Klaus Berger,
Kommentar zum Neuen Testament. Gütersloher Verlagshaus, 44 Euro. Eine Besprechung
von Stefan v. Kempis
Klaus Berger ist einer der Großen unter den Bibelauslegern
und –vermittlern: Sein Jesusbuch von 2004 hat u.a. den Papst bei dessen Jesus-Trilogie
inspiriert. Der emeritierte Neutestamentler aus Heidelberg ist bekannt für seinen
so eigenwilligen wie souveränen Zugang zur Heiligen Schrift. Er datiert z.B. das Johannesevangelium,
anders als die Mehrzahl der heutigen Exegeten, auf die Zeit vor der Zerstörung des
Tempels 70 n.Chr., und er hat vor sieben Jahren alle frühchristlichen Schriften, also
Neues Testament und Apokryphen, in einem einzigen Band präsentiert. Jetzt legt Berger
einen mehr als tausend Seiten starken „Kommentar zum Neuen Testament“ vor, und wieder
zielt er dabei hoch: Sämtliche Schriften von „Matthäus“ bis „Offenbarung“ nicht nur
ausführlich, sondern auch in verständlicher Sprache erklärt, Vers für Vers. Und das
alles in einem einzigen Buch.
Damit das Vorhaben gelingt, übt sich der Autor
in der Kunst des Weglassens: keine neuen Hypothesen zur sogenannten „synoptischen
Frage“ („Mit den Fachleuten in aller Welt warte ich auf eine neue These, die das 19.
Jahrhundert hinter sich lässt“), keine Rekonstruktion redaktioneller Schichten, keine
Exkurse zur Forschungsgeschichte, keine Fußnoten, kein Namens- oder Stichwortregister.
Durchgängig ist Berger das Bemühen anzumerken, den Kommentar nicht ausufern zu lassen,
sondern knapp zu bleiben und das Wesentliche herauszumeißeln. Dafür greift er nicht
nur in den üblichen historisch-kritischen Werkzeugkasten, sondern nimmt auch „Anregungen
aus dem Reichtum der 1700 Jahre vormoderner Auslegung“ auf.
Um es geradeheraus
zu sagen: ein großer Wurf. Hier springt die Tür direkt in den neutestamentlichen Text
hinein auf, und zwar für den Laien wie für den ausgebildeten Theologen. Berger stellt
sich nicht selbst in den Vordergrund, sondern öffnet den Weg zum Verstehen und tritt
hinter dem Text der Heiligen Schrift zurück. Seine Sprache ist direkt und glasklar
– auch wenn sie manchmal etwas mit ihm durchgeht (etwa im Absatz über die Mainstream-Spätdatierung
des Johannes-Evangeliums: „Heute wird man dieses dialektische Schema nur dann freudig
begrüßen, wenn man mit dem Fleischwolf durch die frühchristliche Theologiegeschichte
eilt und meint, die einzelnen unabhängigen Quellen zu einem Brei zusammenmengen zu
können“).
Einige Kennzeichen dieses Kommentars sind seine Sorgfalt gerade
bei weniger „prominenten“, entlegen wirkenden Bibelstellen, sein häufiger erklärender
Rückgriff auf frühchristliche liturgische Texte oder seine besondere Beachtung des
Heiligen Geistes, der aus Bergers Sicht in der „Schulexegese“ zu stiefmütterlich behandelt
wird. Ja, es ist eine Art Summa theologica, die Berger hier vorlegt. Ein reicher und
im besten Sinn origineller Kommentar, wie es derzeit auf deutsch keinen zweiten gibt.
Man würde sich eigentlich von diesem Ausnahmeautor nur noch einen ähnlichen Kommentar
zur außerbiblischen Literatur aus frühchristlicher Zeit wünschen, wie er sie 2005
zusammen mit Christiane Nord in eigener Übersetzung vorgelegt hat...