Die Proteste von Frauen
in Tunesien dauern an: Seit zwei Wochen demonstrieren Frauenrechtlerinnen im neuen
Tunesien. Streitpunkt ist ein geplanter Gesetzesartikel. Bei dem vieldisktutierten
Artikel 28 des Verfassungsentwurfs heißt es, dass Frauen eine "Ergänzung zum Mann
in der Familie" seien. Ohne das Engagement von Frauen wäre die „Arabische Revolution“
niemals in Gang gekommen, sagt die tunesische Anwältin und Frauenrechtlerin Bochra
Belhaj Hmida im Gespräch mit Radio Vatikan. Dennoch sei sie sehr besorgt darüber,
dass unter der neuen Regierung die Rechte der Frauen unter die Räder geraten könnten.
„Die
Frauen sind tief enttäuscht. Das betrifft nicht nur die Frauen, die in den Städten
wohnen. Viele sagen nämlich, dass nur in den urbanen Gebieten die Frauen protestieren
- aber das stimmt schlichtweg nicht. Auch in ländlichen Gebieten gibt es viele Tunesierinnen,
die für die Rechte der Frauen einstehen. Was sie verbindet, ist, dass sie sich fragen,
was aus der Revolution geworden ist.“
Die Revolte, die von Tunesien ausging
und sich dann in andere Länder ausweitete, hat in Tunesien wie anderswo vor allem
islamistische Kräfte nach oben gespült. Das macht Frau Belhaj Hmida misstrauisch.
„Es
gab nie in Tunesien eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion. Aber heute
sieht es sogar so aus, dass sich die islamische Religion stärker denn je in die Politik
einmischt. Dabei werden besonders die Rechte der Frauen in den Hintergrund gerückt
- auf jeden Fall geht es den Herren nicht darum, diese Rechte auf irgendeine Weise
zu fördern.“
Die Rolle der katholischen Kirche sei marginal, so Belhaj
Hmida. Kein Wunder: Es gibt so gut wie keine einheimischen Katholiken (mehr) in Tunesien.
„Die
katholische Kirche in Tunesien ist eine Minderheit. Anders sieht es mit dem Islam
aus, der ja in fast allen arabischen Ländern dominiert. Das ist ja auch der große
Unterschied zu Europa: Im Westen wurde nämlich eine klare Trennung zwischen Religion
und Politik durchgeführt. Und das fehlt uns.“
Soziale Errungenschaften
könnten nur dann fortbestehen, wenn sie auch international gälten und garantiert würden,
so die Frauenrechtlerin.
„Die internationale Staatengemeinschaft ist nicht
einheitlich. Es gibt Staaten auf der Welt, die sich gegen die Frauenrechte engagieren.
Deshalb ist es so wichtig, dass sich Institutionen wie die UNO mit den Menschrechten
durchsetzen. Nur so haben wir eine Chance, dass wir eine wahrlich global gültige Achtung
der Rechte der Frauen garantieren können.“
Hintergrund Die
Proteste in Tunesien richten sich vor allem gegen die Regierung der islamistischen
Partei „Ennahda“ (Wiedererwachen). Höhepunkt waren die Demonstrationen vom 13. August,
dem Nationalen Tag der Frauen, in der Hauptstadt Tunis und anderen Städten. Zehntausende
Frauen nahmen daran teil, so der TV-Sender „Al Jazeera“. Die Demonstranten forderten
Gleichheit und die Rechte der Frauen in der Verfassung, die derzeit von der islamistischen
Regierung ausgearbeitet wird. Derzeit wird an einer neuen Verfassung für das Land
gearbeitet. Ursprünglich sollte sie bereits im Oktober verabschiedet werden. Zuletzt
wurde das Frühjahr 2013 als wahrscheinlicher Termin genannt.