„In arabischen Umbruchländern eine Kultur der Demokratie entwickeln"
Der arabische Frühling
aus vatikanischer Sicht: das war bisher eine nahezu unbeschriebene Seite. In der Tat
ist es geläufige Praxis beim Heiligen Stuhl, sich in politischen Fragen nach außen
hin zurückzuhalten, während hinter den Kulissen die päpstliche Diplomatie am Werk
ist, um bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen zu fördern und Gefahren, etwa für
Minderheiten, einzudämmen. Nun hat erstmals ein hochrangiger Vatikanmann öffentlich
eine lange Rede gehalten, in der er die Positionen des Heiligen Stuhles zum Arabischen
Frühling und auch zu Syrien darlegte. Der Sekretär des päpstlichen Rates für den interreligiösen
Dialog, der spanische Pater Miguel Angel Ayuso Guixot, sprach vergangenen Samstag
in Istanbul bei einer Konferenz über die jüngsten Entwicklungen in Nordafrika und
Nahost und die Perspektiven von Christen und Muslimen in den betroffenen Ländern.
In etlichen arabischen Umbruchländern haben bereits erste Wahlen stattgefunden.
Nun ist aus Sicht des Heiligen Stuhles, wie Pater Ayuso im Radio Vatikan Interview
erklärte, folgendes zu tun:
„Ich denke, man muss jetzt im folgenden eine
„Kultur der Demokratie“ entwickeln und nähren. Das beinhaltet die Entwicklung einer
klaren Rechtsstaatlichkeit, Gesetze, vor denen alle gleich sind; und man muss notwendige
staatliche Institutionen entwickeln, die allen Bürgern gleichermaßen dienen. Klarerweise
braucht die Entwicklung einer solchen „Kultur der Demokratie“ Zeit, Mühe, Geduld und
Bildung.“
Das Abhalten von Wahlen an sich war schon ein guter Schritt,
erklärte Pater Ayuso in Istanbul. Allerdings bestehe immer noch die Gefahr, dass Demokratie
dazu benutzt werden könnte, extremistische und fundamentalistische Ideologien zu legitimieren.
Ein Missbrauch, den nicht nur die Christen, sondern auch gemäßigte Muslime fürchteten:
„Auch sie haben Angst vor der Einführung der Scharia als einzige Rechtsquelle“.
Pater
Ayuso weiß, wovon er spricht. Der Comboni-Missionar und ausgebildete Islamwissenschaftler
war über Jahrzehnte in Konfliktländern wie dem Sudan im Einsatz. Der Ruf der Kirche,
besonders auch Papst Benedikts, nach „stabilen und versöhnten Gesellschaften“, in
denen niemand aufgrund seiner Volksgruppe, seiner Religion oder seines Geschlechts
diskriminiert wird, ist ihm schon aus eigener Anschauung geläufig wie vielleicht wenigen
anderen Priestern der römischen Kurie. Vergangenen Juni berief der Papst den spanischen
Pater zum „Zweiten Mann“ im Rat für interreligiösen Dialog. Die Umbruchsbewegungen
in der arabischen Welt verfolgte er schon vorher.
„Papst Benedikt hat oft
dargelegt, dass die Förderung der Menschenrechte die wirksamste Vorgehensweise zum
Erreichen des Gemeinwohls ist – und das Gemeinwohl ist die Grundlage sozialer Harmonie.
Demokratie hat ihre Fundamente im Respekt für die Menschenrechte. Nun gibt es da die
zunehmenden Bemühungen, eine Demokratie in sozialen Gefüge der arabischen Welt zu
verankern. Und da ist die Hoffnung vorhanden, dass das zu einem höheren Ansehen für
diese grundlegenden Rechte führt.“
Ganz besonders ist dem Heiligen Stuhl
naturgemäß die Religionsfreiheit ein Anliegen. In etlichen Ländern des Arabischen
Frühlings, Ägypten unter anderem, werden christliche Minderheiten heute stärker diskriminiert
als unter der autoritären Führung der Vergangenheit. Aus Sicht des Heiligen Stuhles
ist das nicht hinzunehmen. In Pater Ayusos vorsichtigen Worten klingt dieser Sachverhalt
so:
„Christen in der arabischen Welt sind dazu bereit, ebenso wie ihre muslimischen
Mitbürger, ihre Rolle als Bürger zu übernehmen, wenn es um den Aufbau von Gesellschaften
geht, die die Menschenrechte aller Bürger respektieren. Besonders gilt es, den Missbrauch
von Religion zu vermeiden, wenn also Religion benutzt wird, um Spannungen zwischen
den verschiedenen Komponenten einer Nation zu schüren.“
Sowohl zivile als
auch religiöse Autoritäten müssen sich in den arabischen Ländern anstrengen, die Menschen
zum Respekt für die grundlegenden Freiheiten zu erziehen, stellte Pater Ayuso in Istanbul
klar. Und zusätzlich müssten die neuen Leader in der arabischen Welt darauf achten,
die wirtschaftliche Not der großen Masse der Bevölkerung anzugehen, weil die ökonomischen
Probleme in den Umbruchländern Hand in Hand gingen mit den Bemühungen um eine „Kultur
der Demokratie“. „Wenn die neue arabische Führung, die sich selbst als gemäßigt beschreibt,
es verabsäumt, solche wirtschaftlichen Themen zu behandeln, wird das nur die Position
der Fundamentalisten stärken“, sagte Ayuso.
