2012-08-26 17:00:30

Er kam und ging nach 33 Tagen


RealAudioMP3 Am 26. August 1978 war er ins höchste Amt der katholischen Kirche gewählt worden, nur 33 Tage waren ihm beschieden: Johannes Paul I., der lächelnde Papst. In der norditalienischen Provinz Belluno haben indessen auch die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Albino Luciani begonnen, unter anderem widmet ihm seine Heimatstadt ein internationales Symposion mit dem Titel „Die Bescheidenheit von Papst Luciani“. Und wir bei Radio Vatikan wollen diese beiden Anlässe – Papstwahl vor 34 Jahren, Geburtstag vor 100 Jahren - zum Anlass nehmen, Johannes Paul I. selbst zu Wort kommen zu lassen.

26. August 1978: weißer Rauch aus der Sixtina. Rom und die Welt wissen, was das zu bedeuten hat.

Albino Luciani, ein Name, mit dem kaum jemand gerechnet hat. Tags darauf hält der frischgewählte Papst eine Rede, die den Tonfall seines Pontifikates vorgibt, spontan, menschlich, herzlich.

„Gestern morgen bin ich in die Sixtina gegangen, um in aller Ruhe meine Stimme abzugeben. Nie hätte ich mir vorgestellt, was dann passieren sollte. Als die Sache für mich gefährlich wurde, flüsterten mir meine Nachbarn Worte der Ermutigung zu. Der eine sagte: „Nur Mut, wem der Herr eine Last auflegt, dem hilft er auch, sie zu tragen." Und der andere sagte: „Keine Angst, in der ganzen Welt beten ganz viele Leute für den neuen Papst." Als es dann soweit war, habe ich „Ja" gesagt. Dann ging es um den Namen, denn man fragte mich auch, welchen Namen ich annehmen wolle, und ich hatte wenig darüber nachgedacht. Mir kam die folgende Überlegung. Papst Johannes hat mir mit seinen eigenen Händen die Bischofsweihe erteilt, hier in St. Peter; dann wurde ich unverdienterweise in Venedig sein Nachfolger auf dem Stuhl des heiligen Markus, in Venedig, das noch immer voll ist von Erinnerungen an Papst Johannes. Die Gondolieri erinnern sich an ihn, die Schwestern, alle. Dann Papst Paul! Er hat mich nicht nur zum Kardinal erhoben, sondern er ließ mich - ein paar Monate vorher, auf dem Landungssteg am Markusplatz - vor 20.000 Menschen erröten: Er nahm seine Stola und legte sie mir auf die Schultern. Noch nie bin ich so rot geworden! Andererseits hat dieser Papst in den fünfzehn Jahren seines Pontifikats nicht nur mir, sondern der ganzen Welt gezeigt, wie man liebt, wie man dient, wie man arbeitet und leidet für die Kirche Christi. Deshalb habe ich mir gesagt, ich nenne mich Johannes Paul. Verstehen wir uns richtig: Ich besitze nicht die Herzensgüte von Papst Johannes; auch fehlen mir die Gelehrsamkeit und die Kultur von Papst Paul, aber ich bin nun einmal an ihre Stelle getreten und wíll versuchen, der Kirche zu dienen. Ich hoffe, ihr alle helft mir mit eurem Gebet.“

Die Begebenheit, die der frisch gewählt Papst hier erwähnt – Paul VI., der Albino Luciani, dem Patriarchen von Venedig, 1972 bei einem Pastoralbesuch in aller Öffentlichkeit seine Papststola um die Schultern legt – ist tief symbolisch aufgeladen. In heutiger Lesart ist es ein unmissverständliches Zeichen, dass der kranke Papst im Patriarchen von Venedig seinen Nachfolger sah und dies vor aller Welt bekunden wollte. Eine Geste, die beispiellos ist in der Geschichte des Papsttums. Noch einmal, vier Tage nach der Wahl, kommt Johannes Paul I. auf das Konklave zu sprechen, und zwar vor dem Kollegium, das ihn gewählt hat: vor den Kardinälen.

„Ich sehe hier auch Kardinal Felici mit seiner gleichbleibenden Liebenswürdigkeit. Vor der Abstimmung kam er zu mir, er saß ja vor mir, und überbrachte mir eine „Botschaft für den neuen Papst“. Danke, sagte ich, aber so weit ist es noch nicht! Ich habe den Umschlag geöffnet, und was war darin? Ein kleiner Kreuzweg! Das ist der Weg der Päpste... Aber auf dem Kreuzweg ist eine der Figuren auch Simon von Zyrene. Ich hoffe, meine Mitbrüder werden diesem armen Christus, diesem Stellvertreter von Christus, helfen, das Kreuz zu tragen mit ihrer Mitarbeit, auf die ich so sehr angewiesen bin. Wir müssen miteinander arbeiten. Habt Mitleid mit dem armen neuen Papst! Der wirklich nicht damit rechnete, an diese Stelle zu rücken. Versuchen wir gemeinsam, der Welt das Schauspiel der Einheit zu schenken, auch indem wir manchmal Opfer bringen. Aber wir haben alles zu verlieren, wenn die Welt uns nicht fest vereint sieht.“

Das ist die erste große Lektion von Papst Luciani. Johannes Paul I., aus den armen Verhältnissen einer Arbeiterfamilie stammend, drei Geschwister, der Vater hat sozialistische Ideen, später geht er als Gastarbeiter in die Schweiz. Der kleine Albino kennt den Hunger. „Wahrscheinlich kann ich deshalb die Schwierigkeiten jener verstehen, die hungern“, wird er als Papst sagen. Schon der junge Priester Albino Luciani zeichnet sich durch große Bescheidenheit aus. Er pflegt eine Frömmigkeit – und wird ihr ein Leben lang treu bleiben – die aus einem Ergriffensein von Gottes Größe zu kommen scheint. Und er versteht, auch Glaubensferne für die Dinge Gottes zu interessieren.

