten der Bischöfe aus der so genannten Dritten
Welt - den erst in jüngerer Zeit evangelisierten Gesellschaften - weisen auf dieselben
Erfahrungen in ihren Ortskirchen hin (vgl. Instrumentum laboris Nr. 87-89).
Die
gegenwärtige Situation hat ihre Wurzeln in den Umbrüchen der 1970er und 1980er Jahre,
Jahrzehnte, in denen es offenkundig eine mangelhafte oder fehlerhafte Katechese auf
vielen Unterrichtsebenen gab. Wir standen vor einer Hermeneutik der Diskontinuität,
von der das Milieu der höheren Bildungszentren durchdrungen war und sich auch in einer
irrigen liturgischen Praxis widerspiegelte. Ganze Generationen wurden getrennt von
dem System der Unterstützung, das die Glaubensweitergabe erleichterte. Es ist, als
hätte sich der Einfluss der Säkularisierung wie ein Tsunami über die kulturelle Landschaft
ergossen und wichtige Kennzeichen der Gesellschaft wie Ehe, Familie, den Begriff des
Gemeinwohls und des objektiven “richtig” und “falsch” hinweggespült. Tragischerweise
haben die Sünden einiger weniger dem Misstrauen gegenüber den Strukturen der Kirche
Vorschub geleistet (vgl. Instrumentum laboris Nr. 69, Nr. 95, Nr. 104).
Die
Säkularisierung hat zwei Generationen von Katholiken geformt, die die Grundgebete
der Kirche nicht mehr kennen. Viele sehen keinen Wert in der Teilnahme an der heiligen
Messe, unterlassen es, das Bußsakrament zu empfangen, und haben oft den Sinn für das
Geheimnis oder die Transzendenz verloren als etwas, das reale und nachweisbare Bedeutung
hat.
All das oben Genannte hatte zur Folge, dass ein großer Teil der Gläubigen
schlecht darauf vorbereitet war, mit einer Kultur umzugehen, die - wie unser Heiliger
Vater auf seinen vielen Reisen in die ganze Welt unterstrichen hat - gekennzeichnet
ist von Säkularismus, Materialismus und Individualismus.
Aber die heutige Situation
ist nicht in allem düster. So wie es möglich ist, die Ursachen oder zumindest die
Anlässe für die heutige negative Situation auszumachen, so ist es auch möglich, eine
zunehmend erkennbare positive Antwort festzustellen. Viele Menschen, vor allem die
Jugendlichen, die der Kirche entfremdet wurden, sind der Meinung, dass die säkularisierte
Welt keine angemessenen Antworten auf die ewigen und tiefen Fragen des menschlichen
Herzens hat (vgl. Instrumentum laboris Nr. 63-64, Nr. 70-71).
Viele
Hirten haben bemerkt, dass sich die Neuevangelisierung auf zwei Ebenen zugleich entfaltet,
nämlich in der Einführung der Kinder in den Glauben und die Unterrichtung ihrer Eltern
im Glauben. Für viele Lehrer und diejenigen, die bereits in der Katechese unterrichtet
sind, ist dies ein besonders bereichernder Moment, denn die jungen Erwachsenen nähern
sich dieses Mal dem Glauben mit einer viel größeren Offenheit, weil sie selbst mehr
wissen wollen.
Kontaktpunkte finden sich für viele junge Erwachsene heute in
den Programmen der Universitätspastoral an weltlichen Universitäten und höheren Schulen,
in Pfarrei- oder Diözesanprogrammen mit einem Schwerpunkt auf aktuellen wichtigen
Fragestellungen sowie in auf die Familie zugeschnittene Veranstaltungen für diejenigen,
die Kinder haben und sowohl spirituelle als auch soziale Unterstützung suchen.
Heutzutage
sollte auch die Familie selbst als vorbildlicher Ort der Neuevangelisierung und damit
zusammenhängenden Lebensfragen besonders erwähnt werden. Während die zeitgenössische
Gesellschaft das traditionelle Familienleben herunterspielt oder sogar lächerlich
macht, bleibt dies jedoch eine natürliche Realität und der erste Baustein der Gemeinschaft.
Die Familie ist der natürliche und normale Kontext für die Weitergabe des Glaubens
und der Werte und ebenso die Realität, auf die wir unser ganzes Leben lang häufig
zurückkommen, um Unterstützung zu finden (vgl. Instrumentum laboris Nr.110-113).
