Ratzinger-Schülerkreis: "In Ökumene Schritte setzen, aber nicht gleich auf volle Einheit
zielen"
Der Schülerkreis,
den der ehemalige Professor Joseph Ratzinger nach wie vor einmal jährlich um sich
versammelt, geht an diesem Sonntag seinem Ende zu. Seit Donnerstag sind hochkarätige
Professoren und Theologen aus aller Welt in Castel Gandolfo versammelt, wo sie im
Gespräch mit ihrem Professor wieder selbst zu Schülern werden können. Das Thema des
Schülerkreis-Treffens 2012 lautete "Ökumenische Ergebnisse und Fragen im Gespräch
mit Luthertum und Anglikanismus". Zu welchen Ergebnissen die Ratzinger-Schüler unter
Leitung Papst Benedikts gelangt sind, wollte Gudrun Sailer von Pater Stephan Horn,
dem Sprecher des Schülerkreises, wissen.
„Solche Gespräche haben eigentlich
nicht die Aufgabe, zu Schlüssen zu kommen, sondern dass man versucht, Wege zueinander
zu finden und Dialoge zu führen. Es hat sich gezeigt, dass es nicht gut ist, wenn
man zurückkehrt zu einer größeren Betonung der Gegensätzlichkeiten, dass man aber
auch nicht sofort auf die endgültige Einheit blickt, da das die Gefahr in sich birgt,
dass man enttäuscht wird. Das ist ja eine heute weit verbreitete Meinung, dass es
in den ökumenischen Gesprächen nicht vorangeht, und da ist es eben doch sehr hilfreich
zu betonen, dass man nicht vorschnell auf eine endgültige Einigung hinzielt, sondern
die Schritte zu machen, die möglich sind.“
Haben Sie die Schritte auf dem
Weg zu einer Einheit geortet?
„Nein, so systematisch sind wir nicht vorgegangen.
Es gab auch drei Referenten, und zunächst stand im Vordergrund das Luthertum. Wir
haben beispielsweise über die gemeinsame Geschichte zwischen Lutheranern und Katholiken
gesprochen, die ja anfangs sehr schwierig war: Man denke nur an die Religionskriege,
die zu einer dauerhaften Belastung geführt haben, weil sich viele Menschen der damaligen
Zeit von den konfessionellen Fragen und auch den Kirchen abgewandt haben und statt
des Glaubens das Denken gewählt haben. Dies nach dem Motto, die Kirchen könnten keine
Orientierung geben, wenn sie in den Religionskriegen selbst so unchristlich gehandelt
haben. Das Vertrauen in die Kirchen ist gesunken. Eine der geäußerten Thesen war,
dass das Versagen der Kirchen in den konfessionellen Streitigkeiten mit der Grund
für die Säkularisierung, in der wir heute stehen, gewesen ist. Dass Gott also nicht
mehr im Zentrum steht, sondern die Gesellschaft - und dass deshalb ökumenische Bemühungen
dabei helfen könnten, die Säkularisierung zu überwinden.“
Religionskriege
können wohl nicht rückgängig gemacht werden, die Wunden sind sehr alt. Wie kann man
denn dennoch vorgehen?
„Man hat im Gespräch in besonderer Weise die Frage
erörtert, ob nicht ein gegenseitiges Schuldbekenntnis eine Hilfe sein kann. Das ist
ja auch ein großes Thema des Papstes, das er gelegentlich „Reinigung des Gedächtnisses“
genannt hat. Das heißt, diese schmerzhaften Gegensätze neu zu bedenken und neu zu
betrachten, Schuld einzugestehen und von da aus die Vergangenheit mit neuen Augen
und Herzen anzusehen. Das belastende dieser Zwiespältigkeiten, die ja über Jahrhunderte
in die Herzen eingedrungen sind, ist nicht einfach eine Sache, die gewesen ist, sondern
das ist Gegenwart. Man muss versuchen, das zu überwinden, etwa durch ein gegenseitiges
Schuldeingeständnis. Beispielsweise wäre das Lutherjubiläum ein guter Moment für dieses
Eingeständnis, wie jemand vorgeschlagen hat. Ein anderer, der stark im ökumenischen
Dialog engagiert ist, hat die Auffassung geäußert, dass es möglich wäre, über das
Jahr hinweg mehrere Tage zu nehmen, wo man an Ereignisse erinnert, die den anderen
verletzt haben.“
Diese Idee des gegenseitigen Schuldeingeständnisses –
vielleicht auf im Zusammenhang mit dem Lutherjubiläum, war das Ihrem Eindruck nach
eine Idee, die dem Papst gefallen hat?
