2012-09-28 09:40:32

„Neuevangelisierung setzt Gespräch mit Israel voraus“


Im Oktober will der Papst mit einer Bischofssynode in Rom die „Neuevangelisierung“ anschieben. Doch dieses Projekt ist keineswegs ein rein christliches – vielmehr kommt dabei auch das Judentum mit ins Spiel. Darauf macht Achim Buckenmaier aufmerksam, der Direktor des Lehrstuhls für die „Theologie des Volkes Gottes“ an der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom. Im Gespräch mit Radio Vatikan wies Buckenmaier darauf hin, dass das Wort „evangelisieren“ – griechisch für „eine frohe Nachricht verkünden“ – nicht nur im Neuen Testament zu finden ist.

„Tatsächlich kommt dieses Wort in dieser Bedeutung auch im Alten Testament vor, und zwar an herausgehobener Stelle, im 61. Kapitel des Buches Jesaja, wo das bekannte Jesajawort steht: Der Geist Gottes ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, dass ich den Armen eine frohe Botschaft bringe. – Insofern haben wir dieses Wort eben schon in der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, und die Frische, die dieses Wort hat, kommt eben auch von dieser Stelle her, die eigentlich erklärt, was es bedeutet, frohe Botschaft zu bringen.“

Jesus, der sich bei einem Synagogengottesdienst in Nazareth auf diesen Jesaja-Text bezogen hat, hat das weite Bedeutungsspektrum des Wortes – hebräisch „basar“ – vermutlich gekannt. Evangelisieren ist also sehr viel mehr, als von Jesus Christus zu erzählen. Es bedeutet, zerbrochene Herzen zu heilen, Gefangene zu befreien, das trauernde Zion zu trösten usw. Im Blickpunkt steht „die Wiederaufrichtung Israels“.

„Und damit füllt sich natürlich das Wort Frohe Botschaft: Eine gute Nachricht ist für Israel, dass Gott es wieder sammelt und seine Wunden heilt, die die Geschichte und der Unglaube des Volkes geschlagen haben. Das steht sozusagen als eine ganze Palette von Inhalten hinter diesem Wort evangelisieren und ist natürlich dann viel mehr, als nur diese vier Gattungen der Evangelien weiterzugeben.“

Evangelisierung ist nicht nur deutlich auf Israel bezogen, sondern hat im Licht des Jesaja-Textes auch konkrete Wirkung: „Es geht nicht um theoretische Einsichten in ein Gottesbild, sondern um die Wiederherstellung der zerstörten Gesellschaftsordnung des Gottesvolkes.“ Für Buckenmaier hat die Neuevangelisierung wichtige Implikationen für das Verhältnis von Christen und Juden.

„Wir müssen im Gespräch mit Israel unsere eigene Geschichte wiederfinden. Der Dialog mit dem Judentum und mit Israel ist für die Christen viel mehr als ein Religionsdialog: Er ist die Begegnung mit unserer Geschichte, einer Geschichte, die ja im Judentum auf einer eigenen Linie bis in unsere Zeit fortdauert. Das Projekt der Neuevangelisierung setzt voraus, dass wir uns in dieses Gespräch mit Israel begeben, um den ganzen Reichtum und die Fülle dieses Wortes auch zu verstehen.“

Die griechische Übertragung des hebräischen Alten Testaments, genannt „Septuaginta“, sei übrigens mehr als eine einfache Übersetzung gewesen. Eine reiche Welt des Diaspora-Judentums vor allem in Nordafrika und Mesopotamien habe mit diesem Werk das Gespräch mit der Kultur ihrer Zeit gesucht – ein Vorhaben, das in Buckenmaiers Augen durchaus Parallelen zur Neuevangelisierung hat.

Und noch etwas ist dem Professor sehr wichtig: Die Shoa, also der Mord am europäischen Judentum im 20. Jahrhundert, habe die Kirche vieles gelehrt, darunter die Einheit von Altem und Neuem Testament.

„Deswegen wird zur Neuevangelisierung heute unbedingt dazugehören müssen, dass in allen Aktivitäten, in allen Initiativen, die unternommen oder angedacht werden, geprüft wird, ob diese Einheit der Geschichte Gottes mit seinem Volk, die Einheit der Heilsgeschichte von Altem und Neuem Testament, sichtbar wird.“

Neu ist die Neuevangelisierung nach Ansicht von Achim Buckenmaier zum einen „deswegen, weil der Prozess der Missionierung in Europa und anderen Teilen der Welt erneut angegangen werden muss“, zum anderen aber auch deswegen, „weil seit 1.700 Jahren auch das neutestamentliche Modell Gemeinde nur noch fragmentarisch in der Kirche sichtbar ist“. Für ein „kirchenloses Leben“ habe der Europäer von heute schon ein „anschaubares Modell in der modernen Gesellschaft“. Die Frage sei, ob er „auch eine anschaubare soziale Gestalt des Christlichen“ vor Augen habe.

Unsere „Radio-Akademie“ zur Theologie der Neuevangelisierung (mit Prof. Buckenmaier, Autor Stefan v. Kempis) können Sie bei uns bestellen: cd@radiovatikan.de.

(rv 28.09.2012 sk)








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