Ein
immer offensichtlicheres Merkmal der Neuevangelisierung ist, dass unsere Bemühungen,
das Evangelium zu verbreiten, uns nicht länger notwendigerweise in fremde Länder und
zu weit entfernten Völkern führen. Die Menschen, die es nötig haben, erneut von Christus
zu hören, sind mitten unter uns, in unserer Nachbarschaft und in unseren Pfarreien,
auch wenn sie im Herzen und im Geist weit von uns entfernt sind. Immigration und weit
verbreitete Migration haben ein neues nachbarschaftliches Umfeld geschaffen, das nur
zu oft wirklich eine Übung der Neuevangelisierung ist.
Die Missionare der Erstevangelisierung
überwanden immense geographische Distanzen, um die Frohe Botschaft zu verbreiten.
Wir, die Missionare der Neuevangelisierung, müssen ideologische Distanzen überwinden,
die genauso immens sind, und das häufig, bevor wir über unsere Nachbarschaft oder
Familie hinausgekommen sind.
4) Elemente der Neuevangelisierung
Die
Neuevangelisierung ist kein Programm, sie ist eine Art, zu denken, zu sehen und zu
handeln. Sie ist eine Art Linse, durch die wir die Möglichkeit sehen, das Evangelium
erneut zu verkünden. Sie ist auch Zeichen für das Weiterwirken des Heiligen Geistes
in der Kirche.
Im Kern besteht die Neuevangelisierung darin, erneut eine Begegnung
mit dem auferstandenen Herrn, mit seinem Evangelium und seiner Kirche denjenigen anzubieten,
die die Botschaft der Kirche nicht mehr anziehend finden. Ich glaube, es gibt drei
verschiedene, jedoch miteinander zusammenhängende Phasen:
a) die Erneuerung
oder Vertiefung unseres Glaubens sowohl auf intellektueller als auch auf emotionaler
Ebene (vgl. Instrumentum laboris Nr.24, Nr. 37-40, Nr. 118-119, Nr. 147-158) b)
ein neues Vertrauen in die Wahrheit unseres Glaubens (vgl. Instrumentum laboris
Nr.31, Nr. 41, Nr. 46, Nr. 49, Nr. 120) und c) die Bereitschaft, ihn mit anderen
zu teilen (vgl. Instrumentum laboris Nr. 33-34, Nr. 81) Die Neuevangelisierung
beginnt bei jedem einzelnen von uns, indem wir es uns zur Aufgabe machen, unser Glaubensverständnis
und unsere Aneignung des Glaubens zu erneuern, und zwar so, dass die Botschaft des
Evangeliums und dessen Umsetzung im Heute tiefer, bereitwilliger und freudiger erfasst
wird.
Unser Bemühen um eine erneute Wertschätzung des Glaubens sollte ein neues
Vertrauen in die Wahrheit unserer Botschaft zur Folge haben. Leider haben wir erlebt,
wie dieses Vertrauen nur allzu lange durch die Übernahme eines großen Teils des säkularen
Wertesystems untergraben wurde, das sich in den vergangenen Jahrzehnten durchgesetzt
hat als eine höherwertige und bessere Lebensweise als diejenige, die von Jesus, seinem
Evangelium und seiner Kirche vorgeschlagen wird. Im schulischen und theologischen
Bereich der Kultur, der die Hermeneutik der Diskontinuität widerspiegelt, wurde die
Sicht des Evangeliums nur zu oft verdunkelt und eine sichere, überzeugte Stimme machte
den Entschuldigungen Platz für das, woran wir festhalten und was wir glauben.
Im
Evangelium lesen wir, dass Jesus lehrte, wie jemand, der Vollmacht hat (Mk 1,21-22).
Er lehrte aus seiner eigenen Identität heraus. Jesus besitzt Autorität aufgrund dessen,
wer er ist. “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben”, verkündete er (Joh 14,6).
Diese göttliche Pädagogik bleibt das Vorbild für uns heute. Diese Wahrheit - die Offenbarung
dessen, wer Jesus ist - teilt er uns durch die Kirche mit. Jesus hat uns nicht als
Waisen zurückgelassen. Als er zu seinem Vater zurückkehrte gab er denjenigen, die
er erwählt und mit dem Heiligen Geist gesalbt hatte den Auftrag, all das, was er ihnen
mitgeteilt hatte, zu lehren und es bis an die Enden der Erde zu verkünden.
