„Neuevangelisierung setzt Gespräch mit Israel voraus“
Im Oktober will der Papst mit einer Bischofssynode in Rom die „Neuevangelisierung“
anschieben. Doch dieses Projekt ist keineswegs ein rein christliches – vielmehr kommt
dabei auch das Judentum mit ins Spiel. Darauf macht Achim Buckenmaier aufmerksam,
der Direktor des Lehrstuhls für die „Theologie des Volkes Gottes“ an der Päpstlichen
Lateran-Universität in Rom. Im Gespräch mit Radio Vatikan wies Buckenmaier darauf
hin, dass das Wort „evangelisieren“ – griechisch für „eine frohe Nachricht verkünden“
– nicht nur im Neuen Testament zu finden ist.
„Tatsächlich kommt dieses
Wort in dieser Bedeutung auch im Alten Testament vor, und zwar an herausgehobener
Stelle, im 61. Kapitel des Buches Jesaja, wo das bekannte Jesajawort steht: Der Geist
Gottes ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, dass ich
den Armen eine frohe Botschaft bringe. – Insofern haben wir dieses Wort eben schon
in der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, und die Frische, die dieses
Wort hat, kommt eben auch von dieser Stelle her, die eigentlich erklärt, was es bedeutet,
frohe Botschaft zu bringen.“
Jesus, der sich bei einem Synagogengottesdienst
in Nazareth auf diesen Jesaja-Text bezogen hat, hat das weite Bedeutungsspektrum des
Wortes – hebräisch „basar“ – vermutlich gekannt. Evangelisieren ist also sehr
viel mehr, als von Jesus Christus zu erzählen. Es bedeutet, zerbrochene Herzen zu
heilen, Gefangene zu befreien, das trauernde Zion zu trösten usw. Im Blickpunkt steht
„die Wiederaufrichtung Israels“.
„Und damit füllt sich natürlich das Wort
Frohe Botschaft: Eine gute Nachricht ist für Israel, dass Gott es wieder sammelt und
seine Wunden heilt, die die Geschichte und der Unglaube des Volkes geschlagen haben.
Das steht sozusagen als eine ganze Palette von Inhalten hinter diesem Wort evangelisieren
und ist natürlich dann viel mehr, als nur diese vier Gattungen der Evangelien weiterzugeben.“
Evangelisierung
ist nicht nur deutlich auf Israel bezogen, sondern hat im Licht des Jesaja-Textes
auch konkrete Wirkung: „Es geht nicht um theoretische Einsichten in ein Gottesbild,
sondern um die Wiederherstellung der zerstörten Gesellschaftsordnung des Gottesvolkes.“
Für Buckenmaier hat die Neuevangelisierung wichtige Implikationen für das Verhältnis
von Christen und Juden.
„Wir müssen im Gespräch mit Israel unsere eigene
Geschichte wiederfinden. Der Dialog mit dem Judentum und mit Israel ist für die Christen
viel mehr als ein Religionsdialog: Er ist die Begegnung mit unserer Geschichte, einer
Geschichte, die ja im Judentum auf einer eigenen Linie bis in unsere Zeit fortdauert.
Das Projekt der Neuevangelisierung setzt voraus, dass wir uns in dieses Gespräch mit
Israel begeben, um den ganzen Reichtum und die Fülle dieses Wortes auch zu verstehen.“
Die
griechische Übertragung des hebräischen Alten Testaments, genannt „Septuaginta“, sei
übrigens mehr als eine einfache Übersetzung gewesen. Eine reiche Welt des Diaspora-Judentums
vor allem in Nordafrika und Mesopotamien habe mit diesem Werk das Gespräch mit der
Kultur ihrer Zeit gesucht – ein Vorhaben, das in Buckenmaiers Augen durchaus Parallelen
zur Neuevangelisierung hat.
Und noch etwas ist dem Professor sehr wichtig:
Die Shoa, also der Mord am europäischen Judentum im 20. Jahrhundert, habe die Kirche
vieles gelehrt, darunter die Einheit von Altem und Neuem Testament.
„Deswegen
wird zur Neuevangelisierung heute unbedingt dazugehören müssen, dass in allen Aktivitäten,
in allen Initiativen, die unternommen oder angedacht werden, geprüft wird, ob diese
Einheit der Geschichte Gottes mit seinem Volk, die Einheit der Heilsgeschichte von
Altem und Neuem Testament, sichtbar wird.“
Neu ist die Neuevangelisierung
nach Ansicht von Achim Buckenmaier zum einen „deswegen, weil der Prozess der Missionierung
in Europa und anderen Teilen der Welt erneut angegangen werden muss“, zum anderen
aber auch deswegen, „weil seit 1.700 Jahren auch das neutestamentliche Modell Gemeinde
nur noch fragmentarisch in der Kirche sichtbar ist“. Für ein „kirchenloses Leben“
habe der Europäer von heute schon ein „anschaubares Modell in der modernen Gesellschaft“.
Die Frage sei, ob er „auch eine anschaubare soziale Gestalt des Christlichen“ vor
Augen habe.
Unsere „Radio-Akademie“ zur Theologie der Neuevangelisierung (mit
Prof. Buckenmaier, Autor Stefan v. Kempis) können Sie bei uns bestellen: cd@radiovatikan.de.