Europa-Editorial: „Die Kirche und Europa” von Pater Koprowski SJ
Die Kirche und Europa von Pater Andrea Koprowski SJ
Die Bibel
beschreibt die antike Geschichte des Turmbaus zu Babel. Während die Menschen gemeinsam
daran arbeiteten, den Turm aufzubauen, ging ihnen auf einmal auf, dass sie nicht miteinander,
sondern gegeneinander bauten. Während sie versuchten, wie Gott zu sein, liefen sie
Gefahr, nicht einmal mehr Menschen zu sein, denn sie hatten ein wichtiges Element
des Menschseins verloren: die Fähigkeit, sich abzusprechen, einander zu verstehen
und gemeinsam zu arbeiten.
Die Wirtschaftskrise hält Europa in ihren Fängen.
Die Gründe dafür sind nicht bloß europäischer und nicht bloß ökonomischer Natur, sondern
sie haben verschiedene Ursprünge, wie zum Beispiel die Finanzkrise in den Vereinigten
Staaten, die dynamische Entwicklung Asiens, die ernsten Folgen der wachsenden Arbeitslosigkeit,
die im weiteren Sinne eine Beschränkung der Perspektiven für die neuen Generationen
zur Folge hat. Dies bedingt mit eine fehlende Vision für die Erziehung, die sich den
zukünftigen sozialen und kulturellen Zusammenhalt auf die Fahnen schreibt, sowie die
Schwierigkeit, eine Sozialpolitik zu formulieren, die die Familie unterstützt. Die
demographische Krise im Verein mit der wachsenden Immigration nach Europa, mit all
ihren kulturellen und sozialen Folgen, die Langzeitauswirkungen der Ideologien und
der Lobbys, die nicht an der Gemeinschaft oder der Zukunft der Zivilgesellschaft interessiert
sind, auf die grundlegenden Freiheiten des Individuums: dies und mehr sind die Folgen,
die wir beobachten können.
Auch das Bild des Fortschritts hat viele Facetten.
Die Akteure wie auch die Gründe für Unterentwicklung oder Fortschritt sind viele,
die Verantwortlichen im Schlechten wie im Guten sind vielfältig. Die Ideologien vereinfachen
auf künstliche Weise die Realität, während man viel eher die menschliche Dimension
des Problems untersuchen müsste. Die soziale Frage ist eine anthropologische geworden:
Die künstliche Befruchtung, die Untersuchungen an Embryonen und ihr Einfrieren, die
Möglichkeiten des Klonens und der Absolutismus der Technik finden ihren Ausdruck und
schaffen beunruhigende Szenarien für die Zukunft des Menschen, auch mithilfe neuer
Instrumente, die die „Kultur des Todes” zu ihrer Verfügung hat.
Europa, das
vom demographischen wie kulturellen Gesichtspunkt aus geschwächt ist, aber gleichzeitig
bereichert wird durch Millionen neuer Bürger, die aus verschiedenen Kontinenten, Kulturen
und Religionen kommen, unternimmt derzeit entscheidende Schritte auf dem Weg in seine
Zukunft. Bereits 1997, nach dem Treffen der sieben europäischen Präsidenten mit Johannes
Paul II. in Gnesen, sagte der damalige Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Roman
Herzog: „Heute gehen die Veränderungen sehr rasch vonstatten. Ob Europa in 25 Jahren
noch ein autonomer Kontinent ist oder nur ein Anhängsel der Massenmedien Amerikas
oder der Industrie Asiens, wird davon abhängen, ob es im richtigen Moment seinen Dynamismus
wiederfinden wird – eben jenen Dynamismus, den es vom Christentum geerbt hat.“
Papst
Benedikt XVI. fügt dem hinzu: „In dem multikulturellen Umfeld, in dem wir uns alle
befinden, sieht man, dass eine rein rationalistische europäische Kultur ohne die transzendente
religiöse Dimension nicht in der Lage wäre, mit den großen Kulturen der Menschheit
in Dialog zu treten, die alle diese transzendente religiöse Dimension haben, die eine
Dimension des menschlichen Wesens ist.(…) Daher denke ich, dass die Aufgabe und die
Sendung Europas in dieser Situation gerade darin besteht, diesen Dialog zu finden,
den Glauben und die moderne Rationalität in eine einzige anthropologische Sichtweise
zu integrieren, die das menschliche Wesen vollständig erfasst und so auch die Kommunikation
unter den menschlichen Kulturen möglich macht.“ (Pressekonferenz auf dem Flug nach
Portugal, 11. Mai 2010)
Und was kann die Kirche in diesem Zusammenhang
tun? Sie hat keine technischen Lösungen anzubieten, noch beansprucht sie, sich in
die Politik der Staaten einzumischen. Sie hat aber etwas zu sagen in Hinblick auf
eine Gesellschaft auf Augenhöhe des Menschen, seine Würde und die Qualität des kulturellen
und zivilen Fortschritts.
Seit über zwei Jahren bietet Radio Vatikan dank
des Austauschs zwischen den Journalisten, die aus Afrika kommen, das Afrikanische
Editorial in sechs Sprachen an und leistet so einen Beitrag zu einem tieferen Nachdenken
über eine sehr komplexe Situation. Von nun an wird sich das Europa-Editorial anschließen.
Es versteht sich als Ausdruck der auf kirchlicher Lehre fußenden Weltsicht und der
Erfahrungen der verschiedenen Länder des Alten Kontinents – und das aus Sicht der
Universal- oder „römischen“ Kirche.