Viele
Menschen, die heute Vergewisserung suchen hinsichtlich des Wertes und der Bedeutung
des Lebens werden überzeugt von der klaren, eindeutigen und vertrauenswürdigen Botschaft
Christi, wie sie in seiner Kirche dargelegt wird. Um dies gut zu tun, müssen wir das
“Peinlichkeits-Syndrom” überwinden, wie manche das mangelnde Vertrauen in die Wahrheit
des Glaubens und in die Weisheit des Lehramtes bezeichnet haben, das unsere Epoche
kennzeichnet.
Das dritte Element der Neuevangelisierung muss die Bereitschaft
und der Wunsch sein, den Glauben zu teilen. Vor allem in der westlichen Welt gibt
sehr viele, die bereits von Jesus gehört haben. Für uns besteht die Herausforderung
darin, mitten in ihrem alltäglichen Leben und ihrer konkreten Situation ein neues
Bewusstsein und eine neue Vertrautheit mit Jesus zu entfachen. Wir sind nicht nur
zur Verkündigung aufgerufen, sondern auch dazu, unsere Vorgehensweise so anzupassen,
dass eine ganze Generation angezogen und dazu gebracht wird, den unkomplizierten,
aufrichtigen und spürbaren Schatz der Freundschaft mit Jesus wiederzufinden.
Der
erste Moment jeder Evangelisierung entspringt nicht einem Programm, sondern der Begegnung
mit einer Person: mit Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Die Kirche bekräftigt: “Der
Herr Jesus Christus selbst, der in seiner Kirche gegenwärtig ist, geht dem Werk der
Verkünder des Evangeliums voraus, begleitet es und folgt ihm, und lässt so ihre Arbeit
fruchtbar werden: Was sich am Anfang ereignet hat, setzt sich durch die ganze Geschichte
hindurch fort” (Kongregation für die Glaubenslehre, Lehrmäßige Note zu einigen
Aspekten der Evangelisierung, 1).
Wir vertrauen zuallererst und zu jeder
Zeit auf Jesus. Er ist der Eckstein. Wenn wir uns denen nähern, die im Glauben erkaltet
sind oder Abstand genommen haben von ihm, ist der Prüfstein stets die Einfachheit
der Lehre, die motiviert und den Menschen in der Tiefe anspricht. Wir wenden uns unseren
Brüdern und Schwestern zu, die das Sakrament der Taufe empfangen haben und trotzdem
nicht mehr am Leben der Kirche teilnehmen. Ihnen bieten wir unsere Erfahrung der Liebe
Jesu an, nicht eine philosophische Abhandlung über das Verhalten.
Die Art und
Weise, wie wir kommunzieren, muss Zugang zu den Herzen finden, so dass der Heilige
Geist unsere Brüder und Schwestern wieder mit der Freundschaft mit Jesus vertraut
machen kann, der allein “der Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte”
ist (Gaudium et spes, 10).
Das persönliche Zeugnis derer, die Jesus
nachfolgen, ist schon in sich selbst eine Verkündigung des Wortes. Unsere Botschaft
muss daher heute in unserem Lebenszeugnis verwurzelt sein. Dies sollen auch Momente
der Einladung sein und nicht des Scheltens.
Wir müssen der Welt unsere Freude
mitteilen, endgültig und vollkommen geliebt und daher zur Liebe fähig zu sein. Unsere
Botschaft muss Ausdruck finden in Worten und im Leben, in Gebet und Tat, im aktiven
Handeln und im Ertragen des Leids.
5) Theologische Prinzipien für die Neuevangelisierung
Evangelisierung
und Neuevangelisierung sind sowohl theologische Begriffe wie auch pastorale Initiativen.
Das
Dokument Dominus Iesus der Glaubenskongregation zählt neun theologische/philosophische
Mängel auf, die unsere begrifflichen Vorstellungen beherrschen und die unsere missionarischen
Anstrengungen unterhöhlen. Schon zehn Jahre zuvor hat die Bischofskonferenz der Vereinigten
Staaten eine Überprüfung von katechetischen Texten durchgeführt und zehn Mängel in
der Lehre entdeckt, die berichtigt werden müssen.
Da die Theologie Begriffe
gebraucht, um unseren Glauben auszudrücken, der im Evangelium verwurzelt ist, sind
die Grundlagen unseres Glaubens in Gefahr, wenn die Menschen mit dem begrifflichen
Rahmen Schwierigkeiten haben. Säkularismus und Rationalismus haben eine Ideologie
geschaffen, welche den Glauben der Vernunft unterwirft. Religion wird zu einer persönlichen
Angelegenheit. Die Lehre in Glaubensangelegenheiten wird auf eigentümliche Auffassungen
reduziert, ohne dass die Möglichkeit eines Anspruchs auf eine allgemein gültige Wahrheit
besteht.
