In Syrien gehen die
erbitterten Kämpfe weiter und sorgen für viel Leid und Not bei der syrischen Bevölkerung.
Viele versuchen das Land zu verlassen, fliehen vor den Schrecken in ihrer Heimat in
die Türkei. Die Lage in Syrien schwer zu beurteilen, und Experten beschwören gar Szenarien
herauf, die besagen, dass die einzelnen ethnischen und religiösen Gruppen sich gegenseitig
bekämpfen werden. Rupert Neudeck, der Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme, im
Interview mit dem Kölner Domradio ist mit dieser Einschätzung ganz und gar nicht einverstanden.
Er hat vielmehr Hoffnung für die Zukunft:
„Das kann ich eigentlich so nicht
sehen nachdem ich mit den Flüchtlingen gesprochen habe. Ich glaube, es gibt einen
großen Prozess des Umdenkens. Man muss sich vorstellen, dass sind über 50 Jahre, in
denen die Familie Assad dieses Land mit eiserner Hand beherrscht. Das Regime wird
wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten zusammenbrechen. Dann werden die
Menschen zuallererst aufatmen und wissen können, dass es so etwas gibt wie Opposition
und ein anderes Regime und ein anderes Leben, als das unter der Assad-Familie!“
Ein
Indiz dafür, dass Neudeck mit seiner Einschätzung Recht haben könnte, könnte sein,
dass sich auch immer mehr syrische Botschafter im Ausland auf die Seite der Rebellen
schlagen. Medienberichten zufolge haben die syrische Botschafterin auf Zypern und
der Botschafter in den Arabischen Emiraten desertiert. Doch nicht nur hochkarätige
Diplomaten, sondern wie bereits berichtet immer mehr einfache Menschen nehmen die
Strapazen einer Flucht auf sich, um dem Krieg zu entgehen. Ein wichtiger Zufluchtsort
ist das Nachbarland Türkei, in dem die Flüchtlinge durch die Bevölkerung mit wahrer
Nächstenliebe aufgenommen werden, berichtet Neudeck:
„Es gibt zwei verschiedene
Szenarien in dem Grenzgebiet zur Türkei: Das eine ist das des offiziellen türkischen
Regimes, die Regierung hat dort große Lager eingerichtet und hat dort die Flüchtlinge
recht straff kaserniert, weil man eben auch Sorge hat, dass zu viele Kurden hier Unterschlupf
finden. Aber das Gute ist: Es gibt eine zweite Politik, und das ist die Dorfpolitik.
Die Dörfer dort und die Bewohner sind sehr freundlich und sehr sympathisierend mit
der Bevölkerung von jenseits der Grenze und nehmen die Menschen einfach auf. In dem
Dorf, in dem ich war, sind 150 Familien einfach in den Häusern untergekommen und werden
dort auch von einer türkischen Nichtregierungsorganisation versorgt.“
Zwar
sei der Grenzübergang illegal, denn die türkische Regierung habe die Grenze abgesperrt.
Die syrische Regierung und Armee seien aber nicht mehr in der Lage, die Grenze zu
bewachen:
„Grenzposten sind aufgegeben worden und überhaupt nur noch in
der Hand der oppositionellen freien syrischen Armee. Deshalb können Flüchtlinge jetzt
auch verstärkt hinüber. Ich saß eine Stunde in einem Dorf und da kamen gleich zwei
Familien zu Fuß über die Grenze. Die türkische Bevölkerung ist sehr aufnahmebereit
und hat keine Probleme, diese Menschen gleich auch in ihre Häuser aufzunehmen!“
Die
Sicherheitsbestimmungen in den offiziellen Auffanglagern seien hingegen sehr streng,
Vertreter von Hilfsorganisationen haben dort keinen Zugang. Dennoch sei die Versorgung
wohl ausreichend, so Neudeck. Er glaubt, dass die Flüchtlinge in der Türkei ihre Sorgen
zumindest vorläufig hinter sich lassen können und nicht ausgewiesen werden:
„In
den Dörfern ist es ein freies Leben, da gibt es keine Angst. Ich glaube auch nicht,
dass die türkische Regierung vorhat, Flüchtlinge wieder nach Syrien zu schicken. Die
Regierung ist wie der ganze Westen im Grunde ratlos, in Bezug auf das furchtbare Menschenrechtsdebakel,
das in Syrien stattfindet und immer noch weitergeht. Der Krieg dort findet ja eigentlich
nur noch aus der Luft statt, weil Assads Armee so zerbröselt ist durch die Desertionen.
