Kardinal Schönborn über den Ratzinger-Schülerkreis
Über Ökumene mit den
Lutheranern und Anglikanern sprechen in diesem Jahr die Angehörigen des Ratzinger-Schülerkreises;
das Treffen unter Anwesenheit von Papst Benedikt beginnt am Freitag in Castel Gandolfo.
Es ist bereits die 36. Zusammenkunft des Ratzinger-Schülerkreises, und einer seiner
prominentesten Angehörigen ist der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn.
Er sagte uns:
„Bischof Ulrich Wilckens, der lutheranische Referent, wird
vermutlich über das Rechtfertigungsthema sprechen und über das bevorstehende Gedenkjahr
500 Jahre Reformation. Natürlich bringt jeder das ein, was ihm die wichtigen Schwerpunkte
sind. Bei den Anglikanern ist verständlicherweise zu erwarten, dass Bischof Charles
Morerod, der Referent für die anglikanischen Fragen, die Möglichkeit für anglikanische
Gruppen reden wird, dass sich Gemeinschaften als solche der katholischen Kirche anschließen,
und wie sich das entwickelt.“
Zur Vorbereitung haben alle ein Buch von
Kardinal Walter Kasper gelesen, „Die Früchte ernten - Grundlagen christlichen Glaubens
im ökumenischen Dialog". Auch Kaspers Nachfolger als Präsident des Päpstlichen Einheitsrates,
Kardinal Kurt Koch, wird diesmal als Gastredner beim Schülerkreis referieren. Die
rund 25 Angehörigen des Kreises sind ehemalige Doktoranden von Professor Ratzinger
aus Regensburger Zeiten. Mit besonderer Aufmerksamkeit werden sie den ersten Tagungspunkt
verfolgen: den Jahresrückblick von Papst Benedikt auf die Ereignisse in Vatikan und
Weltkirche.
„Das ist immer ein ganz wichtiger Moment, wenn der Papst zu
Beginn des Schülerkreistreffens seine Tour d´horizon macht, da warten alle darauf,
weil das Spannende daran seine Gabe ist, aus den konkreten Ereignissen des vergangenen
Jahres Wichtiges hervorzuheben und es in ein Licht der Weisheit und der Unterscheidung
zu stellen. Was er heuer besprechen wird, weiß ich nicht, ob er über die Interna des
Vatikans sprechen wird oder über seine Reisepläne, über die bevorstehende Synode...
das ist immer die Überraschung, welche Themen ihm wichtig sind. Vielleicht wird er
etwas über die großen theologischen Themen sagen, die anstehen, über die schwierigen
Gespräche mit der Piusbruderschaft. Vermutlich wird er etwas dazu sagen, aber das
werden wir dann am Samstag sehen.“
Hier lesen Sie das gesamte Interview
mit Kardinal Schönborn Wie ist die Debattenkultur im Schülerkreis? Vielleicht
hat die sich auch im Lauf der Jahre entwickelt? Neigt man da nach einer Zeit der Debatte
einer Mehrheitsmeinung zu, oder ist jeder willkommen mit seiner persönlichen Meinung,
auch wenn sie originell ist?
„Der Schülerkreis ist ein Kreis von Schülern,
die bei Professor Ratzinger studiert haben und die gewohnt sind, in diesem Kreis zu
argumentieren. Was zählt, ist die Kraft der Argumente. Es ist ein akademischer Kreis,
da geht es nicht um Statistiken und Mehrheitsmeinungen, sondern um die Überzeugungskraft
von Argumenten. Das heißt, es ist ein gemeinsames Suchen nach der Wahrheit, der historischen,
philosophischen, theologischen Wahrheit. Man argumentiert miteinander, auch der Heilige
Vater klinkt sich ein mit seinen Argumenten und seiner Teilnahme an der Debatte, die
natürlich für unseren Schülerkreis auch so etwas hat wie das Wort des Meisters. Wie
es das eben früher war, als wir als Doktoranden bei ihm waren, dass man sich ein Argument
anschaut und dann sich freut, wenn er eine Synthese gibt. Die Gabe von Profoessor
Ratzinger, von Papst Benedikt, eine Diskussion zusammenzufassen und das Wichtigste
herauszuheben, ist ja weit über den Schülerkreis hinaus bekannt. Das ist diese unglaubliche
Gabe, die er hat, zu synthetisieren, zusammenzufassen, und was wir sehr oft erlebt
haben, manchmal wirklich mit großem Erstaunen: Wenn er so eine Debatte zusammenfasst,
fragt man sich nachher selber, habe ich wirklich etwas so Gescheites gesagt? Weil
in seiner Zusammenfassung eigentlich der gute, starke Kern eines Arguments herausgeschält
und nocheinmal verstärkt wird, sodass ich das immer wieder erlebt habe, dass wir sagen,
aha, das ist eigentlich ganz gescheit gewesen, was ich da gesagt habe, aber so gescheit
habe ich das noch gar nicht verstanden gehabt! Da ist er nach wie vor wirklich ein
unvergleichlich begabter Lehrer und Meister.“
Warum kommen Sie seit so
vielen Jahren immer und wieder zusammen?
„Ja, warum tun wir das? Jetzt könnte
man sagen, weil er der Papst ist, aber wir haben das ja auch gemacht, als er noch
nicht Papst war, als er die Glaubenskongregation geleitet hat und die öffentlich Meinung
oft sehr kritisch und negativ über ihn als den Glaubenshüter und so weiter gesprochen
hat. Wir kommen, weil wir von unserem Lehrer einfach fasziniert sind und es jedes
Mal eine große Bereicherung ist, mit ihm ein Thema durchzuarbeiten. Darum kommen wir
seit Jahrzehnten zusammen. Das ist ja auch ein ziemlich einzigartiges Phänomen in
der akademischen Welt.“
Die Theologie aus dem deutschen Sprachraum gilt
als eine besonders entwickelte und facettenreiche Theologie. Der Schülerkreis ist
international zusammengesetzt, auch wenn die Ratzingerschüler deutscher Muttersprache
in der Mehrheit sind. Wie würden Sie den Beitrag von nichtdeutschen Theologen zum
Schülerkreis einschätzen?
„Durchaus wichtig und prägend unter den nichtdeutschen
Schülern sind Leute aus allen Kontinenten, auch aus unterschiedlichen theologischen
Richtungen. Ich denke an den englischsprachigen Beitrag des Schülerkreises, ein Pater
Fessio, Jesuit in Amerika, der große Verleger der Werke von Joseph Ratzinger seit
inzwischen Jahrzehnten, oder ein Father Vincent Twomey in Irland, der einer der führenden
Moraltheologen in Irland ist, oder ein Barthelemy Adoukonou aus Benin, der jetzt in
der Kurie als Sekretär des Kulturrates wirkt, oder eine Voctoria Kim, die in Korea
professorin an einer staatlichen Universität war, inzwischen auch schon in Pension
wie die meisten von uns. Der Schülerkreis geht rund um die Welt und geht hinein zu
den Orthodoxen, er hatte ja einige orthodoxe Doktoranden. Ich denke, der Schülerkreis
ist weit über den deutschen Sprachraum wirksam und prägend geblieben, auch wenn wir
jetzt alle schon etwas betagtere Herrschaften sind!“