In einer vom Relativismus beherrschten Kultur haben Begriffe wie Menschwerdung,
Auferstehung, Erlösung, Sakrament und Gnade - Zentralthemen der Theologie, um unseren
Glauben an Jesus Christus zu erklären - wenig Bedeutung für Katholiken und nicht mehr
gläubige Katholiken. (Vgl. Instrumentum laboris Nr. 20)
Es ist eine
Versuchung für die Träger der Evangelisierung, und vielleicht auch für die Seelsorger,
diese begrifflichen Hindernisse nicht in Angriff zu nehmen und statt dessen unsere
Aufmerksamkeit und Energie auf eher soziologische Notwendigkeiten oder pastorale Initiativen
zu lenken, oder sogar eine Wortfindung jenseits unser eigenen Theologie zu betreiben.
Während
die Neuevangelisierung notwendigerweise aufmerksam sein muss gegenüber den Zeichen
der Zeit und mit einer Stimme reden muss, welche die heutigen Menschen erreicht, so
darf sie doch auch nicht die Verwurzelung in der großen lebendigen Tradition der Kirche
verlieren, wie sie sich schon in den theologischen Begriffen ausgedrückt hat.
Am
Beginn unserer Reflexionen über die Neuevangelisierung scheinen mir einige theologische
Grundlagen aus den Lineamenta, dem Instrumentum laboris und viele aus
dem Material der Bischofkonferenzen aus aller Welt aufzufallen. Ich möchte vier davon
ansprechen.
a) Die anthropologischen Grundlagen der Evangelisierung
Wenn
die Säkularisierung mit ihren atheistischen Tendenzen nicht mehr mit Gott rechnet,
verändert sich das gesamte Verständnis davon, was Menschsein bedeutet. Deshalb muss
die Neuevangelisierung ihre Aufmerksamkeit auf den eigentlichen Ursprung von menschlicher
Würde, Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung richten. Die Tatsache, dass jede
Person als Abbild Gottes und ihm ähnlich geschaffen wurde, ist zum Beispiel die Grundlage
für die Deklaration von allgemein gültigen Menschenrechten. Wir sehen hier wieder
einmal die Gelegenheit, mit Überzeugung einer zweifelnden Gemeinschaft von der Wahrheit
und Integrität von Realitäten wie Ehe, Familie, moralischem Naturgesetz und objektiven
Gut und Böse zu reden. (Vgl. Instrumentum laboris Nr. 19)
Die Neuevangelisierung
muss auf dem theologischen Verständnis beruhen, dass es Christus ist, der dem Menschen
den Menschen selbst offenbart, und zwar die wahre Identität des Menschen in Christus,
dem neuen Adam. Dieser Gesichtspunkt der Neuevangelisierung besitzt eine handfeste
Bedeutung für den Einzelnen. Wenn es Christus ist, der uns offenbart, wer Gott ist,
und somit auch, wer wir sind und was uns mit Gott verbindet, dann ist Gott nicht weit
weg oder unendlich entfernt. (Vgl. Instrumentum laboris Nr. 19)
Die
anzunehmende Grundlage der Neuevangelisierung sollte die natürliche Sehnsucht aller
nach Gemeinschaft mit dem Transzendenten - mit Gott - sein. In jedem Menschen findet
sich die Grundorientierung auf die Transzendenz und die rechte Lebensführung hin,
die in der natürlichen Schöpfungsordnung wurzelt. Der Katechismus der Katholischen
Kirche erinnert uns daran, dass die Zehn Gebote selbst ein privilegierter Ausdruck
des Naturrechts sind. Die Neuevangelisierung muss von der Überzeugung getragen sein,
dass der christliche Glaube einige Einsichten besitzt in die Problematik des Bösen,
die Tatsache der Sünde, den Sündenfall und dem Ruf zu einem neuen Leben. Das Böse
und die Sünde sind in der Tat Hindernisse für die Frohbotschaft, aber es ist die Frohbotschaft,
welche den Sinn des menschlichen Zustandes klärt und damit auch die Möglichkeit eines
Lebens, das die angeborenen Begrenzungen der menschlichen Schwachheit überwindet.
