Von Pfarrer Ludwig
Waldmüller Liebe Hörerin, lieber Hörer, mittlerweile ist es schon einige Zeit
her, dass ich zweimal die Woche im Fahrschulraum saß. Wir mussten immer eine halbe
Stunde vor Beginn des Theorieunterrichts kommen und „kreuzen“, wie das hieß: Wir bekamen
einen oder zwei Prüfungsbögen für die Fahrprüfung und mussten die – hoffentlich –
richtigen Antworten ankreuzen. „Wer hat an dieser Kreuzung Vorfahrt?“ „Was müssen
Sie beim Abstellen des Fahrzeugs beachten?“ oder ganz besonders beliebt: „Zu welcher
Annahme könnte der Fahrer des PkWs an der Kreuzung verleitet werden?“ Diese und ähnliche
Fragen galt es zu beantworten. Aber nicht nur Kreuzchen mussten gemacht werden, hin
und wieder galt es, etwas zu berechnen. Gemäß der „Faustregel“. Was das genau mit
einer Faust zu tun hatte, ist mir bis heute nicht ganz klar; aber das Prinzip der
Faustregel hat mich fasziniert: Ganz einfache Berechnungen helfen einem, eine schwierige
Frage recht schnell zu beantworten. Wie lang der Bremsweg ist, zum Beispiel. Faustregeln
sind, das habe ich in der Fahrschule gelernt, wirklich praktisch. Und ich hab mich
immer wieder gefragt, ob es nicht auch in anderen Bereichen Faustformeln und Faustregeln
geben könnte, ganz einfache Formeln, die schwierige Berechnungen leicht erledigbar
machen. Wie schön wäre es, wenn es eine Faustformel für’s Kirchesein gäbe. Gibt’s
nicht? Ich glaube schon, und zwar im heutigen Evangelium. Jesus gibt seinen Jüngern
mit auf den Weg, wie sie sich auf ihrer Sendung zu verhalten haben. Einfache, recht
gut zu merkende Vorgaben. Faustformeln eben, wie ich finde. Wollen Sie sie hören? 1.
Nicht alleine kämpfen Zuerst einmal ist es mehr als bemerkenswert, dass Jesus
seine zwölf Jünger, wie Markus schreibt, in sechs Doppelpaaren aussendet. Wörtlich
heißt es im griechischen Urtext des Evangeliums, Jesus sende sie „zwei zwei“ aus,
also wirklich zu zweit. Zwei sind können sich auf alle Fälle unterstützen. Oder, wie
es im Buch Kohelet im Alten Testament heißt: „Zwei sind besser als einer allein. Denn
wenn sie hinfallen, richtet einer den anderen auf. Doch wehe dem, der allein ist,
wenn er hinfällt, ohne dass einer bei ihm ist, der ihn aufrichtet. Außerdem: Wenn
zwei zusammen schlafen, wärmt einer den andern; einer allein - wie soll er warm werden?
