Weiter Proteste gegen Film und Karikaturen: „Strom an das Erregungspotential gelegt“
Die Proteste gegen
den anti-islamischen Film „Die Unschuld der Muslime“ erreichen auch die deutschsprachigen
Länder. Öl ins Feuer hatte in dieser Woche in Frankreich die erneute Veröffentlichung
von Mohammed-Karrikaturen gegossen. Frankreich und dann auch Deutschland haben beschlossen,
in Erwartung von Protesten im Nahen Osten Botschaften vorerst zu schließen. Bei Protesten
in Libyen war in der vergangenen Woche der Botschafter der USA ums Leben gekommen. Ob
für die Veröffentlichung von Karikaturen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch die Pressefreiheit
in Anspruch zu nehmen ist oder ob es dabei – wie am Donnerstag eine Zeitung schrieb
– nur noch um Beschimpfungsfreiheit gehe, das habe ich Alexander Filipovic gefragt,
er ist Medienethiker an der Universität Münster und berät in diesen Fragen unter anderem
die deutsche Bischofskonferenz.
„Der Begriff ‚Beschimpfungsfreiheit’ ist
wahrscheinlich ganz gut gewählt, allerdings ist Provokation und Satire natürlich ein
Teil von Pressefreiheit und gehört unbedingt geschützt. Das heißt Pressefreiheit sticht
auch hier, wie bei jeder Satire und jeder Kunst und jeder öffentlichen Meinungsäußerung.
Allerdings kann man natürlich sagen, dass hier nicht sehr sensibel mit religiösen
Empfindungen umgegangen wird.“
Sie sind Sozialethiker, ist denn ethisch
nicht auch die Folgenabwägung dessen, was passieren wird, Teil der Entscheidung, was
ich publizieren kann und darf?
„Die Folgen müssen natürlich ethisch-moralisch
in das eigene Handeln einbezogen werden, aber ich glaube, dass das hier passiert ist.
Ich glaube, dass die Provokation hier ganz bewusst gewählt wurde und diese Attitüde
stört mich auch. Natürlich kann man sich über alles lustig machen, wenn es niveauvoll
passiert und manchmal braucht es auch eine gute und scharfe Satire, allerdings kommt
es auch darauf an, wie man diese Freiheit, das tun zu dürfen, ausnutzt. Man muss es
verantwortlich ausnutzen. Wenn man nach dem Jahrestag des 11. September
und nach diesem schrecklichen Film über Mohammed dann auch noch so eine Provokation
mit den Karikaturen macht, dann ist das nicht schlau und ist eine Provokation und
ist nicht schlau und wir sicherlich nicht der Sache der Pressefreiheit dienen.“
Sie
nannten das eine „Attitüde“, die Ihnen nicht gefällt, was meinen Sie damit?
„Das
ist dieses Sich-Zurücklehnen. Die legen Strom an so ein Erregungspotential, das kennen
die ganz genau und warten, was passiert. Und das wissen die natürlich ganz genau.
In dem Moment, wo die Erregung hochschwappt, grinsen sie hämisch und sagen ‚Sehen
sie, es gibt nicht genug Pressefreiheit’. Das ist selbst vorhergesagt und dann trifft
es ein und die sind im Recht. Diese Attitüde gefällt mir nicht, da würde ich mir auch
von einer Satirezeitschrift mehr Fingerspitzengefühl vorstellen, wenn es denn tatsächlich
darum geht, die Presse- und die Meinungsfreiheit voranzubringen.“