Letztlich muss die Neuevangelisierung auf der Erkenntnis beruhen, dass wir nur im
Licht Jesu Christi voll begreifen, was es bedeutet, Menschen zu sein.
b) Christologische
Grundlagen der Neuevangelisierung
Wie schon angemerkt, ist Neuevangelisierung
die Wieder-Einführung, die neue Darstellung von Christus. Unsere Verkündigung Christi
beginnt allerdings mit einer klaren theologischen Erläuterung dessen, wer Christus
ist, seiner Verbindung mit dem Vater, seiner Gottheit und Menschheit und der Tatsache
seines Todes und seiner Auferstehung. Im Zentrum unseres christlichen Glaubens steht
Christus. Aber der Christus unsere Verkündigung ist der Christus der Offenbarung,
der Christus, so wie ihn seine Kirche sieht, der Christus der Überlieferung und nicht
der von persönlichen, soziologischen oder abweichenden theologischen Kreationen. Niemand
von uns konnte alleine den Geist, das Herz, die Liebe und die Identität Gottes erkennen.
Jesus kam, um die Wahrheit zu offenbaren - von Gott und von uns selber. (Vgl. Instrumentum
laboris Nr. 18-21)
c) Die ekklesiologischen Grundlagen der Neuevangelisierung
Die
Neuevangelisierung muss für eine klare theologische Erläuterung der Heilsnotwendigkeit
der Kirche Sorge tragen. Das ist ein delikater Aspekt in unseren Predigten und ist
in den Katechesen zu oft vernachlässigt worden. In der heutigen wiederauflebenden
Kultur ist das Gefühl weit verbreitet, dass man das Heil jenseits von Kirche erreicht
durch eine Beziehung mit Jesus. Wir aber müssen betonen und beweisen, dass Christus
jeden Menschen überall, aber in und durch die Gegenwart der Kirche, erreicht. (Vgl.
Instrumentum laboris Nr. 35-36)
Die Schrift bietet viele Bilder und
Gleichnisse für die Beschreibung von Kirche. Ein Bild davon ist das einer mit Christus
und untereinander durch die Taufe verbundenen großen Völkerfamilie. Der heilige Paulus
spricht von der Kirche als dem Leib Christi, mit unserem Herrn als dem Haupt und uns
als den Gliedern. Im Schreiben an die Gläubigen aus Korinth sagt er: “Ihr aber seid
der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm” (1 Kor 12, 27).
Die
Grundlage unserer Bemühungen für die Neuevangelisierung muss die Erkenntnis sein,
dass Christus jedem von uns bei der Taufe die Gaben des Heiligen Geistes geschenkt
hat. Es ist der Geist, die Seele der Kirche, der uns in eine Einheit zusammenführt,
die jede Art von Trennung überwindet. (vgl.1 Kor 12,13). (vgl. Instrumentum laboris
Nr. 119)
Die Neuevangelisierung muss von Gottes allgemeinem Heilswillen
sprechen und gleichzeitig anerkennen, dass Jesus einen klaren und alleinigen Weg zur
Erlösung und Rettung geschaffen hat. Die Kirche ist nicht ein unter vielen gleichberechtigten
Wegen zu Gott. Auch wenn Gott will, dass alle gerettet werden, so hat er doch aus
seinem allgemeinen Heilswillen heraus Christus gesandt, um uns an Kindes Statt anzunehmen
und uns vielleicht ewige Glückseligkeit zu schenken.
d) Soteriologische Grundlagen
der Neuevangelisierung
Eingebunden in unser Verständnis der Gegenwart Gottes
unter uns heute ist das Bewusstsein dessen, was wir unter seinem Reich verstehen.
Im neuen Testament finden wir überall das Reich Gottes. Für Jesus scheint es eine
Sorge darzustellen. Vom Beginn seiner Predigttätigkeit an verkündigte er: “das Himmelreich
ist nahe” (Mt 4,17). Jesus redete von den Handelnden, der Macht, den Grenzen und der
Dauer des Reiches. (Vgl. Instrumentum laboris Nr. 24)
Das Herz des Evangeliums
ist das Reich Gottes. Wenn wir ein christliches Leben führen wollen - wenn wir den
glaubhaften Anspruch erheben wollen, Jesu Jünger zu sein - dann ist es wesentlich
notwendig, dass wir auf das von ihm verkündigte Reich hinschauen.
