Die in Kürze geplante
Papstreise in den Libanon wird von schlechten Nachrichten aus Nahost überschattet:
In Libanons Nachbarland Syrien gehen die Kampfhandlungen weiter. Darunter leiden verstärkt
die Zivilisten. Die Nervosität in der Bevölkerung führt in einigen Fällen auch zu
Übergriffen gegen Christen. Dennoch schließen führende Vertreter der syrisch-katholischen
Kirche nach wie vor aus, dass der Papstbesuch wegen der Spannungen, die zunehmend
auch im Libanon spürbar werden, in Gefahr sein könnte. Vielmehr sei der Besuch „Anlass
zur Hoffnung für die gesamte Kirche, und insbesondere für die kleine Minderheit syrisch-katholischer
Gläubiger.“ Dies sagte der Generalverwalter des syrisch-katholischen Patriarchats
in Beirut, George Masri, in einem Interview mit Radio Vatikan von diesem Freitag.
Dabei betont Masri, dass ein Dialog mit dem Islam nur bedingt auf religiöser Ebene
stattfinden könne:
„Der wahre Dialog, den wir mit unseren muslimischen
Brüdern führen müssten, ist derjenige einer Gleichstellung aller Bürger auf der Basis
ihrer Zugehörigkeit zum Staat, und nicht auf der Basis ihrer Religiosität: Wir sind
alle Kinder Gottes, Muslime, und Christen. Wir hoffen, dass der Westen dieser Region
helfen kann, eine wahre Demokratie aufzubauen! Die muslimische Religion sieht ein
theokratisches Regime, also einen Gottesstaat, und nicht eine demokratische Verfassung
vor. Wenn wir einen wirklichen Dialog mit den Muslimen führen wollen, müssen wir das
auf der Grundlage von zivilen Wertvorstellungen tun und nicht auf der Grundlage religiöser
Kriterien.“
Der Besuch des Papstes, so Masri, gelte darum nicht nur der
christlichen, sondern der gesamten Bevölkerung des Libanon und des Nahen Ostens. Ähnlich
sieht das Jesuitenpater Samir Khalil Samir. Der Professor für Islamwissenschaften
und arabische Kultur in Beirut ist ein führender Nahost-Experte und Islamberater des
Vatikans. Er wirkte federführend am Schlussdokument der vatikanischen Nahost-Synode
mit, das der Papst auf seiner Libanon-Reise übergeben wird. Im Rahmen eines Vortrags
in München sagte er am Freitag vor dem Mikrofon unseres Kollegen Klaus Schlaug:
„Es
gibt natürlich ein Risiko. Es ist aber schwierig, das heute abzuschätzen, vielleicht
wird man das erst im letzten Moment sehen. Ich denke aber trotzdem, dass die Menschen
im Libanon wollen, dass er kommt. Der Präsident hat ihn eingeladen, aber auch die
Muslime und natürlich die Christen. Ich vermute also, dass er doch kommen wird, in
der Hoffnung und mit dem Gebet aller Menschen, dass nichts passieren wird. Aber ein
verrückter Mensch kann immer da sein. Ich vermute dennoch, die Menschen werden ihn
respektieren, denn er kommt als Träger einer friedlichen Botschaft.“
Gerade
weil der Papst für alle Menschen im Nahen Osten komme, seien die Erwartungen an seinen
Besuch hoch:
„Die Erwartung ist, dass er uns dabei hilft, ein friedliches
Projekt nicht nur für den Libanon zu bauen. Seine Reise gilt ja dem ganzen Nahost,
da er die apostolische Exhortation für alle Christen im Nahen Osten bringt. Wir hatten
die Synode im Oktober 2010 und die Frucht dieser Synode ist die Exhortation. Die Christen
erwarten sich eine klare Linie, um die Erneuerung des Christentums und insbesondere
des Katholikentums voranzutreiben, aber auch um die Mitarbeit aller Christen untereinander
und die Ökumene zu stärken. Deshalb sind Treffen für Katholiken, mit Orthodoxen und
mit Muslimen geplant. Den der andere Aspekt ist die Beziehung mit dem Islam und mit
dem Staat an sich. Der Dialog mit dem Muslimen hat Höhen und Tiefen, ist also nicht
sehr regelmäßig. Im Libanon läuft der Dialog gut, aber in anderen Gegenden ist es
nicht perfekt. Es ist eine schwierige Situation, denn es gibt auch Diskriminierung
in fast allen Nationen außerhalb Syriens und Libanons.“
In der Tat entsprächen
die Lippenbekenntnisse der Regierungen im Nahen Osten oft nicht der gelebten Realität.
