2012-07-21 07:18:45

Die Sonntagsbetrachtung: Eine Truppe werden


RealAudioMP3 Die Betrachtung zum Sonntagsevangelium stammt in diesem Monat Juli aus der Feder unseres langjährigen Kollegen bei Radio Vatikan, des deutschen Priesters Ludwig Waldmüller.

Wanderlager um den Forggensee – ich war dabei. Als Jungpfadfinder, kurz Jupfi, mit dem blauen Tuch über dem hellbraunen Klufthemd. Und außerdem hatte ich einen schicken Hut auf dem Kopf und einen schweren Rucksack auf den Schultern. Wanderlager. Das hieß: Weiterstapfen, weiterstapfen, weiterstapfen. Elf Jahre war ich gerade alt, und der Forggensee schien schier unendlich zu sein. Und vor allem hatten wir keine vorbestellten Übernachtungsorte. Im Gegenteil: Wir mussten immer einen Schlafplatz suchen. An einem Abend war es wirklich dramatisch: Unsere Füße trugen uns nicht mehr, die Schultern taten weh, und weit und breit war kein Stadel, kein Unterschlupf, nichts. Wir wurden immer müder, fertiger und geschaffter. Bis wir endlich bei einem Bauern ankamen, der uns ganz freudig in seinem Schuppen aufnahm. Alle miteinander. Frische Milch gab es für uns alle, gerade eben gemolken, der Rucksack war herunten – und in kürzester Zeit wurde aus den müden Kriegern, die wir gerade eben noch gewesen waren, ein munterer, quietschfideler Haufen, der wieder durch die Gegend kletterte…

Im heutigen Evangelium ist auch von ganz müden Gesellen die Rede, von den Jüngern, die von ihrer ersten Sendung zurück kommen und völlig fertig bei ihrem Meister ankommen. Müde Krieger, die abgeschafft und schlaff vor Jesus stehen. In diesen Jüngern, verzeihen Sie, wenn ich so direkt werde, sehe ich uns. Die Kirche von heute. Müde und abgearbeitet, fertig mit der Welt, irgendwie antriebslos und schlaff. Gerade so, als ob sie nicht mehr weiter wüsste. Aber diese Kirche sollte so wie die Jünger um Jesus in kürzester Zeit zu einer Truppe werden, die wie er sich um diejenigen kümmern kann, die um sie herum stehen und aussehen, als ob sie keinen Hirten haben. Denen man ansieht, dass sie Hilfe brauchen. Wie das geht? Gerade so wie im Evangelium! Das Evangelium geht uns an.

Ausruhen
Das erste, wozu Jesus seine Jünger auffordert, ist: Kommt mit an einen einsamen Ort und ruht ein wenig aus. Wahrscheinlich ist das die allerüblichste Idee, die einem kommt, wenn man müde Menschen sieht, ihnen zu raten, doch etwas auszuruhen. Das schon. Aber aus Jesu Mund klingt das doch ganz anders! Er lässt sich erzählen, was passiert ist, was sie erlebt haben, was ihnen auf dem Weg geschehen ist. Und dann sollen sie ausruhen. Einfach mal nichts tun. Genau hier finde ich eine der ersten Verhaltensregeln für uns, für die Kirche von heute: Ruh einmal aus, liebe Kirche. Verlier dich nicht in Aktionismus, Tatendrang und ständigen neuen Ideen, sondern halt einfach mal zwischendurch Ruhe. Natürlich klingt das sehr unüblich. Das gebe ich gerne zu. Aber überlegen Sie doch einmal, wie viel es Ihnen selbst für Ihren persönlichen Alltag bringt, wenn Sie zwischendurch einmal Pause machen. Pausenlos ist niemand fit. Das Krafttanken hilft ungemein. Und das gilt auch und besonders fürs Geistliche Leben! Ich selbst spüre, dass ich viel besser und konzentrierter beten kann, wenn ich nicht überarbeitet, gestresst und gehetzt bin. Ich selbst merke immer wieder, wie viel leidlicher, entspannter und damit zugänglicher mich ein paar Mußestunden machen. Wie sollen wir überhaupt für Jesus und seine Botschaft für uns zugänglich sein, wenn wir uns ständig mit allen möglichen und unmöglichen Arten von Aktionismus zuballern? Das gilt für die Kirche an sich, das gilt für unsere Gemeinden. Und das gilt für jeden von uns selbst: Mach einfach mal Pause, damit du Energie sammeln kannst! Übrigens steckt im griechischen Urtext tatsächlich die Pause drin; Jesus sagt nämlich wörtlich, wenn er sagt „ruht ein bisschen aus“: ἀναπαύσασθε ὀλίγον.

