Islamexperte Samir: „Freiheit nicht einschränken, sondern korrigieren“
Die Unruhen in arabischen
Ländern aus Empörung über die Schmähung des Propheten im Film „Die Unschuld des Islam“
gehen weiter. Derweil befürchten auch westliche Länder, dass der Unmut ihrer muslimischen
Bürger in Gewaltbereitschaft übergehen könnte oder Islamisten die Gunst der Stunde
nutzen. Sind aber Verbote von medialen Islamkarikaturen eine Lösung? Der ägyptische
Islamexperte und Jesuit Samir Khalil Samir, Vatikan-Berater in Islamfragen und Dozent
in Rom und Beirut, plädiert für eine ethische Debatte und einen kühlen Kopf auf beiden
Seiten. Samir sagte im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Es geht hier nicht um
Staaten, es geht um Individuen: eine Person hat einen Film gemacht, was haben die
Vereinigten Staaten damit zu tun? Wir dürfen nicht die Freiheit einschränken, wir
brauchen mehr Ethik und müssen sagen: Nun gut, du hast das Recht, dies zu tun, aber
ist das eine gute Sache? Hier muss der Westen einen Schritt tun, auch wir in der muslimischen
Welt müssen Schritte tun: Wir müssen von der Emotion zur Vernunft kommen, wie es der
Papst sagt, und das beinhaltet Ethik. Um aus dieser Situation wieder herauszukommen,
muss jeder von uns einen Schritt gehen. Man kann die Freiheit nicht einschränken,
man kann sie nur korrigieren durch Ethik und Spiritualität.“ In
Libyen hat sich in den letzten Stunden derweil gewaltsamer Widerstand gegen die antiwestlichen
Ausschreitungen formiert: So vertrieben in der Nacht zum Samstag in der ostlibyschen
Hafenstadt Bengasi hunderte Bürger die Gruppe, die für den Tod des US-Botschafters
vor anderthalb Wochen verantwortlich gemacht wird. Dabei kamen mindestens elf Menschen
ums Leben, etwa 70 wurden verletzt. Hinter dem bisweilen blutigen Ringen um mehr Selbstbestimmung
und Demokratie im arabischen Frühling ortet Islamexperte Samir ein mangelndes Selbstbewusstsein
der muslimischen Welt; die Nerven lägen blank:
„Das Problem ist, dass wir
im arabischen Kontext eine äußerst große Frustration erleben, weil wir uns im Verhältnis
zur übrigen Welt sehr zurückgeblieben fühlen, während wir früher zu den am weitesten
entwickelten Völkern gehörten. Das macht uns verletzlich gegenüber jeder Sache. Da
reicht eine Andeutung, und wir fühlen uns angegriffen. Und dann gibt es Leute, die
die Ignoranz und Emotionen des Volkes missbrauchen und sagen: ,Wir antworten auf diese
Gotteslästerung!‘“