2012-09-15 10:51:08

Presseschau: Pastoral oder politisch?


RealAudioMP3 „Pilger des Friedens“: Diese große Überschrift prangt am Samstag auf dem Titel des englischsprachigen „Daily Star“. Das Papstfoto, das über der Hälfte der Titelseite liegt, lässt sich anheben, und darunter kommt dann die andere Hälfte der Titelseite zum Vorschein: „Antiamerikanische Ausschreitungen in der islamischen Welt“. Der „Daily Star“ betont, dass Benedikt den ganzen Nahen Osten eindringlich zur Versöhnung aufgerufen habe. „Man täuscht sich, wenn man denkt, die Worte eines Papstes hätten keinerlei Auswirkungen“, urteilt ein Editorial im Innenteil des Blattes: „Benedikt ist gerade erst angekommen in Beirut und hat schon eine sehr vielfältige Botschaft lanciert. Er hat die Gläubigen vor Fundamentalismus und Krieg gewarnt, er hat die Stimme gegen Ungerechtigkeit erhoben, und er hat den Christen in Nahost signalisiert, dass sie nicht alleine sind… Doch er und die Welt haben weiterhin die eklatante Ungerechtigkeit vor Augen, deren Opfer die Palästinenser sind. Als politische Institution hat der Vatikan sich für Lösungen für diese Ungerechtigkeit eingesetzt – aber Reden ist nur die eine Seite der Medaille. Der Vatikan sollte endlich auch seine Verantwortung im Einsatz gegen Ungerechtigkeit wahrnehmen, indem er die Palästinenserfrage zu einem konkreten Punkt auf seiner Tagesordnung macht… Libanons hoher Staatsgast und der Vatikan sollten bei ihrem Einsatz für Frieden also auch ein Auge darauf haben, dass handfeste Resultate gebraucht werden.“

Interessant ist eine Reportage des „Daily Star“: Die südlichen Stadtteile von Beirut, die mehrheitlich von Schiiten bewohnt werden, hätten dem Papst „einen ausgesprochen herzlichen Empfang bereitet“. „Hisbollah-Pfadfinder und vollverschleierte Schülerinnen schwenkten Fahnen und winkten, als sich der Konvoi des Papstes näherte…. Hisbollah-Poster hießen den Papst „im Land des Widerstands“ willkommen, während andere von den Amal-Milizen den Papst um Hilfe gegen Israel baten.“ Die Hisbollah, die den USA und anderen westlichen Staaten als Terrororganisation gilt, hätten „ihr Versprechen gehalten“, den Papst gut zu empfangen. „So etwas sieht man nicht jeden Tag“, mit diesen Worten zitiert die Zeitung einen Ladeninhaber im Schiitenviertel: „Das wird die Lage hier vielleicht etwas beruhigen und zum Frieden und zum Zusammenleben beitragen.“ Ein anderer Verkäufer äußert: „Uns ist jeder friedliche Mensch willkommen. Wir sind mit Christen zusammen aufgewachsen, und damals gab es keinen Fanatismus.“

L`Orient le Jour“, die französischsprachige Zeitung Beiruts, titelt: „Habt keine Angst, ruft der Mann in Weiß.“ Die „übertriebene Sicherheit“ hindere die Libanesen daran, den Papst zu „begleiten“. Anders als der „Daily Star“ berichtet das Intellektuellenblatt ausführlich über die Apostolische Exhortation, die Benedikt am Abend des ersten Besuchstags in Harissa unterzeichnete. Der melkitische Patriarch Gregorius III. habe eine politische, der Papst eine pastorale Rede gehalten: „Zwei Ansprachen ohne Verbindung untereinander, das ist der vorherrschende Eindruck von der Feier in Harissa.“ „Ob der Papst will oder nicht, Exhortation hin oder her: Allein schon durch ihr Timing – syrische Krise, Revolte über eine Youtube-Video – ist diese Papstreise viel mehr politisch als pastoral“, das findet ein Kommentator. „Dem Papst ist das völlig klar… Wohl noch nie ist eine Apostolische Exhortation so auf ihren politischen Gehalt abgeklopft worden. Ihre Worte antworten auf tiefe Ängste und Zweifel der libanesischen Gesellschaft. Das scheinen alle Teile des libanesischen Patchworks zu spüren, sogar die Hisbollah-Miliz… Sie hat ihre Frauen im Tschador losgeschickt, um dem Papst zuzujubeln. Ob das nun eine ehrliche oder eine scheinheilige Geste war, jedenfalls hat die schiitische Gemeinschaft damit einen großen Punkt in diesem Krieg der Bilder gemacht.“ Tadelnd vermerkt der Kommentator allerdings, dass der Mufti der Republik, die höchste Autorität des sunnitischen Islam, „auf dem roten Teppich am Flughafen durch Abwesenheit geglänzt“ habe – dabei sei er doch „ein Staatsangestellter“. Wieder einmal zeige sich hier „die chronische Unfähigkeit der sunnitischen Führer, ihre kleine Minderheit“ von Radikalen „unter Kontrolle zu halten.“

