Das Gebet des New
Yorker Kardinals Timothy Dolan bei der offiziellen Nominierung von Barack Obamas Herausforderer
Mitt Romney dürfte vielen christlichen Wählern in den USA gefallen haben. Das vermutet
der USA-Experte Godehard Brüntrup SJ von der Jesuiten-Hochschule für Philosophie in
München. Der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz hatte auf dem Republikaner-Treffen
um göttlichen Beistand für die amerikanischen Politiker gebetet und dabei namentlich
Mitt Romney und seinen Stellvertreter Paul Ryan genannt. Als Unterstützung der katholischen
Kirche für die Republikaner will die Partei den Auftritt des Kardinals nicht gewertet
wissen. Politisch ganz unwirksam dürfte die Aktion aber nicht gewesen sein, so Brüntrup
im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Ich denke, das ist ein bewusster politischer
Schachzug, um gerade den so genannten ,Bible Belt’ im mittleren Westen und Süden anzusprechen.
Dort sind die Menschen fundamentalistisch-christlich eingestellt und verlangen auch
von einem Präsidenten, den sie wählen, dass er ihre Grundwerte teilt. Diese Gruppe
will Romney natürlich ansprechen. Jedoch hat das Obama auf seine Weise auch getan,
er benutzt immer wieder religiöse Metaphern, er spricht über Gott, seine Beziehung
zur Kirche spielt im Wahlkampf eine große Rolle. Ich denke, dass es sehr schwer wäre
für jemanden, der in Amerika zum Präsidenten gewählt werden will, seine Religiosität
nicht öffentlich zu zeigen – es gehört immer noch zu einem amerikanischen Präsidenten,
dass er seine Religiosität öffentlich zeigt.“
Offizielle Linie der US-Bischofskonferenz
ist es im Präsidentschaftswahlkampf, weder einzelne Parteien noch Kandidaten zu unterstützen
und kirchliche Einrichtungen auch nicht für Wahlkampfveranstaltungen zur Verfügung
zu stellen. Allerdings gehört das von Kardinal Dolan geleitete Erzbistum New York
zu den rund vierzig katholischen Einrichtungen, die derzeit gerichtlich Klage gegen
eine Verordnung der Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama führen. Ein Dorn
im Auge ist den Katholiken die darin enthaltene Verpflichtung für Arbeitsgeber, Beschäftigten
kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und Sterilisation zu gewähren. In Punkto Gesundheitsreform
versuche sich Romney vor allem bei ethisch-moralischen Fragen von Obama abzusetzen,
so Brüntrup:
„Er positioniert sich so, dass er mit konservativen Ansichten
gerade in diesen Grundwertefragen – Abtreibung, Stammzellenforschung, Homosexuellenehe
– die eher konservativ eingestellten Evangelikalen, aber auch etwa die Hälfte der
Katholiken anspricht. Das ist seine religiöse Positionierung.“
Ansonsten
spielten religiöse Überzeugungen in Romneys Wahlkampf aber keine explizite Rolle,
fügt Brüntrup an. Wenn er sein Mormonentum herausstreiche, wäre das für den Präsidentschaftskandidaten
auch „absolut selbstmörderisch“, so der Experte. Die Mormonen sind in den großen USA
eine kleine Minderheit, und Romney wird aufgrund seiner religiösen Zugehörigkeit teilweise
auch in der eigenen Partei misstrauisch beäugt.
Abgesehen von ethischen Überzeugungen
lägen Präsident Obama und Romney in Punkto Gesundheitsreform gar nicht so weit auseinander,
führt Brüntrup aus. So habe Romney in seinem eigenen Bundesstaat, wo er Gouverneur
war, eine ähnliche Gesundheitsreform durchgesetzt, wie sie Obama auf Bundesebene durchgesetzt
habe:
„Ein Punkt ist nur, dass diese Reformen nicht vom Zentralstaat Washington
gemacht werden dürften, sondern dass das Staatensache ist. Also der Streitpunkt wäre,
auf Europa übertragen: Dürfen wir Deutschen unsere eigenen Gesundheitsgesetze erlassen
oder soll das von Brüssel gemacht werden? Obama ist für eine zentrale Lösung, Romney
sagt, dass müssen die einzelnen Staaten für sich erledigen.“