Im KZ Auschwitz war
sie nur Häftling Nummer 44074; auf dem Petersplatz in Rom erklärte sie Papst Johannes
Paul II. zur Patronin Europas. Edith Stein lebte mehrere Leben: zuerst das der strenggläubigen
Jüdin in Breslau, dann die Karriere als Philosophin. 1922 ließ sie sich taufen, 1933
trat sie unter dem Ordensnamen Teresia Benedicta vom Kreuz in den Kölner Karmel ein,
1942 wurde sie im holländischen Karmel von Echt verhaftet und von den Nazis nach Auschwitz
gebracht, wo sie vor genau siebzig Jahren ermordet wurde. Ein außergewöhnliches Leben.
Johannes Paul II. sprach sie am 11. Oktober 1998 heilig und ernannte sie im Jahr 2000
zur Patronin Europas.
Mehrere Bischöfe haben am Donnerstag das Gelände des
früheren KZ Auschwitz besucht, um der heiligen Edith Stein zu gedenken. Der Kölner
Kardinal Joachim Meisner und der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz schritten Seite
an Seite über die Gedenkstätte.
Die Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ erinnert
an diesem Donnerstag in einem Leitartikel an Edith Stein: Sie sei am Tag von Yom Kippur
geboren worden und beinahe am 9. Av gestorben, „also in der Zeit, in der an die Zerstörung
des Tempels von Jerusalem erinnert wird“. „Das ganze christliche Leben von Edith Stein“,
so die Vatikanzeitung, „hat tiefe jüdische Wurzeln, es erhielt durch die jüdische
Liturgie nahezu seinen Rythmus.“ Juden wie Christen hätten „in diesen furchtbaren
Tagen vor siebzig Jahren gemeinsam den Schrecken des scheinbaren Schweigens Gottes
erlebt“. In ihrem Innern widmet der „Osservatore“ der heiligen Edith Stein eine ganze
Seite. Sie sei „die größte Frau im Olymp deutscher Philosophen“, so ein Artikel; „in
der tiefen Dunkelheit der Shoah“ habe sie „ein Licht der Heiligkeit“ dargestellt.
(or 09.08.2012 sk)
Wenn Sie oben links auf eines der beiden Audio-Symbole
klicken, dann hören Sie einen Auszug aus der Predigt von Papst Johannes Paul II. bei
der Heiligsprechung von Edith Stein am 11.10.1998, in deutscher Sprache. „Weil
Edith Stein Jüdin war, wurde sie zusammen mit ihrer Schwester Rosa und vielen anderen
katholischen Juden aus den Niederlanden in das Konzentrationslager nach Auschwitz
gebracht, wo sie mit ihnen in den Gaskammern starb. Heute gedenken wir ihrer aller
in großer Ehrfurcht. Noch wenige Tage vor ihrem Abtransport hatte die Ordensfrau die
Frage nach einer möglichen Rettung mit den Worten abgewehrt: “Tun sie das nicht, warum
soll ich eine Ausnahme erfahren? Ist dies nicht gerade Gerechtigkeit, daß ich keinen
Vorteil aus meiner Taufe ziehen kann? Wenn ich nicht das Los meiner Schwestern und
Brüder teilen darf, ist mein Leben wie zerstört”. Wenn wir fortan Jahr für
Jahr das Gedächtnis der neuen Heiligen feiern, müssen wir uns auch an die Shoah erinnern,
an den grausamen Plan, ein Volk zu vernichten - einen Plan, dem Millionen jüdischer
Schwestern und Brüder zum Opfer fielen. Der Herr lasse über sie sein Angesicht leuchten
und schenke ihnen seinen Frieden (vgl. Num 6, 25f). Um Gottes und der Menschen willen
erhebe ich noch einmal tief betrübt meine Stimme und rufe: Ein solches verbrecherisches
Tun darf sich nie mehr wiederholen, an keiner ethnischen Gruppe, an keinem Volk, an
keiner Rasse, nirgendwo auf dieser Welt! Es ist ein Schrei, der allen gilt: allen
Menschen guten Willens; allen, die an den Ewigen und Gerechten glauben... Die
Liebe Christi war das Feuer, das das Leben von Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz
entflammt hat. Längst bevor es ihr bewußt wurde, war sie von diesem Feuer ergriffen.
Zunächst hatte sich Edith Stein der Freiheit verschrieben. Lange war sie eine Suchende.
Ihr Geist wurde nicht müde, sich der Forschung zu widmen, und ihr Herz streckte sich
nach Hoffnung aus. Voller Begeisterung legte sie den mühseligen Weg der Philosophie
zurück. Dafür wurde sie schließlich belohnt: Sie eroberte die Wahrheit. Oder besser
gesagt: Sie wurde von der Wahrheit erobert.“