Dem guten Empfang für den Papst im Schiitenviertel scheint eine Journalistin nicht ganz zu trauen: „Ein diszipliniertes, aber orchestriertes Willkommen“ heißt ihre Reportage. „Der Szene fehlte Spontanität und echter Enthusiasmus, alles wurde von den Ordnern der schiitischen Parteien geregelt.“ Ein Hisbollah-Pfadfinder mit Papstmütze und einem Button von Ayatollah Khomeini erklärt der Reporterin: „Mein Vater hat gesagt, steck mal diesen Button an, damit kannst du den Papst erschrecken.“ Kein Wunder, dass sie zu dem Urteil kommt: „Das gute Auskommen ist nur oberflächlich.“ Breiten Raum gibt „L`Orient le Jour“ den aus ihrer Sicht „mehr als intensiven und für die Bürger extrem hinderlichen“ Sicherheitsmaßnahmen rund um Benedikt XVI.: „Nur einige wenige Privilegierte konnten den Konvoi des Papstes in Harissa sehen.“ Das habe die Gläubigen „frustriert“. Die Zeitung bringt einige Reaktionen von wartenden Christen: „Ich hätte gewollt, dass man die Libanesen den Papst empfangen lässt, nicht nur ein paar Wichtigtuer… Ich bin enttäuscht.“ Eine Frau, die den Papst zumindest flüchtig gesehen hat, erklärt: „Ich war den Tränen nahe, mein Herz klopfte zum Zerspringen. Er hat auf mich müde gewirkt. Ich komme auf jeden Fall am Sonntag wieder, um ihn im Papamobil zu sehen. Schon die Tatsache, dass er hierher gekommen ist zu uns, ist ein Grund zum Hoffen!“

Unter den arabischen Zeitungen Beiruts ist „Al Nahar“ die wichtigste. Sie titelt: „Benedikt ruft vom Libanon aus zum Kampf gegen Extremismus auf.“ Im Innenteil spricht sie von einer „Aufnahme des Papstes, die des Zedernlandes würdig ist“. Die Apostolische Exhortation gebe den Christen im ganzen Nahen Osten „den Weg vor“. „Al Mustakbal“ hingegen titelt: „Der Papst begrüßt den Arabischen Frühling, nennt ihn einen Schrei nach Freiheit.“ Auf fünf Seiten werden ausführlich die Worte Benedikts beim Flug nach Beirut und auf dem Flughafen dokumentiert, dazu die Erklärungen von Papstsprecher Federico Lombardi. Weitere drei Seiten bringen den vollständigen Text der Apostolischen Exhortation – so etwas bietet nicht einmal „L`Orient le Jour“.

Bleibt noch zu erwähnen, dass fast alle libanesischen Fernsehkanäle alle Papst-Auftritte im Land live übertragen – und dazu pausenlos Dokumentationen oder Gespräche mit Kirchenleuten. Das gilt auch für den Hisbollah-Fernsehsender „Al Manar“. Dieser hat übrigens genauso viele Journalisten für die Beobachtung der Papstreise akkreditiert wie für den kürzlichen Besuch von Irans Präsident Ahmedinedschad in Beirut.

(rv 15.09.2012 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.