2012-09-13 13:32:23

D: Das Christentum - Fremdkörper in Europa


Das Christentum ist in Europa zugleich „Fremdkörper und Wurzel“. Das hat Kardinal Christoph Schönborn am Mittwochabend bei einem Vortrag vor hochrangigen Vertretern aus Politik und Kirche in Berlin verdeutlicht. Dem Christentum habe es trotz eines unleugbaren Bedeutungsverlustes „gut getan, dass es durch das Feuer der Kritik von Aufklärung und Säkularismus gehen musste“, so Schönborn. Denn dies gebe „die Chance der Läuterung“ und stelle „die Frage nach seiner Glaubwürdigkeit“. Zugleich erklärte der Wiener Erzbischof, in so mancher säkularen Kritik am Christentum sei „auch ein Stück Sehnsucht verborgen, es möge doch so etwas wie ein authentisches, gelebtes Christentum geben“. Und Schönborn fügte optimistisch hinzu: „Insgeheim wissen wir wohl, ob säkular oder gläubig, dass hier die tragfähigen Wurzeln Europas liegen.“ Der Wiener Kardinal sprach beim jährlichen „Michaelsempfang“ in Berlin auf Einladung der Deutschen Bischofskonferenz. Schönborns Überlegungen zum Status quo des Christentums in Europa folgte ein hochkarätiges Auditorium. Unter den rund 900 Gästen im Tagungszentrum der Berliner Katholischen Akademie waren u.a. die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Bundesminister Annette Schavan, Wolfgang Schäuble, der Apostolische Nuntius in Deutschland, Jean-Claude Périsset, der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki und weitere deutsche Bischöfe.



Lesen Sie hier eine Zusammenfassung der Rede von Kardinal Schönborn von der Agentur „kathpress“:

Christentum wird immer marginaler

Schönborn begann seinen Vortrag mit einer ungeschminkten Analyse: In immer mehr Bereichen gehe der „Mainstream“ in eine andere Richtung als das Christentum. Im Blick auf die vergangenen 40 Jahre „erscheint mir die Feststellung unausweichlich: das Christentum wird immer marginaler“, so Schönborn. „Ich sage das nüchtern diagnostisch.“

In Österreich sei diesbezüglich die gesetzliche Verankerung der Fristenregelung ein Markstein gewesen, die trotz des heftigen Widerstands von Christen 1974 von der SPÖ-Alleinregierung durchgesetzt wurde. Auf die Frage eines Journalisten an Bruno Kreisky, ob er sich nicht vorstellen könne, dass in Österreich Menschen Probleme mit der sogenannten „Fristenlösung“ haben könnten, habe der damalige Bundeskanzler geantwortet: „Ich kann mir vorstellen, dass sehr, sehr religiöse Menschen damit Schwierigkeiten haben könnten“.

„Es muss nicht sein, dass Kreisky das damals verächtlich meinte. Es war es dennoch allemal“, sagte Kardinal Schönborn. Als viel tragischer aber bewerte er jedoch, dass Kreisky den Widerstand gegen die Fristenregelung vor allem bei „sehr, sehr religiösen Menschen“ geortet habe. Dabei sei aus dem Blick geraten, dass der damals von Kardinal Franz König angeführte kirchliche Widerstand nicht primär religiös begründet wurde. „Es ging vielmehr um die Anerkennung und den gesetzlichen Schutz des menschlichen Lebens, also um elementares Menschenrecht“, erinnerte Schönborn. Die Kirche habe hier „nicht konfessionelles Sonderrecht, sondern vernunftbegründetes Menschenrecht“ verteidigt.

Mehrheitsprinzip hat Grenzen

Ähnliches habe sich bei anderen ethisch brisanten Themen am Beginn und Ende des menschlichen Lebens wiederholt, verwies der Kardinal auf die Beispiele Embryonenforschung, Präimplantationsdiagnostik oder die Euthanasiedebatte in vielen Ländern Europas. Immer mehr erlebten sich für umfassenden Lebensschutz engagierte Christen als Minderheit. „In den diversen Ethikkommissionen figurieren sie mit ihren Positionen meist unter 'ferner liefen'“, bedauerte Schönborn.

Viele Gesetzesmaterien seien kompromissfähig. Doch Papst Benedikt habe mehrmals mit Recht darauf hingewiesen, „dass in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht“.