Im Irak oder Jordanien beispielsweise gebe es offiziell keine Diskriminierung, aber
Einzelne sorgten mit Übergriffen gegen Christen immer wieder für Unruhe. Das betreffe
vor allem, aber nicht nur die Christen in der Region:
„In Ägypten hingegen
wird die Situation immer schwieriger, was durch die islamistischen Extremisten verursacht
wird. Wir nennen die Extremisten auf Arabisch Islamisten, um sie von den Muslimen
zu unterscheiden. Die Muslime, die die Mehrheit darstellen, leiden selbst darunter.
Leider ist es so, dass diese Extremisten von Saudi-Arabien und Katar finanziert werden,
um ihre Ideen in alle Nationen zu exportieren. Jeder weiß das und kann es sehen, auch
in Tunesien. Es handelt sich hier nicht um ein Projekt gegen die Christen, aber es
ist ein Projekt mit einer geschlossenen Vision. Das trifft die Christen mehr als die
anderen, aber es trifft auch die Muslime.“
Ein Abwägen zwischen der Unterstützung
eines Regimes, das einerseits Sicherheit und Religionsfreiheit garantiere, aber andererseits
für Menschrechtsverletzungen stehe, sei aufgrund der abschreckenden Beispiele nach
dem Sturz der Diktatoren in anderen Ländern nicht einfach. Dabei bezieht sich der
Pater auch auf Worte des Papstes selbst:
„Er hat vor etwa drei Wochen sehr
deutlich gesprochen. Die Kirche ist nicht für oder gegen die Regierung bzw. Opposition.
Es gibt Dinge, die sich ändern müssen, eine Diktatur ist per se inakzeptabel, auch
die Tatsache, dass Menschenrechte missachtet werden. Andererseits hat die Regierung
auch positive Aspekte. Die Sicherheit ist überall, die religiöse Neutralität ist in
diesem Regime seit 40 Jahren Realität, das ist in den anderen Ländern nicht so. Dennoch,
das Regime kann so nicht weiter gehen. Wenn aber nun die Opposition an die Macht käme,
was würde das bedeuten? Wer ist die Opposition?“
Der Pater weist darauf
hin, dass es auch in den anderen arabischen Ländern, in denen es in der jüngeren Vergangenheit
zu Revolutionen kam, zunächst nicht absehbar war, dass islamistische Kräfte die Macht
übernehmen würden. Dies sei auch in der aktuellen Situation als Risiko nicht zu unterschätzen:
„Genauso
war es anfangs in Tunesien oder in Ägypten. Anfangs war es die Jugend, die Freiheit
und Menschenrechte, Gleichheit und Ehre gefordert haben. Aber langsam sind dann die
Islamisten und die Extremisten auf den Plan getreten und an die Macht gekommen, weil
sie einfach besser organisiert waren. Wenn das auch in Syrien der Fall sein wird,
wenn die Opposition durch die Fundamentalisten manipuliert ist, dann werden wir in
eine neue Diktatur fallen, die dann eben religiös ist. Heute ist die Diktatur ideologisch
motiviert. Morgen wird es eine andere sein. Ich weiß nicht, welche besser ist. Die
Situation der Christen ist also sehr schwierig, denn wir müssen zwischen zwei Übeln
wählen – das ist keine Wahl!“
Es brauche, so der Pater weiter, Mittler,
die von allen Seiten gleichsam akzeptiert würden und die der Regierung und den Oppositionellen
Garantien für eine Übergangszeit geben können. Momentan seien derartige Garantien
aber nicht in Sicht:
„Wenn Assad jetzt abdankt, befürchte ich ein Massaker
gegen die Alawiten. Das kann er natürlich nicht wollen. Ich denke, eine Einigung wäre
möglich, aber wer kann das schaffen? Kofi Annan hat das versucht, er hatte aber keine
Macht. Jetzt haben wir Lakhdar Brahimi, einen Algerier, der eine solide Erfahrung
in dieser Materie hat, aus dem Libanon und Afghanistan beispielsweise. Aber er muss
auch Befugnisse haben. Macht bedeutet nicht Waffen, sondern es bedeutet, dass alle
Seiten und die gesamte internationale Gemeinschaft eine Lösung des Problems anstreben
und dieses Projekt unterstützen. Jeder weiß, dass Russland und China, aber auch Europa
und Amerika ihre Interessen dabei haben, aber wer bezahlt dafür? Die Syrer, die sterben!
Der Papst hat sehr deutlich gesagt: Gewalt führt nicht zur Lösung, sondern nur zu
weiterer Gewalt. Das ist auf der ganzen Welt bekannt. Deshalb kann es nur durch Vernunft
und Debatte geschehen.“