„Er hat zu dieser Frage eigentlich
nicht Stellung genommen, aber man kann sagen, dass das Gespräch wirklich in einem
gegenseitigen Wohlwollen und Einvernehmen geschehen ist, das war sehr außerordentlich
und befreiend. Man hat nicht über Einzelheiten diskutiert, aber diese Grundauffassungen
sind nicht nur theoretisch im Raum gestanden, sondern man hat gespürt, dass in diesen
großen Fragen ein großes Einvernehmen vorhanden ist.“
Gab es denn in Bezug
auf die Anglikaner ähnlich konkrete Vorschläge wie die Sache mit dem Schuldeingeständnis
für Katholiken und Lutheraner?
„In diesem Bereich wurde vor allem die Wahrheitsfrage
betont. Man kann gewisse Konsenspapiere anfertigen und man kann gewisse Annäherungen
suchen, was ja auch geschieht. Auf der einen Seite sind solche Gespräche der Anlass,
nicht Kompromissformulierungen zu finden, sondern nach der Wahrheit zu fragen. Dann
wird dieser Dialog lauter und wichtig, auch wenn er nicht gleich zu einer Einigung
führt. Der Heilige Vater hat sehr stark betont, dass der Dialog selbst sehr wichtig
ist, dass es ein Dialog des Lebens ist, auch ein Dialog nach dem rechten Leben, auch
wenn man vielleicht nicht gleich zu gewissen Zielvorstellungen kommt. Das ist wohl
eines der Ergebnisse, das man aus dem Dialog mit den Anglikanern gezogen hat, dass
man vielleicht nicht zu sehr auf Kompromissformulierungen hinzielt, sondern versucht,
soweit dies möglich ist, die Wahrheitsfrage in den Raum zu stellen; und auch wenn
diese Frage nicht sofort gelöst werden, doch gerade in diesem Ringen um die Wahrheit
und das rechte Leben, das rechte Verhältnis zueinander - dass dieser Dialog selbst
das Fruchtbare ist.“
Mit Spannung erwarten die Ratzingerschüler stets die
Rückschau des Papstes auf das vergangene Jahr. Können Sie uns da eine Zusammenfassung
geben, was war Papst Benedikt denn besonders wichtig in den letzten zwölf Monaten?
„Er
hat natürlich, wie er das gerne tut, über seine Reisen gesprochen. Er hat über die
Reise nach Benin und die Glaubensfreude, die dort spürbar war, gesprochen. Er hat
auch über den Besuch in Mexiko und Kuba erzählt. In Mexiko ist ihm natürlich besonders
stark die Begegnung mit der Jugend im Gedächtnis geblieben. Etwa auf der Fahrt nach
León, wo eine wichtige Begegnung gewesen ist – die Menschen sind über Kilometer hinweg
an der Straße gestanden und vielerorts auch gekniet. Das heißt, dass man nicht etwas
Oberflächliches gesucht hat und dass man auch nicht ihn als Person gesucht hat, sondern
ihn als Stellvertreter Christi angenommen hat. Das ist für ihn sehr eindrucksvoll
gewesen.“
Hat er über die Gespräche mit der Piusbruderschaft etwas gesagt?
„Nein, das war im Augenblick kein Thema. Er hat von dem Treffen in Mailand
gesprochen und dass er dort eine große Freude erlebt hat: Er hat gespürt, dass eine
große Lebendigkeit in den Familien war, die auch zuversichtlich stimmen kann.“
Über
lokale Dinge wie das Vorkommnis des Dokumentenschwunds hat der Papst wohl nicht gesprochen?
„Doch,
er hat darüber geredet, und wir haben den Eindruck, dass er in einer großen inneren
Ruhe lebt. Wenn diese Turbulenzen auch dagewesen sind, haben sie ihn offenbar nicht
so getroffen, dass er nun fragiler wirken würde. Er arbeitet vielmehr wie immer und
auch wenn es sicherlich belastend für ihn gewesen ist, hat ihn dieses Vorkommnis nicht
aus der Bahn geworfen. Man hat den Eindruck, dass er die gleiche innere Kraft auch
weiterhin hat, auch wenn das mit manchen Enttäuschungen verbunden gewesen sein muss.“
Was
ist denn das Thema des nächsten Schülerkreises?
„Die Gottesfrage und die
Säkularisierung. Der Heilige Vater ist sich dessen bewusst, dass diese Frage heute
besonders wichtig ist, und deshalb hat er dieses Thema unter mehreren Vorschlägen
ausgewählt.“