2012-08-18 10:31:05

Unser Buchtipp: Die Versuchung der Fremde


RealAudioMP3 Ilija Trojanow: Die Versuchungen der Fremde. Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika
Rezensiert durch: Stefan v. Kempis, Radio Vatikan, am 18.8.2012

Millionen von Muslimen in aller Welt feiern an diesem Wochenende das Opferfest, das den Abschluss des Fastenmonats Ramadan markiert. Auf den Fernsehbildern aus Mekka und Medina, den Heiligen Stätten des Islams, sollte man genauer hinschauen: Vielleicht erkennt man ja auch Ilija Trojanow unter den Pilgern.

Der deutsche Autor hat mit „Die Versuchungen der Fremde“ eines der schönsten Reisebücher dieser Jahre vorgelegt. Es sammelt seine Reportagen aus Ostafrika, wo er aufgewachsen ist, aus Indien, wo er lange gelebt hat, und eben auch von der Arabischen Halbinsel. Trojanow reist mit leichtem Gepäck und großer, aber unaufdringlicher Neugier: Auf der Insel Lamu fährt er Fahrrad, am Stadtrand von Nairobi quetscht er sich ins Sammeltaxi, am Ganges isst er mit Bootsleuten zu Mittag, in Mekka rollt er mitten auf der Straße einen Gebetsteppich aus. Seine behutsamen Notizen haben nichts Reiseführerhaftes, sondern sind, wie Roger Willemsen in seinem Vorwort formuliert, „Zustandsbeschreibungen“ und „Suchmeldungen“: Hinter kleinen Beobachtungen stehen immer wieder die großen Fragen der Menschheit auf.

Das gilt vor allem für die intensiven Seiten, auf denen er in der Großen Moschee von Mekka Pilger beim Umkreisen der Kaaba beobachtet. „Mit jedem ihrer Schritte“, so schreibt er, laden sie „das rechteckige Objekt menschlich auf“. Erst aus dieser „Wechselwirkung“, so überlegt er weiter, „entstehen das Haus Gottes und die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen“. „Es ist wie mit dem heiligen Text: Er benötigt die Hingabe ... des Lesers, um lebendig zu werden.“ Trojanow reiht sich selbst in den Strom der um die Kaaba Herumgehenden ein: „Könnte man die ganze Welt zur Gebetszeit mit einem Blick erfassen, so würde man die konzentrischen Kreise der Betenden erkennen, die sich zur Kaaba hin ausrichten. Beim Gebet bildet die Umma ... ein islamisches Ornament, und wir standen und knieten nur ein Dutzend Schritte von dem Mittelpunkt dieses lebendigen Musters entfernt.“ Solche Raisonnements hindern Trojanow aber keineswegs an hellsichtigen Notizen wie z.B., dass er während der gesamten Hadsch – der islamischen Pilgerfahrt nach Mekka – nie einen Pilger ein religiöses Buch hat lesen sehen.

Der Autor stellt sich mit seinem gewollt sachlichen Bericht in die Tradition großer Pilgerschilderungen früherer Jahrhunderte. Umso eindringlicher sind die raren Momente, in denen er den Leser an seinen Gefühlen teilhaben läßt, etwa als er zum ersten Mal der Kaaba ansichtig wird. „Der Anblick war ergreifend. Unmittelbar. Ohne Betrachtung und Reflexion... Die Atmosphäre von Erregung und Beglückung, aufgeladen mit den Lebensträumen, die sich in diesen Augenblicken verwirklichten. Und ohne nachzudenken, ohne mich vorbereitet zu haben, kam in mir ein bestimmter, klarer Wunsch auf, und meine Augen füllten sich mit Tränen.“

Ein Reisender ist für Trojanow „ein gesegneter Narr“; seine „schönste Reisephantasie“ ist es, so bekennt er im Nachwort des Buches, in eine motorisierte Rikscha einzusteigen und sich „irgendwohin“ fahren zu lassen: „ohne zu wissen, wie der Ort heißt, an dem ich nichts zu tun hätte und wo ich nichts notieren, nichts festhalten würde. Eine wirkliche Reise ins Ungewisse, eine Meditation.“ Es ist kennzeichnend für diesen außergewöhnlichen Schriftsteller, wie er Reisen und Meditation immer wieder, auch hier, ganz selbstverständlich zusammenspannt.

Besonders anrührend ist seine Schilderung eines traditionellen Suaheli-Wohnhauses, in dem es einen „Raum des Lebens und des Sterbens“ gibt: „Nur eine Tür führt in ihn hinein. Durch sie wird der Mensch als Baby in die Welt hinaus- und durch sie wird er nach seinem Tod wieder hereingetragen... Der natürliche Kreislauf schließt sich in diesem Raum.“

Ein nachdenkliches, tief beeindruckendes Buch, das den Leser auf eine weite Reise mitnimmt – bunt wie die Welt.

Das Buch ist im Malik-Verlag erschienen.

(rv 18.08.2012 sk)








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