Vatikan/Pakistan: Blasphemiegesetz ein Mentalitätsproblem
Erleichterung bei Pakistans Christen: In wenigen Tagen wird die kleine Rimsha gegen
Kaution freigelassen und kann zur ihrer Familie zurückkehren. Das 13-jährige Mädchen
mit gesitiger Behinderung war wegen Koranverunglimpfung festgenommen worden. Die entscheidende
Gerichtsverhandlung, in der über Schuld oder Unschuld des Mädchens befunden wird,
steht aber noch aus. Familienmitglieder und christliche Aktivisten haben die etwa
8.000 Dollar gesammelt, die das Gericht als Kaution festgesetzt hatte. Erzbischof
Silvano Maria Tomasi, Permanenter Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UNO in Genf,
äußert sich im Interview mit Radio Vatikan zu dem Kontext des Falles Rimsha:
„Die
Situation der religiösen Minderheiten ist problematisch: Zunächst einmal für die Christen,
aber auch für andere kleine Minderheiten. Das Problem, das sich nun angesichts dieser
Realität ergibt, ist der Gebrauch des Blasphemiegesetzes. Es wird angesehen als ein
Mittel zur persönlichen Rache oder für Amtsmissbrauch, aber auch um – wie manch einer
sagt, Dörfer von Christen „zu befreien“.“
Vor wenigen Tagen war herausgekommen,
dass es ein Imam war, der die angeblichen Beweise gegen das Mädchen fälschte: Er steckte
die verbrannten Koranseiten in die Tasche der Müllsammlerin und beschuldigte sie dann
der Blasphemie. Der Fall sorge für Aufsehen weit über Pakistan hinaus. Erzbischof
Tomasi mutmaßt, dass die Aktion zum Ziel hatte, die christlichen Familien von Islamabad
in die Flucht zu treiben, um nicht ihre Häuser brennen zu sehen. Deshalb sei der Fall
eine „rote Alarmlampe“, die einige Fragen aufwerfe:
„Zunächst einmal, was
wird in den Koranschulen gelehrt, die zum Großteil von islamistischen Kräften geführt
werden, die sich weder dem Dialog noch der Toleranz öffnen. Das stellt ein schwieriges
Problem für die Regierung Pakistans dar, aber auch für das Zusammenleben in der Gesellschaft.
Zweitens wirft es neue Fragen im Hinblick auf das Blasphemiegesetz auf, das vom Gesichtspunkt
des internationalen Rechts und der Menschenrechte aus als inakzeptabel gelten muss.
Denn aufgrund seiner Vagheit wurde es oft als Mittel missbraucht, um die Rechte religiöser
Minderheiten, nicht nur die der Christen, zu verletzen.“
Was in Pakistan
in einer solche Lage braucht, ist aus Sicht des Vatikan-Diplomaten eine Art Bildungsinitative:
„Meiner Ansicht nach ist es notwendig, dass die lokale Regierung und Institutionen
wirklich große Anstrengungen unternehmen, um eine andere Mentalität zu bilden, die
es den Menschen ermögliche, ihre grundlegenden Menschenrechte gewahrt zu sehen.“
Erschwerend komme nun hinzu, dass das Mädchen und seine Familie an einem geheimen
Ort leben müssten, um nicht von Angriffen der Extremisten getroffen zu werden. Deshalb
müsse das Rechtssystem grundlegenden Änderungen unterworfen werden,
„Damit
die Entscheidungen, die getroffen werden, nicht zur Zielscheibe von Reaktionen aus
dem Volk werden, die schließlich zu grundlegendem Unrecht führen. In diesem Fall habe
ich beobachtet, dass die internationale öffentliche Meinung sich wirklich sehr entschieden
für dieses behinderte und minderjährige Mädchen ausgesprochen hat. Das kann eine Hilfe
sein, die wir alle geben können, um die Regierung und die lokalen Autoritäten Pakistans
dabei zu unterstützen, die Rechte aller Personen entschiedener zu verteidigen, ohne
eine Unterscheidung in erste und zweite Klasse auf der Basis ihrer religiösen Überzeugung
vorzunehmen.“