Die Apostolische Exhortation
„Ecclesia in Medio Oriente“, die Papst Benedikt XVI. an diesem Freitag in der St.-Pauls-Basilika
von Harissa unterzeichnet hat, soll mehr als nur eine allegorisch zu verstehende Aufforderung
zu Wahrhaftigkeit, Glaubensstärke und Einheit sein. Das unterstrich er in seiner Rede,
die er im Vorfeld der Unterzeichnung vor den anwesenden religiösen Würdenträgern hielt.
Vielmehr stellt das Dokument einen Appell an die Menschen im gesamten Nahen Osten
dar, in Frieden miteinander zu leben, ihre Wurzeln nicht zu vergessen und der Zukunft
mit Hoffnung und Dynamismus entgegen zu sehen. Das Dokument, in dem Papst Benedikt
die 44 Thesen der Synodenväter aufgreift und ausformuliert, ist in drei Teile aufgeteilt,
eine Einleitung und Schlussgedanken runden das mit Spannung erwartete Dokument ab.
Deutlich wird bereits in der Einleitung, dass Papst Benedikt mit großer Energie
das Ziel verfolgt, die Einheit unter den Christen des Nahen Ostens zu stärken. Diese
Einheit müsse in der Verschiedenheit der geographischen, religiösen, kulturellen und
soziopolitischen Begebenheiten gefunden werden. Gleichzeitig drückt Benedikt XVI.
seine Hoffnung aus, die Riten der Ostkirchen mögen als Schatz für die gesamte Kirche
Christi weiter treu bewahrt werden. Neben der Einheit der christlichen Gemeinschaften
müsse aber auch der interreligiöse Dialog mit Juden und Muslimen weiter vorangetrieben
werden.
Erster Teil - Der Kontext
Dem Papst ist die schwierige
Situation der Christen im Nahen Osten, heute vielleicht mehr noch als vor zwei Jahren
bei Abschluss der Nahostsynode im Vatikan, sehr präsent. Die Anwesenheit der Christen
im Nahen Osten, so erinnert Benedikt, sei nicht zufällig, sondern historisch bedingt;
die Christen hätten maßgeblich zur kulturellen Entwicklung der Region beigetragen.
Deutlich spricht sich der Papst gegen jede Art von Intoleranz, Diskriminierung, Ausgrenzung
oder Verfolgung im Namen der Religion aus. Dabei erinnert er in eindringlichen Worten
an die Toten und Opfer der menschlichen Blindheit, an die Angst und die Unterdrückung:
„Es scheint, als gäbe es keine Bremse für die Verbrechen Kains”. Kurz und nicht im
Detail ausformuliert, erwähnt Papst Benedikt, dass die Haltung des Heiligen Stuhl
in den Fragen der Konflikte in der Region des Heiligen Landes weithin bekannt seien.
Er lädt weiterhin zur Einheit der Christen ein, warnt aber vor einem falschen
Verständnis dieser Einheit: es gehe nicht um eine Vermischung, vielmehr müssten die
seit jeher bestehenden traditionellen Gemeinschaften und diejenigen jüngeren Datums
einander gegenseitig mit Respekt und Anerkennung begegnen. Besonderes Gewicht legt
Benedikt XVI. auch in diesem Dokument auf die Frage der Religionsfreiheit: Die Katholiken,
wie alle anderen Glaubensgemeinschaften, hätten das Recht und die Pflicht, am öffentlichen
Leben konstruktiv teilzunehmen. Sie dürften wegen ihres Glaubens nicht als Bürger
zweiter Klasse angesehen werden. Die Religionsfreiheit sei eines der höchsten Güter
des Menschen, und sie müsse die Möglichkeit beinhalten, seinem eigenen Glauben Ausdruck
zu verleihen, ohne dafür um sein Leben fürchten zu müssen.
Ebenso direkt spricht
der Papst zwei Themen an, die verstärkt ins Bewusstsein gerückt sind: die Laizität
und den Fundamentalismus. Die Laizität führe in ihrer Extremform zum Säkularismus,
der die Religionsfreiheit angreift und dem Staat das Monopol in Glaubensfragen überlässt.
Dieser Gefahr müsse man sich bewusst sein und die gesunde Laizität in gegenseitigem
Respekt von Staat und Religion fördern.
An der Basis des religiösen Fundamentalismus
ortet der Papst die wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten, „die Begabung
einiger zur Manipulation“ sowie ein mangelhaftes Verständnis der Religion. Wie Benedikt
XVI. einräumte, suche der Fundamentalismus „alle religiösen Gemeinschaften heim“.
Aus politischen Gründen versuche der Fundamentalismus - manchmal mit Gewalt – die
Macht über das Gewissen der einzelnen und über die Religion zu gewinnen. Der Papst
wörtlich: „Ich appelliere an alle jüdischen, christlichen und muslimischen Religionsführer
der Region, danach zu streben, durch ihr Beispiel und ihre Lehre alles zu tun, um
diese Bedrohung zu bannen, die unterschiedslos und tödlich die Gläubigen aller Religionen
ergreift."
Auch das Thema des christlichen Exodus aus der Region spart Benedikt
XVI. nicht aus. Der Papst erinnert daran, dass der Nahe Osten ohne Christen nicht
mehr derselbe wäre. Er fordert Politiker und geistliche Autoritäten dazu auf, alles
in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Region nicht der Menschen zu berauben, die
sie über Jahrhunderte mit aufgebaut haben.
