Kardinal Walter Kasper ermuntert zu einem Wiederentdecken des Zweiten Vatikanischen
Konzils. „Das Konzil hat nicht einen Übergang zu einer liberal angepassten Kirche
eingeleitet, sondern zu einer aus ihren Wurzeln geistlich erneuerten und zugleich
dialogoffenen, für das Heil der Menschen engagierten Kirche.“ Das schreibt der frühere
Präsident des Päpstlichen Einheitsrates in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von
diesem Samstag. Auch heute könne das Konzil „Kompass“ sein und „Zuversicht aus dem
Glauben“ wecken. „Grabenkämpfe zwischen Konservativen und Progressiven“ hülfen der
Kirche hingegen nicht weiter.
Dass die „Interpretation des Konzils in vielem
noch strittig ist“, nennt Kardinal Kasper nicht verwunderlich: „Wer die Geschichte
der insgesamt zwanzig als ökumenisch anerkannten Konzilien kennt, wird nicht überrascht
sein. Nachkonziliare Zeiten waren fast immer turbulent.“ Es sei jedoch „kurzschlüssig
zu meinen, dass alles, was nach dem Konzil geschah, auch wegen des Konzils geschehen
ist“. Statt „Krisenlamento“ zählt Kasper positive Früchte des Konzils auf: „die liturgische
Erneuerung“, „die stärkere Teilhabe und Mitwirkung der Laien am Leben der Kirche,
die ökumenischen Annäherungen, die Öffnungen zur modernen Welt und ihrer Kultur“ sowie
die neuen geistlichen Bewegungen, das neue Kirchenrecht von 1983 und der Weltkatechismus.
„Die Konzilsdokumente sind kein toter Buchstabe geblieben“, resümiert der
Kardinal. Er spricht aber auch von „Schattenseiten“: „Viele Impulse des Konzils, etwa
die Betonung der Orts- beziehungsweise Einzelkirchen, die Kollegialität des Episkopats
und die Mitverantwortung der Laien, sind bisher nur halbherzig verwirklicht worden.
Dagegen hat der kuriale Zentralismus zugenommen.“ Eine „Reihe jüngerer Erfahrungen“
zeige aber, „wie sehr die römische Kurie selbst einen Reform- und Modernisierungsschub
nötig hätte“.
Von den immer wieder innerkirchlich aufkommenden Reformforderungen
hält der Kardinal einige für „bedenkenswert“, etwa was Verbesserungen in der kirchlichen
Rechtskultur betrifft. Anderen Forderungen, etwa der nach Frauenordination, könne
die Kirche nicht nachkommen, „weil sie sich an die ihr vorgegebene Glaubensgrundlage
gebunden weiß“. Doch die „Zukunftsfähigkeit der Kirche“ hänge „nicht vorrangig von
diesen Fragen ab“, sondern davon, ob sie „ihre eigene Sache glaubwürdig und überzeugend
zur Geltung bringt“. Dabei dürfe die Kirche durchaus als „Widerlager zur weithin gleichgeschalteten
öffentlichen Meinung“ wirken. Die Texte des Konzils sollten sorgfältig gelesen werden,
sie seien „kein Steinbruck, aus dem man Material für die jeweils gewünschte These
holen darf“.
Deutlich wendet sich Kardinal Kasper gegen einen „Rückfall in
nationalkirchliches Denken“. Das Papstamt als Einheitsfaktor sei wichtig, brauche
allerdings heute „neue Formen der Ausübung des Primats“. Entscheidend für die Kirche
sei, dass sie zu den Menschen von heute von Gott spreche: „Ohne ein solides Glaubensfundament
hängt alles andere buchstäblich in der Luft.“