Auf Erden
ist das Reich geheimnisvoll verborgen und kann überall angetroffen werden, aber nur
in einer geistlichen Weise. Das Reich Gottes “existiert schon ... [Es] wird am Ende
der Zeiten vollendet sein. In der Person Christi ist es gekommen und im Herzen derer,
die ihm eingegliedert sind, wächst es geheimnisvoll bis zu seiner endzeitlichen Vollendung”(KKK
865).
So wissen wir also, dass Christus sein Reich auf Erden errichtet hat,
auch wenn noch nicht in der Fülle seiner Herrlichkeit. Es ist schon da, aber es ist
immer noch am Wachsen: “Am Ende der Zeiten wird das Reich Gottes zu seiner Vollendung
gelangen” (KKK 1060). Währenddessen gilt: “Christus der Herr herrscht schon jetzt
durch die Kirche” (KKK 680).
Die vier theologischen Grundlagenabschnitte für
die Neuevangelisierung zeigen, dass, gleich welche Ergebnisse wir in dieser Synode
zu erreichen hoffen und gleich welche pastoralen Ziele wir setzen, um Christus der
heutigen Zeit wieder vor Augen zu stellen, wir dabei fest in die biblische Vorstellung
verwurzelt sein müssen, dass der Mensch als Abbild Gottes geschaffen ist, als Teil
einer Schöpfung, die Gottes Weisheit widerspiegelt und eine natürliche, moralische
Ordnung für die menschlichen Handlungen bietet. Diese geschaffene Schönheit zu entstellen
ist die Sünde und der Egoismus, der jede nachfolgende Generation gezeichnet hat. Aber
Gott hat in diese Welt seinen Sohn gesandt, um uns neues Leben anzubieten. Er hat
die Kirche ins Leben gerufen, um seine lebendige und rettende Gegenwart fortzusetzen.
Unser Heil ist untrennbar verbunden mit unserer Teilhabe an dem großen Sakrament,
das die Kirche ist. Durch sie hoffen wir, das jetzt kommende Reich darzustellen und
gleichzeitig unsern Anteil an ihrer Herrlichkeit zu verwirklichen.
6) Die Qualitäten
der Träger der Neuevangelisierung
Unter den Qualitäten, die heute von dem Träger
der Evangelisierung erwartet werden - und es gibt deren viele, die identifiziert werden
können - ragen vier heraus: Kühnheit und Mut, die Bindung an die Kirche, das Gefühl
der Dringlichkeit und der Freude (vgl. Instrumentum laboris Nr. 46, Nr. 49,
Nr. 168-169).
In der Apostelgeschichte lautet das Wort, das die Apostel nach
der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten beschreibt, “mutig”. Petrus wird
dargestellt, wie er mutig aufsteht und die frohe Botschaft der Auferstehung verkündigt,
später greift Paulus das Thema auf und verkündet mutig das Wort auf unermüdlichen
Reisen quer durch die ganze damals bekannte Welt (vgl. Instrumentum laboris
Nr. 41).
Heute muß die Neuevangelisierung einen Mut zeigen, der aus dem Vertrauen
in Christus geboren ist. Es gibt unzählige Beispiele für stillen Mut: der hl. Maximilian
Kolbe, die selige Teresa von Kalkutta, und vor ihnen der selige Miguel Pro und die
jüngsten Märtyrer aus Litauen, Spanien, Mexiko und die zeitlich weiter zurückliegenden
Bezeugungen durch die Heiligen aus Korea, Nigeria und Japan (vgl. Instrumentum
laboris Nr. 128 und Nr. 158).
Wenn von Mut die Rede ist, dann müssen wir
auch die Notwendigkeit zu institutionellen Zeugnissen seitens jener Partikularkirchen
anerkennen, die sich der Präsenz institutioneller Ausdrücke der Kirche erfreuen, wie
Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Dienstleistungen im Sektor des Gesundheitswesen,
soziale Dienstleistungen und weitere Formen der Hilfe für die Bedürftigen; es muß
anerkannt werden, dass diese institutionellen Ausdrucksformen des kirchlichen Lebens
auch Gottes Wort bezeugen sollten.
Die Träger der Neuevangelisierung bedürfen
der Bindung an die Kirche, an ihr Evangelium und ihre seelsorgerische Präsenz. Die
Beglaubigung dessen, was wir verkünden und die Verifizierung der Wahrheit unserer
Botschaft, dass dies die Worte des Ewigen Lebens sind, hängen von unserer Gemeinschaft
mit der Kirche und von unser Solidarität mit ihren Hirten ab (vgl. Instumentum
laboris Nr. 77f.).