Und wenn jemand einen Einzelnen auch überwältigt, zwei sind ihm gewachsen und eine
dreifache Schnur reißt nicht so schnell.“ Dazu kommt: Durch das Aussenden der Jünger
zu zweit macht Jesus sie glaubwürdig: Im antiken Recht, römisch wie jüdisch, braucht
es zwei Zeugen, um eine Sache als wahr zu beglaubigen. Das ist in meinen Augen
die erste Faustformel: Kämpft nicht alleine! Dabei ist nicht in erster Linie gemeint,
dass wir wie andere zu zweit drauf losgehen sollen und Klingeln putzen; es geht eher,
finde ich, um ein Grundprinzip: Christsein bedeutet, in Gemeinschaft für Gott Zeugnis
zu geben. So wird es auch nur stärker und glaubwürdiger! Die Faustformel sagt der
Kirche von heute, sagt uns: Kirche, Pfarrei, Gemeinde: Es geht um Gemeinschaft, um
Miteinander, um gemeinsames Zeugnis. 2. Nicht einrichten Doch das war
nicht die einzige Faustformel dieses Evangeliums. Es geht weiter: Jesus macht seinen
Jüngern eines ganz deutlich: Nehmt nichts mit. Kein Brot, keine Vorratstasche, nicht
einmal ein zweites Gewand sollen sie anziehen. Und: Nirgendwo fest einziehen! Sucht
euch gastfreundliche Menschen, bleibt bei denen, aber geht auch wieder. Das ist wohl
der Inhalt der zweiten Faustformel: Liebe Kirche von heute, liebe Christen, richtet
euch nicht gemütlich ein. Nein, ich will nicht gegen Möbelhäuser ansprechen, ich meine
eher das Einrichten im Leben. Es fällt so leicht zu meinen, man hätte doch jetzt das
Richtigste und Wichtigste erreicht, jetzt sei der Moment, alles festzuzurren und sich
nicht mehr weg zu bewegen. Wie oft beobachtet man das! Endlich bin ich da, wo ich
hinwollte. Am Ziel. Aber genau das darf der Kirche nicht passieren! Die Christen,
wir, müssen Menschen bleiben, die sich nicht ihre Nische suchen und sich darin festsetzen.
Nichts ist gefährlicher für die Kirche als zu einer Nischengruppe zu werden, die sich
einrichtet, es gemütlich macht und sich selbst genügt. Die zweite Faustformel heißt:
Richtet euch nicht ein, seid flexibel! 3. Nicht an der Sendung kleben Doch
noch einmal ins Evangelium. Eine dritte Faustformel finde ich: Wie ist das mit den
Situationen, in denen die Gesandten Jesu, seine Zeugen, scheitern?! Wenn man sie nicht
hören will, wenn sie mit dem Ihren nicht ankommen? Jesus ist ganz klar: „dann geht
weiter, und schüttelt den Staub von euren Füßen, zum Zeugnis gegen sie.“ Versucht
es nicht immer wieder, versteht, wenn jemand euch partout nicht hören will. Ich glaube
Faustformel ist diejenige, die uns in der Kirche am schwersten fällt. Wie können wir
uns vorstellen, dass uns jemand nicht hören will? Und – mehr noch – können wir akzeptieren,
dass wir das eine oder andere Mal einfach gehen müssen? Wie ist das in einer Pfarrei,
wenn man feststellen muss, das, was man für so ein tolles Konzept gehalten hat – und
was vielleicht auch jahrelang gut angekommen ist –, funktioniert nicht mehr. Niemand
interessiert sich mehr dafür. Obwohl man es doch immer schon so gemacht hat. Obwohl’s
doch immer gut und richtig war. Obwohl es einem selbst doch so gut gefällt. Aber es
will eben keiner hören! Genau da liegt die Crux der Faustformel Jesu: Es darf, es
muss zwischendurch der Staub von den Füßen geschüttelt werden. Manche Sache darf,
ja muss, sterben. Manche pastorale Leidenschaft, manche Idee, die sich als Schnapsidee
herausstellt, muss man aller Trauerarbeit zum Trotz vielleicht verabschieden. Und
wir Christen müssen, ja können gar nicht alle erreichen. Das sagt Jesus seinen Aposteln
bei der ersten Aussendung. So sehr wir das meinen und es uns wünschen – es wird uns
nicht gelingen. Die dritte Faustformel Jesu im Evangelium heißt: Klebt nicht an eurer
Idee von der Sendung, die ihr habt. Geht weiter. Liebe Hörerin, lieber Hörer,
drei Faustformeln finde ich im heutigen Evangelium. Faustformeln, die Schwieriges
leicht greifbar machen:
Christen sollen nicht alleine kämpfen!
Christen sollen sich nicht gemütlich einrichten!
Christen sollen nicht an der eigenen Idee von
ihrer Sendung kleben.
Das klingt vielleicht alles ein bisschen hart.
Aber es macht den Weg für Jesus unglaublich viel leichter. (rv 14.07.2012 lw)