2012-09-12 10:42:29

„In arabischen Umbruchländern eine Kultur der Demokratie entwickeln"


RealAudioMP3 Der arabische Frühling aus vatikanischer Sicht: das war bisher eine nahezu unbeschriebene Seite. In der Tat ist es geläufige Praxis beim Heiligen Stuhl, sich in politischen Fragen nach außen hin zurückzuhalten, während hinter den Kulissen die päpstliche Diplomatie am Werk ist, um bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen zu fördern und Gefahren, etwa für Minderheiten, einzudämmen. Nun hat erstmals ein hochrangiger Vatikanmann öffentlich eine lange Rede gehalten, in der er die Positionen des Heiligen Stuhles zum Arabischen Frühling und auch zu Syrien darlegte. Der Sekretär des päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, der spanische Pater Miguel Angel Ayuso Guixot, sprach vergangenen Samstag in Istanbul bei einer Konferenz über die jüngsten Entwicklungen in Nordafrika und Nahost und die Perspektiven von Christen und Muslimen in den betroffenen Ländern.

In etlichen arabischen Umbruchländern haben bereits erste Wahlen stattgefunden. Nun ist aus Sicht des Heiligen Stuhles, wie Pater Ayuso im Radio Vatikan Interview erklärte, folgendes zu tun:

„Ich denke, man muss jetzt im folgenden eine „Kultur der Demokratie“ entwickeln und nähren. Das beinhaltet die Entwicklung einer klaren Rechtsstaatlichkeit, Gesetze, vor denen alle gleich sind; und man muss notwendige staatliche Institutionen entwickeln, die allen Bürgern gleichermaßen dienen. Klarerweise braucht die Entwicklung einer solchen „Kultur der Demokratie“ Zeit, Mühe, Geduld und Bildung.“

Das Abhalten von Wahlen an sich war schon ein guter Schritt, erklärte Pater Ayuso in Istanbul. Allerdings bestehe immer noch die Gefahr, dass Demokratie dazu benutzt werden könnte, extremistische und fundamentalistische Ideologien zu legitimieren. Ein Missbrauch, den nicht nur die Christen, sondern auch gemäßigte Muslime fürchteten: „Auch sie haben Angst vor der Einführung der Scharia als einzige Rechtsquelle“.

Pater Ayuso weiß, wovon er spricht. Der Comboni-Missionar und ausgebildete Islamwissenschaftler war über Jahrzehnte in Konfliktländern wie dem Sudan im Einsatz. Der Ruf der Kirche, besonders auch Papst Benedikts, nach „stabilen und versöhnten Gesellschaften“, in denen niemand aufgrund seiner Volksgruppe, seiner Religion oder seines Geschlechts diskriminiert wird, ist ihm schon aus eigener Anschauung geläufig wie vielleicht wenigen anderen Priestern der römischen Kurie. Vergangenen Juni berief der Papst den spanischen Pater zum „Zweiten Mann“ im Rat für interreligiösen Dialog. Die Umbruchsbewegungen in der arabischen Welt verfolgte er schon vorher.

„Papst Benedikt hat oft dargelegt, dass die Förderung der Menschenrechte die wirksamste Vorgehensweise zum Erreichen des Gemeinwohls ist – und das Gemeinwohl ist die Grundlage sozialer Harmonie. Demokratie hat ihre Fundamente im Respekt für die Menschenrechte. Nun gibt es da die zunehmenden Bemühungen, eine Demokratie in sozialen Gefüge der arabischen Welt zu verankern. Und da ist die Hoffnung vorhanden, dass das zu einem höheren Ansehen für diese grundlegenden Rechte führt.“

Ganz besonders ist dem Heiligen Stuhl naturgemäß die Religionsfreiheit ein Anliegen. In etlichen Ländern des Arabischen Frühlings, Ägypten unter anderem, werden christliche Minderheiten heute stärker diskriminiert als unter der autoritären Führung der Vergangenheit. Aus Sicht des Heiligen Stuhles ist das nicht hinzunehmen. In Pater Ayusos vorsichtigen Worten klingt dieser Sachverhalt so:

„Christen in der arabischen Welt sind dazu bereit, ebenso wie ihre muslimischen Mitbürger, ihre Rolle als Bürger zu übernehmen, wenn es um den Aufbau von Gesellschaften geht, die die Menschenrechte aller Bürger respektieren. Besonders gilt es, den Missbrauch von Religion zu vermeiden, wenn also Religion benutzt wird, um Spannungen zwischen den verschiedenen Komponenten einer Nation zu schüren.“

Sowohl zivile als auch religiöse Autoritäten müssen sich in den arabischen Ländern anstrengen, die Menschen zum Respekt für die grundlegenden Freiheiten zu erziehen, stellte Pater Ayuso in Istanbul klar. Und zusätzlich müssten die neuen Leader in der arabischen Welt darauf achten, die wirtschaftliche Not der großen Masse der Bevölkerung anzugehen, weil die ökonomischen Probleme in den Umbruchländern Hand in Hand gingen mit den Bemühungen um eine „Kultur der Demokratie“. „Wenn die neue arabische Führung, die sich selbst als gemäßigt beschreibt, es verabsäumt, solche wirtschaftlichen Themen zu behandeln, wird das nur die Position der Fundamentalisten stärken“, sagte Ayuso.