Eine weitere Eigenschaft der Neuevangelisierung und
folglich der mit ihr Befaßten ist das Gefühl der Dringlichkeit. Vielleicht sollten
wir in der Erzählung des Lukas über den Besuch Marias bei Elisabeth ein Vorbild für
unser eigenes Gefühl der Dringlichkeit sehen. Das Evangelium berichtet, wie Maria
eilig zu der langen und schwierigen Reise von Nazareth zu einem Dorf auf den Hügeln
von Judäa aufbrach. Keine Zeit durfte verloren werden, da ihre Sendung so wichtig
war (vgl. Instrumentum laboris Nr. 138 & 149).
Schließlich, wenn wir
uns umsehen und das weite offene Feld sehen, das darauf wartet, dass wir die Samen
des neuen Lebens aussäen, dann müssen wir das mit Freuden tun. Unsere Botschaft sollte
so geartet sein, dass sie andere dazu inspiriert, und freudig auf dem Pfad zu folgen,
der zum Reich Gottes führt. Der Träger der Evangelisierung muss sich durch Freude
auszeichnen. Wir bringen eine Botschaft großer Freude, Christus ist auferstanden,
Christus ist bei uns. Ganz gleich unter welchen Umständen wir leben, unser Zeugnis
muss, gemeinsam mit den Früchten des Heiligen Geistes, Liebe, Frieden und Freude ausstrahlen
(Gal 5,22).
7) Charismen der Kirche heute, die bei der Neuevangelisierung
helfen
Die Probleme der sozialen Gerechtigkeit
Ein Bereich, der eine
neue Wertschätzung unseres katholischen Glaubens und Interesse an ihm anzeigt, ist
der Wert, den man der sozialen Gerechtigkeit beimißt. Wir sehen, dass die katholische
Soziallehre, die im Laufe von mehr als einem Jahrhundert erarbeitet wurde, die Entwicklung
der sozialen Gerechtigkeit in großen Teilen der Welt geprägt hat und auch heute noch
beeinflußt. Die katholische soziale Gerechtigkeit entwickelte sich nicht aus dem Nichts.
In den Jahrzehnten vor der Enzyklika Rerum Novarum wurde der Schauplatz vorbereitet,
auf dem sich die Kämpfe für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte abspielen sollten.
Mit der Verbreitung von Rerum Novarum im Jahr 1891 wollte die Kirche der schrecklichen
Ausbeutung und Armut der Arbeiter am Ende des 19. Jahrhunderts entgegentreten (vgl.
Instrumentum laboris Nr. 71, Nr. 123f., Nr. 130).
Es wäre nicht richtig,
zu sagen, dass Jesus ein bestimmtes politisches, soziales oder wirtschaftliches Programm
vertreten hätte. Er hat allerdings grundsätzliche Prinzipien festgelegt, die jedes
gerechte, menschliche, wirtschaftliche oder politische System charakterisierten sollten.
Nur durch den Glauben kann man zu der Überzeugung gelangen, dass unser gerechtes Handeln
zum Plan Gottes gehört, das Kommen seines Reiches herbeizuführen.
Wenn wir
heute die Themen betrachten, die diejenigen einladen, die sich der Kirche entfremdet
haben, so kann es uns ermutigen, dass so viele junge Leute den Wunsch verspüren, in
den Dienst der Kirche einbezogen zu werden. Für sie stellt die Lehre der Kirche über
soziale Gerechtigkeit sowohl eine Offenbarung als auch eine Einladung zu einem erfüllteren
Leben innerhalb der Kirche dar.
Neue Gemeinschaften/ Kirchliche Bewegungen
Wir
sind nicht die einzigen, die die Aufgabe der Neuevangelisierung in Angriff nehmen.
Noch sind wir die ersten, die überlegen, wie diese Aufgabe bewältigt werden soll.
Ausdruck dafür, dass die Neuevangelisierung begonnen hat, sind die kirchlichen Bewegungen
und die neuen Gemeinschaften, ein wahrer Segen für die Kirche heute. Dieses Zeugnis
für das Wirken des Heiligen Geistes wird ergänzt durch die reichen spirituellen Charismen
der alten religiösen Gemeinschaften und Kongregationen, die so treu dafür arbeiten,
Zeugnis abzulegen für den Anbruch des himmlischen Königreiches. Sie tun dies durch
ihr Engagement dafür, die evangelischen Räte der Vollkommenheit zu leben. Die an viele
ergangene Einladung Christi, ihm als Jünger in größerer Nähe nachzufolgen, lebt in
der Kirche auf eine ganz besondere Weise im Ordensleben fort (vgl. Instrumentum
laboris Nr. 115).