Auch die sommerliche Beschneidungsdebatte offenbare ein Abrücken von Religion, wies der Kardinal hin. Das Recht auf körperliche Integrität habe in einer säkularen Gesellschaft offenbar eine höhere Plausibilität. Schönborn dazu: „Man wünscht sich, dass das Recht auf körperliche Integrität des zur Abtreibung freigegebenen Ungeborenen mit ebensolcher Vehemenz verteidigt würde wie das Recht, über das Haben oder Nichthaben der Vorhaut selbst entscheiden zu können.“

Wenn der gesellschaftliche Konsens durch das gesetzgeberische Mehrheitsprinzip von den „christlichen Werten“ abrücke und damit die Christen „nicht nur in eine Minderheitsposition, sondern auch in Gewissenskonflikte bringt“, liegt nach den Worten Schönborns die Versuchung nahe, „sich dieser Welt anzugleichen“, wie Paulus warnend formuliert habe. Mit seiner vieldiskutierten Aussage von der „Entweltlichung“ habe der Papst der drohenden „Verweltlichung“ der Kirche ihr Gegenstück entgegengehalten.

„Schwanken zwischen Anpassung und Abgrenzung“

Viele Christen, „ob Gläubige oder Amtsträger, schwanken zwischen Anpassung und Abgrenzung“, so Schönborn weiter. Benedikt XVI. ermutige die Christen heute zu einem positiven Verhältnis zur säkularen Gesellschaft - freilich nicht im Sinne der Anpassung, wie der Wiener Erzbischof hinzufügte. Vielmehr sollten die Christen in aller Freiheit in einer pluralistischen Gesellschaft „das Eigene einbringen“.

Gerade in Staaten wie Deutschland oder Österreich, die ein stark kooperatives Verhältnis zu den Kirchen hätten, sei „die Versuchung groß, mehr auf die eigene kirchliche Institution und Organisation zu schauen, als auf die ursprüngliche Berufung des Christen in der Welt“, räumte Schönborn ein. Die vom Papst geforderte „Entweltlichung“ meine nicht den Rückzug aus allen Vernetzungen der Kirche mit der zivilen Gesellschaft und dem Staat, wohl aber „ein Freierwerden für das Eigentliche des Christentums, das Evangelium und seine Bezeugung“. Ein „verweltlichtes“ Christentum dagegen sei gerade in einer säkularen Gesellschaft „uninteressant“, so Schönborn. „Denn 'weltlich' sein, das können die Säkularen meist besser als die Kirchlichen.“

Kardinal Schönborn kritisierte es als unzulänglich, dass der pragmatische Nutzen der Religion oft als Argument für ihren Platz in der säkularen Gesellschaft verwendet wird; Religion mag zwar nützlich für die Moral sein, kulturelle Werte fördern oder soziales Verhalten stärken – „aber es ist nicht das Herz der Religion“, argumentierte er. Dieses bestehe darin, dass Menschen an Gott glauben, weil Gott für sie „die alles bestimmende Wirklichkeit“ sei.

„Mehr als alle Worte spricht die Tat“

Getragen von dieser Überzeugung gelte es nach dem Vorbild Papst Benedikts die großen Worte des Glaubens - wie Glaube, Hoffnung und Liebe, Barmherzigkeit, Gnade oder Rechtfertigung - neu leuchten zu lassen, appellierte Schönborn. „Doch mehr als alle Worte spricht die Tat“, ergänzte er. „Vielleicht müssen wir Christen mehr darauf vertrauen, dass die selbstlose, interessensfreie Tat des Glaubens oft mehr bewirkt als alle noch so wichtigen gesetzgeberischen Maßnahmen.“ Er rief das Beispiel Mutter Teresas in Erinnerung, die zum Konfliktthema Lebensschutz „die einzig überzeugende Antwort gefunden“ habe: „Tötet sie nicht! Gebt sie mir!“

Der Kardinal schloss seine Ausführungen mit der Überzeugung, dem „fremdgewordenen Christentum“ könnten heutige Zeitgenossen nur um den Preis ihrer eigenen Bekehrung nahekommen. „Und die ist ein lebenslanger Prozess und beginnt bei uns selbst.“

(kap 13.09.2012 pr)








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