Ethikrat-Mitglied Losinger: „Rechtssicherheit bei Beschneidung“
Wie könnte Rechtssicherheit
beim Thema religiöse Beschneidung in Deutschland aussehen? Darüber hat der Deutsche
Ethikrat an diesem Donnerstag auf einer öffentlichen Plenarsitzung beraten. Durch
das Urteil des Kölner Landgerichtes, wonach Beschneidung aus religiösen Motiven als
strafbare Körperverletzung gilt, sei ein „Grundrechte-Dilemma“ entstanden, meint Ethikrat-Mitglied
Anton Losinger. Religionsfreiheit und Erziehungsfreiheit der Eltern stünden in Konkurrenz
zum Recht auf gesundheitliche Integrität des Kindes. Anne Preckel erreichte den Augsburger
Weihbischof direkt nach der Sitzung in Berlin:
„Die Frage, ob es zu einem
eigenen Gesetz oder zu einem Entschluss im Bundestag kommt, ist offen. Die heutige
Debatte des deutschen Ethikrates diente zunächst einmal dazu, dass sich der Ethikrat
– auch mit Blick auf die Informationen der Öffentlichkeit und der Politik – intensiv
mit der Frage auseinandersetzen. Deshalb waren sowohl Juristen mit unterschiedlichen
Standpunkten da, Theologen, aber auch zwei Angehörige der beiden betroffenen Religionsgemeinschaften.
Vor allem auch der Bericht über die Vorgehensweise bei einer Beschneidung und die
Legitimation in diesem kulturellen und religiösen Kontext war von hoher Bedeutung
für unsere Debatte.“
Welche guten Gründe müssen gegeben sein, damit ein
kleines Kind, das für sich selbst noch nicht bestimmen kann, eine Körperverletzung
an sich erleiden lassen muss? So spitzt Losinger die Grundfrage beim Bescheidungsstreit
zu. Eine gesetzliche Antwort dürfe keinesfalls die praktische Dimension der Beschneidung
auslassen.
„Was die praktische Durchführung angeht, muss mit denjenigen,
die Beschneidungen vornehmen, über mehrere Punkte Klarheit geschaffen werden: erstens
die Frage der Anästhesie und des Schmerzes, der Kindern zugefügt wird, dann die ärztliche
Frage, drittens eine genügende Aufklärung der Eltern auch über Folgen, die ein solcher
Eingriff mit sich bringt. Ich denke auch an eine entsprechende Statistik, was die
Konsequenzen von Beschneidungen im Horizont der bereits erfolgten Eingriffe bedeutet.“
Eine
eindeutige empirische Grundlage sei hier bislang nicht erkennbar, bemängelt Losinger.
Ein zweiter wesentlicher Klärungsbereich sei die „grundgesetzliche Wertvorstellung“,
die mit der „wesentlichen Grundsatzfrage“ der Beschneidung zusammenhänge, so Losinger:
„Da zitiere ich da den berühmten deutschen Grundrechtstheoretiker Ernst-Wolfgang
Böckenförde, der einmal sagte, der freiheitliche demokratische Rechtsstaat lebe von
Voraussetzungen, die er sich nicht selber setzen und garantieren kann. Deshalb denke
ich, dass in diesem Kontext mit der religiösen Beheimatung eines Kindes in seinem
Kulturkreis ein möglicher guter Grund genannt sein kann, der auf der anderen Seite
den Eingriff in die Integrität der Gesundheit des Kindes rechtfertigt. Und an diesem
Fall treffen auch Elternverantwortung und elterliches Erziehungsrecht zusammen mit
der Frage nach dem Wohl des Kindes.“
Er selbst habe noch nie eine Ethikrat-Sitzung
erlebt, die so voll von Medienvertretern war, fügt Losinger an. Die enorme mediale
Beachtung des Themas hat nach Ansicht des Experten mit der „inneren Verfassung unserer
modernen und pluralistischen Gesellschaft“ zu tun. Für sie sei der Islam und das Judentum
eine Reibungsfläche:
„Diese Religionsgemeinschaften – Islam und Judentum
– sind auf eine ganz eigene Weise nicht kompatibel mit einem modernen, liberalen Zeitgeist,
sie sind anders. Eines der großen Publikationsorgane titelte: ,Passt euch an!’ Und
gerade das ist es nicht, was diese Religionsgemeinschaften tun. Und deshalb meine
ich, könnte die Frage der Beschneidung eine Art Stellvertreterdebatte sein, die die
Frage der religiösen Identität der Menschen im freiheitlich-demokratischen, säkularen
Staat betrifft. Und ich denke, ich greife nicht zu hoch, wenn ich sage, dass das auf
beiden Seiten ein gewisses Maß an Verunsicherung erzeugt hat.“