Kategorien der Kirche
Im
zweiten Teil wendet sich der Papst an die verschiedenen Kategorien, die die Kirche
in ihrer Vielfalt darstellen: Patriarchen, Bischöfe, Priester, Seminaristen und Ordensleute,
aber auch Laien, Familien und Jugendliche. Der Papst lädt alle Glieder der Kirchen
im Nahen Osten ein, entsprechend der je eigenen Berufung die Gemeinschaft in Demut
und durch das Gebet neu zu beleben, damit sich die Einheit verwirkliche, um die Jesus
gebetet hat.
Die Bischöfe und Patriarchen mahnt er zur Einheit mit dem Bischof
von Rom, aber auch zur mutigen Verkündigung des Evangeliums, zur korrekten Verwaltung
des Kircheneigentums und zu einem Leben, das von der Hinwendung auf das Wort Gottes
zeuge. Auf die Priester bezogen, würdigt der Papst den Zölibat, aber auch den Dienst
der verheirateten Priester als traditionelle Komponente der Ostkirchen.
Den
Laien komme eine wichtige Rolle dabei zu, die Sache Christi zu vertreten, indem sie
für Religionsfreiheit und Menschenwürde einstünden. Der Familie ist ein eigener Absatz
gewidmet: es handelt sich, erinnert Benedikt, um eine göttliche Institution, die auf
dem unlösbaren Bund der Ehe gegründet sei. Die Familie müsse, vielleicht auch entgegen
einem gewissen Zeitgeist, zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurück kehren und Keimzelle
der Gesellschaft, des religiösen Bewusstseins und deren Werte sein.
Frauen,
so fordert Benedikt, dürften dem Mann gesellschaftlich nicht untergeordnet werden;
dazu gehöre auch eine juristische Gleichstellung mit dem Mann in Ehe- und Erbschaftsangelegenheiten.
Die Jugendlichen ermuntert Benedikt dazu, sich mutig zu Christus zu bekennen und gleichzeitig
Juden und Muslimen mit Respekt zu begegnen, und er ermahnt sie, den Verlockungen des
Konsumismus und der oberflächlichen modernen Kommunikationsmittel nicht zu erliegen.
Alle Menschen seien aufgerufen, das Leben und die Rechte der jungen Menschen vom Augenblick
der Empfängnis an zu respektieren und zu schützen.
Spirituelles Leben
Der
dritte Teil der Exhortation widmet sich den doktrinalen Aspekten: Lobend hebt der
Papst hervor, wie die Exegesetraditionen des Nahen Ostens (Alexandrien, Antiochien,u.a.)
ihren Beitrag zur dogmatischen Formulierung des Ostergeheimnisses im 4. und 5. Jahrhundert
geleistet hätten. Der Papst empfiehlt eine wahrhafte biblische Pastoral, um Vorurteilen
oder falschen Ideen entgegenzutreten. Die Liturgie, auch in ihren neuen Formen, sei
dabei unabdingbar, sie müsse aber stets auf dem Wort Gottes gegründet sein. Die Taufe
sei Grundstein der Gemeinschaft und Solidarität, auch die Sakramente der Vergebung
und Versöhnung, mit denen Friedensinitiativen auch inmitten der Verfolgung möglich
sei, werden hervorgehoben.
Die Bedeutung der Evangelisierung als ursprüngliche
Mission der Kirche könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, erinnert der Papst
weiter. Auch die Katholiken im Nahen Osten seien aufgerufen, ihren missionarischen
Geist zu erneuern, insbesondere im multikulturellen und pluri-religiösen Kontext,
in dem sie lebten. Das Jahr des Glaubens, so hofft der Papst, könne dabei einen wichtigen
Anstoß geben. Aber auch die Nächstenliebe sei nach dem Beispiel Christi unabdingbar
für die Identität der Kirche. Den Mitarbeitern, die ihre Aufgaben im Dienst des Nächsten
in verschiedenen Tätigkeitsfeldern teilweise auch unter Gefahr verrichten, spricht
Papst Benedikt seinen besonderen Dank aus. Sie seien der Beweis dafür, dass es im
Nahen Osten möglich sei, in gegenseitigem Respekt und in enger Zusammenarbeit zu leben.
Einige konkrete Vorschläge für die Arbeit im Nahen Osten beschließen den dritten
Teil des Dokumentes: Der Papst regt eine gemeinsame Übersetzung des Vater Unser in
die lokalen Sprachen der Region an oder die Idee eines Bibeljahres, das von einer
jährlichen Bibelwoche gefolgt sein könnte, zudem die Weiterentwicklung der neuen Kommunikationswege.
Ebenso schlägt Benedikt XVI. eine ökumenische Vereinbarung zur gegenseitigen Anerkennung
der Taufe zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen, mit denen sie in theologischem
Dialog sei, vor. Und der Papst mahnt an, dass alle Gläubigen ohne Einschränkung Zugang
zu den Heiligen Stätten erhalten sollen.
Das Dokument endet mit dem Aufruf
des Papstes an alle Politiker und religiösen Autoritäten, den Frieden zu schaffen
und zu erhalten. Dabei sei Friede keinesfalls nur die Abwesenheit von Gewalt. Vielmehr
müssten die Ursachen für die Leiden der Menschen im Nahen Osten abgeschafft werden.
Die Katholiken sind insbesondere dazu aufgerufen, weiterhin mutig ihren Glauben zu
bezeigen, auch wenn dies nicht immer einfach sei – aber sicherlich mitreißend.