2012-09-05 11:38:18

Europa-Editorial: „Die Kirche und Europa” von Pater Koprowski SJ


Die Kirche und Europa
von Pater Andrea Koprowski SJ

Die Bibel beschreibt die antike Geschichte des Turmbaus zu Babel. Während die Menschen gemeinsam daran arbeiteten, den Turm aufzubauen, ging ihnen auf einmal auf, dass sie nicht miteinander, sondern gegeneinander bauten. Während sie versuchten, wie Gott zu sein, liefen sie Gefahr, nicht einmal mehr Menschen zu sein, denn sie hatten ein wichtiges Element des Menschseins verloren: die Fähigkeit, sich abzusprechen, einander zu verstehen und gemeinsam zu arbeiten.

Die Wirtschaftskrise hält Europa in ihren Fängen. Die Gründe dafür sind nicht bloß europäischer und nicht bloß ökonomischer Natur, sondern sie haben verschiedene Ursprünge, wie zum Beispiel die Finanzkrise in den Vereinigten Staaten, die dynamische Entwicklung Asiens, die ernsten Folgen der wachsenden Arbeitslosigkeit, die im weiteren Sinne eine Beschränkung der Perspektiven für die neuen Generationen zur Folge hat. Dies bedingt mit eine fehlende Vision für die Erziehung, die sich den zukünftigen sozialen und kulturellen Zusammenhalt auf die Fahnen schreibt, sowie die Schwierigkeit, eine Sozialpolitik zu formulieren, die die Familie unterstützt. Die demographische Krise im Verein mit der wachsenden Immigration nach Europa, mit all ihren kulturellen und sozialen Folgen, die Langzeitauswirkungen der Ideologien und der Lobbys, die nicht an der Gemeinschaft oder der Zukunft der Zivilgesellschaft interessiert sind, auf die grundlegenden Freiheiten des Individuums: dies und mehr sind die Folgen, die wir beobachten können.

Auch das Bild des Fortschritts hat viele Facetten. Die Akteure wie auch die Gründe für Unterentwicklung oder Fortschritt sind viele, die Verantwortlichen im Schlechten wie im Guten sind vielfältig. Die Ideologien vereinfachen auf künstliche Weise die Realität, während man viel eher die menschliche Dimension des Problems untersuchen müsste. Die soziale Frage ist eine anthropologische geworden: Die künstliche Befruchtung, die Untersuchungen an Embryonen und ihr Einfrieren, die Möglichkeiten des Klonens und der Absolutismus der Technik finden ihren Ausdruck und schaffen beunruhigende Szenarien für die Zukunft des Menschen, auch mithilfe neuer Instrumente, die die „Kultur des Todes” zu ihrer Verfügung hat.

Europa, das vom demographischen wie kulturellen Gesichtspunkt aus geschwächt ist, aber gleichzeitig bereichert wird durch Millionen neuer Bürger, die aus verschiedenen Kontinenten, Kulturen und Religionen kommen, unternimmt derzeit entscheidende Schritte auf dem Weg in seine Zukunft. Bereits 1997, nach dem Treffen der sieben europäischen Präsidenten mit Johannes Paul II. in Gnesen, sagte der damalige Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Roman Herzog: „Heute gehen die Veränderungen sehr rasch vonstatten. Ob Europa in 25 Jahren noch ein autonomer Kontinent ist oder nur ein Anhängsel der Massenmedien Amerikas oder der Industrie Asiens, wird davon abhängen, ob es im richtigen Moment seinen Dynamismus wiederfinden wird – eben jenen Dynamismus, den es vom Christentum geerbt hat.“

Papst Benedikt XVI. fügt dem hinzu: „In dem multikulturellen Umfeld, in dem wir uns alle befinden, sieht man, dass eine rein rationalistische europäische Kultur ohne die transzendente religiöse Dimension nicht in der Lage wäre, mit den großen Kulturen der Menschheit in Dialog zu treten, die alle diese transzendente religiöse Dimension haben, die eine Dimension des menschlichen Wesens ist.(…) Daher denke ich, dass die Aufgabe und die Sendung Europas in dieser Situation gerade darin besteht, diesen Dialog zu finden, den Glauben und die moderne Rationalität in eine einzige anthropologische Sichtweise zu integrieren, die das menschliche Wesen vollständig erfasst und so auch die Kommunikation unter den menschlichen Kulturen möglich macht.“ (Pressekonferenz auf dem Flug nach Portugal, 11. Mai 2010)

Und was kann die Kirche in diesem Zusammenhang tun? Sie hat keine technischen Lösungen anzubieten, noch beansprucht sie, sich in die Politik der Staaten einzumischen. Sie hat aber etwas zu sagen in Hinblick auf eine Gesellschaft auf Augenhöhe des Menschen, seine Würde und die Qualität des kulturellen und zivilen Fortschritts.

Seit über zwei Jahren bietet Radio Vatikan dank des Austauschs zwischen den Journalisten, die aus Afrika kommen, das Afrikanische Editorial in sechs Sprachen an und leistet so einen Beitrag zu einem tieferen Nachdenken über eine sehr komplexe Situation. Von nun an wird sich das Europa-Editorial anschließen. Es versteht sich als Ausdruck der auf kirchlicher Lehre fußenden Weltsicht und der Erfahrungen der verschiedenen Länder des Alten Kontinents – und das aus Sicht der Universal- oder „römischen“ Kirche.

(rv 05.09.2012 cs)








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