Jedenfalls hätten die islamistischen
Parteien, die in Tunesien, Marokko und Ägypten an die Macht gekommen seien, moderate
und pragmatische Töne angeschlagen, „auch wenn in einigen Vierteln eine gewisse Skepsis
vorhanden ist“. Viele der neuen politischen Akteure hätten bisweilen im westlichen
Ausland gelebt, dort aber auch negative Erfahrungen mit Auswüchsen der westlichen
Daseinsweise gesammelt; Ayuso sprach von moralischer Freizügigkeit, Ablehnung religöser
Werte, Konsumismus und „aggressiven säkularen Ideologien, die konträr sind zu islamischen
und arabischen Kulturen“. Das sei auch insofern schädlich, als jetzt Bürgergruppen
in arabischen Ländern, die sich die Werte westlicher Demokratien auf die Fahnen schrieben,
bei den Mitbürgern leicht als „gottlos“, unislamisch „oder gar unarabisch“ gelten.
Im „natürlichen politischen Gleichgewicht“ befinde sich noch keine der arabischen
Umbruchnationen, so der Vatikan-Mann. Jedes Land müsse wohl sein eigenes Modell politischer
Führung finden - „und jedem von außen auferlegten Modell widerstehen“.
Der
spanische Comboni-Missionar ist am päpstlichen Dialograt für die Gespräche zwischen
Christen und Muslimen in verschiedenen Ländern zuständig, darunter Ägypten. In dieser
Funktion hat er die Dokumente zum „Arabischen Frühling“ der Kairoer Al-Azhar Universität
studiert, der größten Autorität in der islamischen Gelehrtenwelt. Diese Lehrschriften
besagten unter anderem, dass nicht die Religionszugehörigkeit, sondern die Staatsbürgerschaft
das einzige Kriterium für Teilnahme an politischen Prozessen sein sollte, hob Ayuso
hervor. Auch Religionsfreiheit sei darin erfreulicherweise als Fundament demokratischen
Regierens genannt, ebenso Meinungsfreiheit. Allerdings sei offen, welche Auswirkungen
die Al-Azhar-Dokumente auf die politische Entwicklung in Ägypten haben werde, räumte
Ayuso ein.
Im letzten Teil seines Vortrags sprach der Vatikan-Mann über Syrien.
Nun war seit Beginn des Umbruchs in dem Nahostland die Haltung syrischer Christen
und auch der Patriarchen pro oder kontra Assad widersprüchlich. Wohl auch, weil das
Beispiel des Nachbarlands Irak nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein den Menschen
plastisch vor Augen steht. Ayuso:
„Das Schreckgespenst dessen, was den
Christen im Irak geschah, hängt schwer über den christlichen Gemeinden in Syrien.
Natürlich fürchten sie, dass die zunehmende Gewalt, Zerstörung und Vertreibung nicht
nur sie selbst betreffen, sondern alle Syrer.“
Zumal westliche Beobachter
hatten in der Vergangenheit den syrischen Christen mitunter sogar ankreidet, dass
sie an Assad als vermeintlichem Garanten der Stabilität festhielten oder zumindest
nicht ungeteilt hinter den Rebellen standen. Ayuso spricht von der „Überparteilichkeit“
der syrischen Christen.
„Christen wollen in Syrien nicht an den Rand gedrängt
werden, noch suchen sie parteiische Vorteile. Sie wollen sich in den Dienst des Gemeinwohls
stellen und Brücken sein zwischen den verschiedenen Gruppen. Es wäre bedauerlich,
wenn die Wahl der Christen, keine parteiische Politik zu betreiben, ihnen als Feigheit
statt als Mut ausgelegt werden würde. Die Entscheidung, für alle Gruppen offen zu
sein und das Parteiische zu überwinden, verlangt vielleicht den größeren Mut.“
Die
Position des Heiligen Stuhles in dem blutigen Konflikt fasste der Sekretär des päpstlichen
Dialogrates in fünf Punkten zusammen: sofortiges Ende der Gewalt, Dialog, das Bewahren
der Einheit des syrischen Volkes ungeachtet ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit,
die Bitte an die syrische Führung, die Befürchtungen der internationalen Gemeinschaft
ernst zu nehmen, und schließlich der Aufruf des Heiligen Stuhles an die Staatengemeinschaft,
einen Friedensprozess in Syrien und der gesamten Region zu begleiten.
Am Freitag
reist Papst Benedikt XVI. in den Libanon; er wird sich der Grenze zu Syrien auf weniger
als 100 Kilometer nähern. Wie aus dem Vatikan verlautet, wird der Papst jede politische
Aussage vermeiden. Die Einlassungen des Sekretärs des päpstlichen Dialogrates wenige
Tage vor dieser Visite im Nahen Osten gewinnen vor diesem Hintergrund eine besondere
Bedeutung.