Der Beginn des Pontifikats entwickelt sich in großer Einfachkeit. Der neue Papst lehnt die Tiara ab, den Tragestuhl, den Majestätenplural, er hält sie für überholte Zeichen einer formalen Macht, die viel zu weit weg ist von den Menschen der Zeit, die sich den Heiligen Vater auf der Seite eines jeden von ihnen wünschen. Mit ihnen, wie einer von ihnen soll der Papst sein. Am 6. September 1978 spricht der Papst über die Nächstenliebe.

„Man soll seinen Nächsten lieben, der Herr hat uns das immer aufgetragen. Ich empfehle immer, nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen Nächstenliebe zu üben. Wir haben alle jemanden zu Hause, der auf ein Kompliment von uns wartet. Es gibt Kinder, Kranke, auch Sünder. Als Bischof war ich Menschen sehr nahe, die nicht an Gott glauben. Und ich hatte oft den Eindruck, dass sie nicht gegen Gott kämpfen, sondern gegen ihre eigene falsche Vorstellung von Gott. Wieviel Barmherzigkeit man haben muss! Ich möchte eine Tugend benennen, die dem Herrn so teuer war. Er sagte: Lernt von mir, denn ich bin gütig und demütig von Herzen. Vielleicht sage ich da jetzt einen Unsinn, aber ich sage es einfach: Der Herr liebt die Demut so sehr, dass er manchmal schwere Sünden zulässt. Warum? Weil jene, die diese Sünden begangen haben, nachher, wenn sie dann Reue zeigen, demütig bleiben. Da kommt einem nicht die Lust, sich für halbe Heilige, halbe Engel zu halten, wenn man weiß, dass man einen schweren Fehler gemacht hat. Der Herr hat es uns wirklich ans Herz gelegt: Seid demütig. Auch wenn ihr große Dinge gemacht habt, sagt: wir sind unnütze Diener. Dabei neigen wir alle zum Gegenteil: sich zur Schau zu stellen. Treten wir zurück. Die Demut ist die christliche Tugend, die uns betrifft.“

Die Angelusgebete, die Generalaudienzen mit dem Papst bekommen eine neue Anziehungskraft. Es ist ein Frühling der Kirche. Am 10. September, gleichzeitig mit dem Treffen von Camp David, betet Johannes Paul I. für den Frieden, er ruft die Barmherzigkeit Gottes an, in einer Form, die manch einen Würdenträger erstarren lässt.

„Wir sind Gegenstand der unauslöschlichen Liebe Gottes. Wir wissen, dass er immer seine Augen für uns offen hält, auch wenn es Nacht scheint. Gott ist Vater, und mehr noch, er ist Mutter! Er will uns nichts Böses tun, sondern nur Gutes, uns allen. Wenn Kinder einmal krank sind, haben sie ein noch größeres Anrecht darauf, von der Mutter geliebt zu werden. So haben auch wir, wenn wir einmal erkrankt sind am Bösen, wenn wir vom Weg abgekommen sind, ein noch größeres Anrecht darauf, vom Herrn geliebt zu werden. Mit diesen Überlegungen lade ich euch dazu ein, gemeinsam mit dem Papst zu beten für jeden von uns, für den Nahen Osten, für Iran und für die ganze Welt.“

„Gott ist Vater, und mehr noch, er ist Mutter“ – das ist ein Satz, der unsterblich werden wird, gerade weil er bei manchen Widerspruch hervorruft. Doch Zeit, seine Folgerungen zu entwickeln, bleibt dem lächelnden Papst nicht. Johannes Pauls Weg auf Erden steht kurz vor dem Ende. Er hat vor den Bischöfen der USA und der Philippinen gesprochen, eine Radiobotschaft an das Volk von Ecuador geschickt. Am 29. September frühmorgens die Nachricht des Todes. Das Lächeln des Papstes verlöscht nach nach nur 33 Tagen. Er geht weg auf Zehenspitzen, allein, und demütig. Humilitas, Demut, war sein Leitspruch. Ein staunender Schmerz legt sich auf das Volk Gottes. Als die Kirche gespalten war, wollte er sich "Johannes Paul" nennen und seine beiden Vorgänger vereinen. Johannes, den Apostel der Liebe, und Paulus, den Missionar. Mit Mut und Einfachheit wollte er der Kirche eine neue Ära bringen, nicht rechts noch links abdriftend, sondern auf der geraden Linie der Frohen Botschaft. Selig die Frieden stiften.

Angelus 24. September, das letzte Angelus, aber wer kann das wissen? Im Licht seines verfrühten Todes nimmt diese Ansprache die Qualität eines geistlichen Testaments an.

„Die goldene Regel von Christus war, nichts den anderen zu tun, was du nicht willst, dass man dir tut. Tu den anderen das, was du willst, dass sie mit dir tun. Das ist Christentum. Die Liebe wird immer siegreich sein. Die Liebe kann alles. Das ist das rechte Wort. Nicht die Gewalt kann alles, sondern die Liebe kann alles. Bitten wir den Herrn um die Gnade, dass er rund um die Welt eine neue Welle der Liebe zum Nächsten schickt.“

(rv 26.08.2012 gs)








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