Ilija Trojanow: Die
Versuchungen der Fremde. Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika Rezensiert durch:
Stefan v. Kempis, Radio Vatikan, am 18.8.2012
Millionen von Muslimen in aller
Welt feiern an diesem Wochenende das Opferfest, das den Abschluss des Fastenmonats
Ramadan markiert. Auf den Fernsehbildern aus Mekka und Medina, den Heiligen Stätten
des Islams, sollte man genauer hinschauen: Vielleicht erkennt man ja auch Ilija Trojanow
unter den Pilgern.
Der deutsche Autor hat mit „Die Versuchungen der Fremde“
eines der schönsten Reisebücher dieser Jahre vorgelegt. Es sammelt seine Reportagen
aus Ostafrika, wo er aufgewachsen ist, aus Indien, wo er lange gelebt hat, und eben
auch von der Arabischen Halbinsel. Trojanow reist mit leichtem Gepäck und großer,
aber unaufdringlicher Neugier: Auf der Insel Lamu fährt er Fahrrad, am Stadtrand von
Nairobi quetscht er sich ins Sammeltaxi, am Ganges isst er mit Bootsleuten zu Mittag,
in Mekka rollt er mitten auf der Straße einen Gebetsteppich aus. Seine behutsamen
Notizen haben nichts Reiseführerhaftes, sondern sind, wie Roger Willemsen in seinem
Vorwort formuliert, „Zustandsbeschreibungen“ und „Suchmeldungen“: Hinter kleinen Beobachtungen
stehen immer wieder die großen Fragen der Menschheit auf.
Das gilt vor allem
für die intensiven Seiten, auf denen er in der Großen Moschee von Mekka Pilger beim
Umkreisen der Kaaba beobachtet. „Mit jedem ihrer Schritte“, so schreibt er, laden
sie „das rechteckige Objekt menschlich auf“. Erst aus dieser „Wechselwirkung“, so
überlegt er weiter, „entstehen das Haus Gottes und die Umma, die Gemeinschaft der
Gläubigen“. „Es ist wie mit dem heiligen Text: Er benötigt die Hingabe ... des Lesers,
um lebendig zu werden.“ Trojanow reiht sich selbst in den Strom der um die Kaaba Herumgehenden
ein: „Könnte man die ganze Welt zur Gebetszeit mit einem Blick erfassen, so würde
man die konzentrischen Kreise der Betenden erkennen, die sich zur Kaaba hin ausrichten.
Beim Gebet bildet die Umma ... ein islamisches Ornament, und wir standen und knieten
nur ein Dutzend Schritte von dem Mittelpunkt dieses lebendigen Musters entfernt.“
Solche Raisonnements hindern Trojanow aber keineswegs an hellsichtigen Notizen wie
z.B., dass er während der gesamten Hadsch – der islamischen Pilgerfahrt nach Mekka
– nie einen Pilger ein religiöses Buch hat lesen sehen.
Der Autor stellt sich
mit seinem gewollt sachlichen Bericht in die Tradition großer Pilgerschilderungen
früherer Jahrhunderte. Umso eindringlicher sind die raren Momente, in denen er den
Leser an seinen Gefühlen teilhaben läßt, etwa als er zum ersten Mal der Kaaba ansichtig
wird. „Der Anblick war ergreifend. Unmittelbar. Ohne Betrachtung und Reflexion...
Die Atmosphäre von Erregung und Beglückung, aufgeladen mit den Lebensträumen, die
sich in diesen Augenblicken verwirklichten. Und ohne nachzudenken, ohne mich vorbereitet
zu haben, kam in mir ein bestimmter, klarer Wunsch auf, und meine Augen füllten sich
mit Tränen.“
Ein Reisender ist für Trojanow „ein gesegneter Narr“; seine „schönste
Reisephantasie“ ist es, so bekennt er im Nachwort des Buches, in eine motorisierte
Rikscha einzusteigen und sich „irgendwohin“ fahren zu lassen: „ohne zu wissen, wie
der Ort heißt, an dem ich nichts zu tun hätte und wo ich nichts notieren, nichts festhalten
würde. Eine wirkliche Reise ins Ungewisse, eine Meditation.“ Es ist kennzeichnend
für diesen außergewöhnlichen Schriftsteller, wie er Reisen und Meditation immer wieder,
auch hier, ganz selbstverständlich zusammenspannt.
Besonders anrührend ist
seine Schilderung eines traditionellen Suaheli-Wohnhauses, in dem es einen „Raum des
Lebens und des Sterbens“ gibt: „Nur eine Tür führt in ihn hinein. Durch sie wird der
Mensch als Baby in die Welt hinaus- und durch sie wird er nach seinem Tod wieder hereingetragen...
Der natürliche Kreislauf schließt sich in diesem Raum.“
Ein nachdenkliches,
tief beeindruckendes Buch, das den Leser auf eine weite Reise mitnimmt – bunt wie
die Welt.