2012-07-19 14:57:14

Syrien: „Was käme nach Assad?“


RealAudioMP3 Nach Ansicht des griechisch-katholischen Priesters Hanna Ghoneim aus Syrien haben viele Christen in Syrien Angst vor einem Sturz des Assad-Regimes. Das sagte Ghoneim dem katholischen Medienhaus Sankt Michaelsbund während einer Deutschlandreise: „Was kommt, wenn Assad weg ist?“, sei eine häufig gestellte Frage, so der Direktor eines theologischen Institutes in Damaskus und Leiter einer Pfarrgemeinde dort. Die Christen würden nicht zu Assad persönlich stehen, seien aber daran interessiert, dass das Land zivilisiert wird und eine Entwicklung stattfindet, erklärte Ghoneim. Solange das Regime glaubwürdig verspreche, Reformen anzustreben, würden die Christen es unterstützen, so Ghoneim:


„Wir unterstützen Assad, solange er bei diesem Programm bleibt. Ich sage Ihnen ehrlich, vor Ausbruch der Revolution ging es Syrien viel besser als heute. Die Sicherheit war größer und man hatte Pläne. Es gab schon einen Willen zur Reform, was man heute gerne vergisst. Solange Assad gute Intentionen hat, stehen die Christen auch hinter ihm. Die Christen bilden aber keine eigenen Partei, sondern sie sind überall im Land engagiert. Es gibt Christen im Regime und in der Opposition, und sogar auch in der Regierung. Wir engagieren uns für das Land. Deshalb sind wir der gleichen Meinung wie die Orthodoxen und auch viele Muslime: Wir müssen die Reformen unterstützen, die Assad will. Wir dürfen ihn aber nicht dabei unterstützen, Menschen zu attackieren.“


Das gewalttätige Vorgehen der syrischen Regierung gegen Zivilisten lehnt der Geistliche klar ab. Aber scheinen vor diesem Hintergrund Assads Reformversprechen, auf die Ghoneim setzt, tatsächlich noch glaubwürdig? Nicht glaubwürdig ist jedenfalls seiner Meinung nach die Berichterstattung westlicher Medien über Syrien. Von „ausgewogener Berichterstattung“ könne wohl kaum die Rede sein, wenn man ständig „nur eine Seite“ sprechen lasse, so der Priester:


„Die Situation in Syrien ist sehr schlecht, wie man es hier ja auch berichtet. Andererseits muss ich beanstanden, dass man in den westlichen Medien oft nur die syrische Opposition zu Wort kommen lässt und Quellen sprechen lässt, die fragwürdig sind. Das heißt: Man spricht von Aktivisten oder Menschenrechtlern, ohne Namen zu nennen.“


Die Perspektive, dass die Regierung stürzen könnte, sorge unter vielen Christen für große Angst, so der Geistliche weiter. Die orthodoxen Kirchen, aber auch Vertreter der griechisch-katholischen Kirche in Syrien warnten deshalb vor einem Sturz Assads. Wenigstens funktioniere derzeit noch der politische Betrieb in dem Land, meint Ghoneim, mit der Wirtschaft ginge es dagegen steil bergab: Viele Menschen lebten mittlerweile unter der Armutsgrenze. Vor diesem Hintergrund erscheine ein Machtwechsel als zusätzlich destabilisierendes Element.


„Was hat man für einen Ersatz nach Assad? Es gibt kein politisches Programm für ein Danach. Es gibt im ganzen Land einen starken Willen, dass man selbst auf die Beine kommt, und es ist nicht sicher, dass ein Sturz des Regimes dazu beitragen könnte.“


Er selbst sei auch in diesen Tagen in ständigem Kontakt mit seiner Gemeinde, die in einer Hochburg der Rebellen liege. Von Opfern habe er zum Glück bislang nichts gehört. Was den größeren Kontext des Konfliktes betrifft, sieht Ghoneim Syrien im Spannungsfeld globaler Interessen:


„Das Problem liegt nicht in Syrien, sondern im Ausland. Hier stehen Weltmächte dahinter. So wie es aussieht, liegt unser Schicksal nicht in Syrien selbst, sondern wird zwischen Russland und den USA entschieden.“


Die Kirche könne in dieser Situation schwerlich vermitteln, fügt er dann an. Sie sei nicht als politisches Element zu verstehen:


„Die Kirche hat eher eine gesellschaftliche Aufgabe. Und als Kirche kann man wenig beeinflussen, was die Weltinteressen belangt. Unser Interesse richtet sich auf die Menschen im Land. Wir bestärken sie darin, standhaft zu bleiben, bis die Krise vorbei ist. Wir hoffen sehr, dass diese Krise nicht allzu lange andauert.“


Trotz der sehr schweren Lage hat Ghoneim die Hoffnung auf eine friedliche Lösung für Syrien noch nicht aufgegeben.


„Ich bin zuversichtlich, dass das Land wieder auf die Beine kommt und der Frieden wieder einkehrt, allerdings werden die Herausforderungen nach der Krise sehr vielfältig sein. Versöhnung ist ein wichtiger Begriff. Man wird sich um die Versöhnung aller Beteiligten dort bemühen müssen. Ein Signal der Regierung, das sollte man auch erwähnen, ist, dass man in der Regierung ein Ministerium für nationale Versöhnung eingerichtet hat. Der Minister tut alles Mögliche, um die Menschen zusammenzubringen und Versöhnung möglich zu machen.“


Bei mehreren Anschlägen in Damaskus waren in den vergangenen Monaten Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Die Opposition und das Regime hatten sich jeweils gegenseitig beschuldigt. Am Mittwoch, dem 18. Juli, zählten die Regimegegner landesweit insgesamt 18 Tote. Immer wieder wird auch von Massakern des Regimes gegen die Zivilbevölkerung berichtet. Deutliche Worte findet in diesem Zusammenhang der Jesuitenpater Paolo dall´Oglio, Gründer der Klostergemeinschaft Deir Mar Musa, der erst kürzlich wegen Drohungen das Land verlassen musste. Sein Appell an die Internationale Gemeinschaft ist klar:


„Es geschehen gerade viele Gleichgewichtsverschiebungen in dem, was wir den inneren Machtzirkel in Syrien nennen. Das sind Anzeichen für eine große Schwächung des Regimes. Die Wochen, die nun kommen, werden uns zeigen, wohin das Ganze führt. Wir riskieren einen langen Bürgerkrieg, der absolut zu vermeiden ist; die gesamte Region wäre destabilisiert.“


Das weitere Vorgehen der internationalen Gemeinschaft müsse jetzt auf Moderation und Verhandlung setzen, um alle Mitglieder der Staatengemeinschaft zu einem konstruktiven Handeln zu bringen, appelliert der Jesuit. Dabei gelte es keine Zeit zu verlieren.


„Die internationale Gemeinschaft muss absolut etwas unternehmen! Russland will Sicherheit? Der Westen muss Klarheit fordern. Der Iran fordert den Schutz der Schiiten? Der Westen soll den Schutz von Menschenrechten fordern. Auf dieser Basis ist ein gemeinsames Verständnis möglich. Die Bedrohung der Menschenrechte und die Gefahr von neuen Massakern ist unglaublich hoch, und deshalb ist es wichtig, dass alle sich zusammen tun und etwas unternehmen, um Syrien und die Syrer zu schützen.“


(muenchner kirchenradio/kathpress/rv 19.07.2012 cs)








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