Einsamer Ort
Aber Jesus hat nicht nur den Tipp des Ausruhens für seine Jünger parat. „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind.“ Das ist im Originaltext ganz deutlich: Es geht ums Alleinsein miteinander – und vor allem mit Jesus. Der einsame Ort ist vor allem deshalb eine Quelle für die Jünger, weil Jesus mit dabei ist. Mit ihm sollen sie sich zurückziehen. Dabei spricht Jesus gar nicht davon, was an diesem Ort passieren soll. Er wird ihnen ja auch keine langen Vorträge halten, mit ihnen auch nicht des langen und breiten die Missionsreise, die sie hinter sich haben, reflektieren, nein, zusammen sein will er mit ihnen. Mit Jesus zusammen sein, und das an einem einsamen Ort – das ist für mich die beste Umschreibung für die Anbetung. Wenn Jesus im Sakrament der Eucharistie auf dem Altar steht, er unmittelbar gegenwärtig ist, und ich vor ihm knie oder sitze, da kann ich unglaublich gut auftanken. Für mich persönlich ist die Anbetung in den letzten Jahren immer mehr zu solch einem Ort geworden. Da kann ich in der Stille und Einsamkeit – und einsam ist man da auch unter tausenden von Leuten – mit Jesus all das anschauen, was war und sein wird. Es braucht gar keine Worte, es braucht kein langes Tun. Er ist da, ich bin da – und in diesen Momenten wird mir so vieles klar, wird so vieles leichter, wird so vieles greifbarer. Das ist das zweite, was die müde Kirche, die müden Christinnen und Christen von heute, wieder lernen müssen, um quietschfidel wieder durch die Gegend hüpfen zu können, wie weiland wir Jungpfadfinder: Es geht um das Zusammensein mit Jesus in der Einsamkeit und Stille. In der Einsamkeit, in der im Zweifelsfall bei einem Weltjugendtag auch eine Million Jugendlicher gemeinsam einsam schweigen kann vor dem Allerheiligsten.

Er lehrte
Doch zurück zum Evangelientext: Eigentlich müsste Jesus doch verzweifeln! Da will er mit den Jüngern ausruhen, mit ihnen zusammen sein, und – wumms – sind unzählige Menschen da. Damit nicht genug, hat er auch sofort Mitleid mit all diesen Menschen und, wie es heißt, „lehrt“ er sie lange. Was passiert denn da? Die Jünger und ihr Meister, die sich in Einsamkeit und stille Begegnung zurück gezogen haben, werden für alle anderen anziehend. Massen von Menschen, die hirten- und ahnungslos sind, tauchen auf und wollen nur irgendetwas von dem mitbekommen, was die Jünger erleben. Voilà, liebe müde Kirche von heute, voilà, liebe müden Christinnen und Christen, hier ist der Schlüssel für den Auftrag Jesu: Wer sich mit ihm zurück zieht, wer mit ihm auftankt, zu dem werden die Menschen in Scharen kommen. Warum? Weil sie spüren, dass da mehr ist. Weil sie spüren, dass da der Hirte zu finden ist, den sie anderswo vermissen. Weil sie erfahren, dass es da eine Lehre gibt, der man im Zweifelsfalle lange zuhören kann. Das ist es, was die Kirche von heute braucht: Menschen, die mit Jesus in der Stille leben, um dann wie er lehren zu können. Menschen, die ihm begegnen, damit dann ihr Lehren Frucht bringen kann.

Liebe Hörerin, lieber Hörer, manchmal erscheint mir die Kirche heute so müde wie wir damals als Jungpfadfinder beim Wanderlager, als wir ewig nach einer Unterkunft suchten. Dagegen hilft nur eines: Mit Jesus ausruhen und Pause machen. Bei ihm sein und ihn erleben. Und schließlich zu überzeugenden Lehrerinnen und Lehrern werden. Und dann wird die Kirche von selbst wieder quietschfidel, grad so wie wir Pfadfinder nach der frisch gemolkenen Milch.

(rv 21.07.2012 lw)







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