Jedenfalls hätten die islamistischen Parteien, die in Tunesien, Marokko und Ägypten an die Macht gekommen seien, moderate und pragmatische Töne angeschlagen, „auch wenn in einigen Vierteln eine gewisse Skepsis vorhanden ist“. Viele der neuen politischen Akteure hätten bisweilen im westlichen Ausland gelebt, dort aber auch negative Erfahrungen mit Auswüchsen der westlichen Daseinsweise gesammelt; Ayuso sprach von moralischer Freizügigkeit, Ablehnung religöser Werte, Konsumismus und „aggressiven säkularen Ideologien, die konträr sind zu islamischen und arabischen Kulturen“. Das sei auch insofern schädlich, als jetzt Bürgergruppen in arabischen Ländern, die sich die Werte westlicher Demokratien auf die Fahnen schrieben, bei den Mitbürgern leicht als „gottlos“, unislamisch „oder gar unarabisch“ gelten. Im „natürlichen politischen Gleichgewicht“ befinde sich noch keine der arabischen Umbruchnationen, so der Vatikan-Mann. Jedes Land müsse wohl sein eigenes Modell politischer Führung finden - „und jedem von außen auferlegten Modell widerstehen“.

Der spanische Comboni-Missionar ist am päpstlichen Dialograt für die Gespräche zwischen Christen und Muslimen in verschiedenen Ländern zuständig, darunter Ägypten. In dieser Funktion hat er die Dokumente zum „Arabischen Frühling“ der Kairoer Al-Azhar Universität studiert, der größten Autorität in der islamischen Gelehrtenwelt. Diese Lehrschriften besagten unter anderem, dass nicht die Religionszugehörigkeit, sondern die Staatsbürgerschaft das einzige Kriterium für Teilnahme an politischen Prozessen sein sollte, hob Ayuso hervor. Auch Religionsfreiheit sei darin erfreulicherweise als Fundament demokratischen Regierens genannt, ebenso Meinungsfreiheit. Allerdings sei offen, welche Auswirkungen die Al-Azhar-Dokumente auf die politische Entwicklung in Ägypten haben werde, räumte Ayuso ein.

Im letzten Teil seines Vortrags sprach der Vatikan-Mann über Syrien. Nun war seit Beginn des Umbruchs in dem Nahostland die Haltung syrischer Christen und auch der Patriarchen pro oder kontra Assad widersprüchlich. Wohl auch, weil das Beispiel des Nachbarlands Irak nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein den Menschen plastisch vor Augen steht. Ayuso:

„Das Schreckgespenst dessen, was den Christen im Irak geschah, hängt schwer über den christlichen Gemeinden in Syrien. Natürlich fürchten sie, dass die zunehmende Gewalt, Zerstörung und Vertreibung nicht nur sie selbst betreffen, sondern alle Syrer.“

Zumal westliche Beobachter hatten in der Vergangenheit den syrischen Christen mitunter sogar ankreidet, dass sie an Assad als vermeintlichem Garanten der Stabilität festhielten oder zumindest nicht ungeteilt hinter den Rebellen standen. Ayuso spricht von der „Überparteilichkeit“ der syrischen Christen.

„Christen wollen in Syrien nicht an den Rand gedrängt werden, noch suchen sie parteiische Vorteile. Sie wollen sich in den Dienst des Gemeinwohls stellen und Brücken sein zwischen den verschiedenen Gruppen. Es wäre bedauerlich, wenn die Wahl der Christen, keine parteiische Politik zu betreiben, ihnen als Feigheit statt als Mut ausgelegt werden würde. Die Entscheidung, für alle Gruppen offen zu sein und das Parteiische zu überwinden, verlangt vielleicht den größeren Mut.“

Die Position des Heiligen Stuhles in dem blutigen Konflikt fasste der Sekretär des päpstlichen Dialogrates in fünf Punkten zusammen: sofortiges Ende der Gewalt, Dialog, das Bewahren der Einheit des syrischen Volkes ungeachtet ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, die Bitte an die syrische Führung, die Befürchtungen der internationalen Gemeinschaft ernst zu nehmen, und schließlich der Aufruf des Heiligen Stuhles an die Staatengemeinschaft, einen Friedensprozess in Syrien und der gesamten Region zu begleiten.

Am Freitag reist Papst Benedikt XVI. in den Libanon; er wird sich der Grenze zu Syrien auf weniger als 100 Kilometer nähern. Wie aus dem Vatikan verlautet, wird der Papst jede politische Aussage vermeiden. Die Einlassungen des Sekretärs des päpstlichen Dialogrates wenige Tage vor dieser Visite im Nahen Osten gewinnen vor diesem Hintergrund eine besondere Bedeutung.

(rv 11.09.2012 gs)








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