Ich glaube nicht, dass Flüchtlinge aus der Türkei, Libanon, und Jordanien zurückgeschickt
werden. Aber man weiß eben nicht, wie sich die Dinge in Syrien entwickeln, das ist
die große Sorge der westlichen Welt. Kein Geheimdienst kann da wirklich verlässliche
Prognosen und Informationen geben.“
Von seiner Reise werde ihm vor allem
im Gedächtnis bleiben:
„Dass diese Menschen in einer so großen Zahl in diesen
Dörfern Unterschlupf finden und aufgenommen werden. Die Bürger und auch die Bürgermeister
sind wirklich sehr hilfsbereit. Und dass diese Menschen wahrscheinlich vor einen entscheidenden
Abschnitt ihres Lebens stehen, sie wollen ja zurück in ihre Heimat, sie wollen nicht
in irgendein anderes Land. Und sie wollen den Wiederaufbau ihres Heimatlandes betreiben.
Das hat mich auch positiv gestimmt.“
Hintergrund Die Gewalt
in Syrien zwingt immer mehr Menschen in die Flucht. Inzwischen seien rund 1,5 Millionen
Syrer innerhalb des Bürgerkriegslandes geflohen, teilten die Vereinten Nationen am
Dienstag in Genf mit. Seit Beginn des Volksaufstands gegen Diktator Baschir al-Assad
im März 2012 starben nach UN-Schätzungen rund 17.000 Menschen. Unterdessen warnte
das Deutsche Rote Kreuz davor, dass humanitäre Helfer in Syrien in tödlicher Gefahr
seien. Die Zahl von 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen stützt sich laut Flüchtlingshilfswerk
UNHCR auf Angaben des Syrischen Roten Halbmonds. Bisher war man von einer Million
Binnenflüchtlingen in Syrien ausgegangen.
Ins Ausland flohen mittlerweile
mehr als 150.000 Syrer, wie die Vereinten Nationen weiter erklärten. Die meisten Menschen
mit syrischer Nationalität hätten in der Türkei (44.000), in Jordanien (knapp 39.000),
im Libanon (knapp 33.000) und im Irak (8.000) Zuflucht gesucht.
Zudem fliehen
den Angaben zufolge zunehmend Iraker aus Syrien. Seit Mitte voriger Woche hätten 10.000
Iraker in ihrem alten Heimatland Schutz gesucht. Innerhalb Syriens leben laut UNHCR
noch etwa 80.000 irakische Flüchtlinge. Sie waren in den vergangenen Jahrzehnten vor
Gewalt und Unterdrückung im Irak in das Nachbarland Syrien geflohen. Angesichts der
Gewalt in Syrien mahnte der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters,
die Achtung des humanitären Völkerrechts an. Die Versorgung von 1,5 Millionen Menschen
in Syrien werde immer schwieriger, sagte der frühere Bundesinnenminister am Dienstag
dem Deutschlandfunk. Der Syrische Rote Halbmond sei die einzige Hilfsorganisation,
die mit 10.000 Mitarbeitern im ganzen Land arbeite. „Das ist ein gefährlicher Einsatz“,
sagte Seiters. Vor ein paar Wochen sei der Generalsekretär der Organisation erschossen
worden.
Das Deutsche Rote Kreuz unterstützt die Schwesterorganisation mit
Hilfe des Auswärtigen Amtes mit 1,1 Millionen Euro, wie Seiters erläuterte. Dadurch
hätten 5.000 Familien Hilfspakete und Nahrungsmittel erhalten. „Also es ist schrecklich,
dass man nicht mehr helfen kann“, sagte Seiters.