Bischof von Tripolis: „Das libysche Volk hat schon genug gelitten“
Als Rückschlag für
das libysche Volk auf seinem Weg zu mehr Demokratie und Selbstbestimmung sieht der
Apostolische Vikar von Tripolis den blutigen Terroranschlag auf die US-amerikanische
Botschaft in Bengasi vom Dienstagabend. Bei der Attacke kamen der US-Botschafter und
drei seiner Mitarbeiter ums Leben. Der Anschlag war offenbar von langer Hand geplant.
Die professionelle Vorbereitung spreche dafür, dass er bewusst für den Jahrestag des
11. September 2001 geplant war, hieß es aus Washington: Islamistische Terroristen
wollten damit unterstreichen, dass sie sich weiterhin in einem Krieg mit den Vereinigten
Staaten sehen. Die Mohammed-Satire eines US-Amateurfilmers - die nicht nur in Libyen,
sondern auch in Ägypten, im Jemen und im Iran wütende Muslime auf die Straßen trieb
- steht so offenbar in keinem kausalen Zusammenhang mit der Ermordung der vier Botschaftsmitarbeiter
in Bengasi. Terror könne das libysche Volk gerade jetzt wirklich nicht gebrauchen,
sagte Bischof Giovanni Innocenzo Martinelli gegenüber Radio Vatikan:
„Libyen
befindet sich auf einem besonderen Weg des Wachstums, wir hatten die Wahlen und es
wird eine neue Regierung gebildet. Wir brauchen jetzt eine gewisse Ruhe und Gelassenheit,
damit das libysche Volk seine eigenen Entscheidungen treffen und auf eigenen Füßen
gehen kann. Was jetzt passiert ist, nützt auf politischer Ebene nichts, es geht gegen
die Politik und gegen die Religiosität und Sensibilität dieses Volkes, das doch schon
genug gelitten hat. (…) Alle wollen hier eigentlich Frieden, aber es gibt innere Konflikte,
die diesen behindern: Extremismen und Fundamentalisten, die sich Gehör verschaffen.
Solche Ereignisse, die von außen kommen, erhöhen und fördern die Wut dieses Volkes,
das in seiner Gemeinschaft wirklich den Frieden sucht.“
Vatikan
und Muslime verurteilen den AnschlagAngesichts des Mordanschlages von Bengasi
haben christliche und muslimische Religionsvertreter zu Verständigung, Besonnenheit
und Gewaltprävention aufgerufen. Der Vatikan verurteilte die Ermordung der vier Botschaftsmitarbeiter
in Bengasi scharf. Vatikansprecher Pater Federico Lombardi sprach von einem „schwerwiegenden,
organisierten Attentat“. „Mörderische Gewalt“ und „terroristische Aktivitäten“ seien
„durch nichts zu rechtfertigen“, so der Vatikansprecher, der zugleich den Schmerz
über die Opfer in Worte fasste. Der Vatikan hoffe, dass die Internationale Gemeinschaft
„die besten Wege“ finden möge, mit ihrem Einsatz „zur Förderung des Friedens in Libyen
und im gesamten Nahen Osten“ beizutragen, heißt es in der Erklärung weiter. Mit Blick
auf den Mohammed-Film rief Lombardi gleichzeitig zu Respekt gegenüber religiösen Überzeugungen
auf.
Ähnlich äußerte sich die Leitung der Kairoer Al-Azhar-Universität: Reaktionen
auf Verunglimpfungen des Islam müssten die Fakten klarstellen und dürften nicht Unschuldige
für die Taten anderer verantwortlich machen, sagte Ahmed Al-Tayeb, Groß-Imam der im
sunnitischen Islam prominenten Lehreinrichtung. Er äußerte sich am Mittwoch laut der
ägyptischen Zeitung „Ahram Online“.
Auch die Organisation für Islamische Zusammenarbeit
(OIC) verurteilte die Gewalt gegen US-Vertretungen in Libyen und Ägypten. Generalsekretär
Ekmeleddin Ihsanoglu erklärte am Mittwoch im saudischen Dschidda, er sei „schockiert“
über den Angriff von Bengasi; die Tat sei unter keinen Umständen hinnehmbar. Die internationale
Gemeinschaft dürfe sich nicht von Extremisten irgendeiner Seite in Geiselhaft nehmen
lassen. Die Staaten müssten die betreffenden Fragen der Religions- und der Meinungsfreiheit
auf internationaler Ebene angehen, so der Generalsekretär der Organisation von 57
Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung.
Aufruf zu interreligiöser
Verständigung und ToleranzDass eine Verunglimpfung des Propheten Mohammed
aus muslimischer Sicht eine schwerwiegende Beleidigung darstellt, daran erinnerte
mit Blick auf die Mohammed-Satire des US-Amateurfilmers auch Bischof Innocenzo Martinelli
von Tripolis im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Den Propheten anzurühren,
mit dem sich die muslimisch-arabische Gemeinschaft identifiziert, ist etwas sehr Schwerwiegendes.
Man macht sich das nicht klar: Man kann über politische Fragen sprechen und sich da
nicht einig sein, aber wenn man den Propheten anrührt, geht es um Sensibilität und
Identifikation. Ich weiß zwar nicht ganz genau, worum es in dem Film geht, aber wenn
er die Sensibilität der arabischen Welt verletzt hat und in irgendeiner Weise respektlos
über ihn gesprochen hat, tut das sicher nicht gut.“ Der Groß-Imam der Al-Azhar-Universität,
Ahmed Al-Tayeb, rief islamische akademische Einrichtungen derweil auf, die Ursachen
und steuernde Faktoren von Islamfeindlichkeit zu bestimmen und intellektuelle Mittel
gegen solche Aggressionen zu suchen. Zugleich kündigte die Universität eine Kommunikationsinitiative
über den Islam an. Diese solle sich vor allem an Nichtmuslime in islamischen Staaten
und an islamische Zentren im Westen richten, besonders dort, wo antiislamische Anfeindungen
ihren Ausgang nähmen.