Ich will nicht versuchen, die neuen religiösen Gemeinschaften
aufzuzählen, da ich befürchte, ich würde gar zu viele auslassen, die bereits große
Früchte tragen. Dasselbe trifft zu für die neuen kirchlichen Bewegungen, wie etwa
Comunione e Liberazione, Opus Dei und den Neokatechumenalen Weg, um nur drei davon
zu nennen. Sie alle verweisen auf das Wirken des Heiligen Geistes, das die Kirche
sich heutzutage denen zuwenden lässt, die sich von ihr entfernt haben.
Eine
der Aufgaben, die Teil unseres Bemühens sein könnte, die Kirche in der Arbeit der
Neuevangelisierung zu engagieren, könnte darin bestehen, alle neuen Bewegungen und
die neuen Gemeinschaften dazu aufzurufen, ihre Energie und ihre Tätigkeiten stärker
ins Leben der Gesamtkirche zu integrieren, vor allem in deren Ausprägung als Ortskirche
oder Teilkirche, unter der apostolischen Leitung des Bischofs (vgl. Instrumentum
laboris Nr. 116).
Im Verlauf des im September 2011 vom Päpstlichen Rat
zur Förderung der Neuevangelisierung organisierten Treffens trat ganz klar zutage,
dass es viele junge, eifrige Gläubige gibt, die bereits an der Neuevangelisierung
mitarbeiten und die sich bereits zu Gruppen zusammengeschlossen haben, die eine stattliche
Schar von Bewegungen und Orten umfasst, die eine geistliche Heimat sein können.
Schluss
Zu
Beginn unserer Antwort auf den Auftrag unseres Heiligen Vaters, der wünscht, dass
sich diese Synode mit der Neuevangelisierung befasst, erscheint es opportun, darauf
hinzuweisen, dass uns ein vierfacher Auftrag erwartet: 1) die Unentbehrlichkeit
der Evangelisierung zu bekräftigen; 2) die theologischen Grundlagen der Neuevangelisierung
zu berücksichtigen; 3) die zahlreichen aktuellen Äußerungsformen der Neuevangelisierung
zu unterstützen; 4) praktische Wege vorzuschlagen, wie die Neuevangelisierung beispielsweise
in den Gemeinden, in der Universitätsseelsorge, in den Organisationen verschiedener
Berufsvereinigungen, in der Seelsorge für verschiedene Gruppierungen wie etwa das
Militär, das Gesundheitswesen oder soziale Einrichtungen ermutigt, strukturiert und
durchgeführt werden kann, aber auch junge Fachleute aller Berufszweige zu ermutigen,
sich selbst als die Werkzeuge der Evangelisierungstätigkeit der Kirche zu betrachten.
In Anbetracht der Bedeutung der Politik, die ein Spiegel menschlicher Freiheit, menschlicher
Würde und der natürlichen Ordnung der Moral ist, sollte auch die kommende Generation
jener, die am politischen Leben mitwirken, im Brennpunkt unserer praktischen Betrachtungen
stehen.
Es scheint, dass die Überlegungen hinsichtlich der aktuellen Situation,
mit der sich die Kirche heute auseinander setzen muss, zu einer Bestätigung ihrer
wesentlichen Berufung zur Evangelisierung, zur Anerkennung zahlreicher Faktoren und
Instrumente für die Erneuerung sowie zur Präsentation einer praktischen Orientierung
und Ermutigung führen sollte.
Diese Synode sollte ein Aufruf an die gesamte
Kirche sein, das Leben und die Realität in der Optik der Neuevangelisierung zu sehen,
in einer Weise, die betont, dass zahlreiche Gläubige bereits mit einigen ihrer Aspekte
vertraut sind, auch wenn sie nicht immer mit dem Namen Neuevangelisierung identifiziert
werden.
Nun, wo wir unsere Arbeit beginnen, haben wir guten Grund, dies voller
Optimismus und Enthusiasmus zu tun, denn die Samen der Neuevangelisierung, die im
Verlauf der Pontifikate Pauls VI., Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. ausgesät
wurden, haben bereits zu keimen begonnen. Unsere Aufgabe besteht darin, Wege zu finden,
ihr Wachstum zu fördern, zu ermutigen und zu beschleunigen.