An diesem Dienstag
ist in Ägypten das vom Verfassungsgericht aufgelöste Parlament entgegen dem höchstrichterlichen
Urteil von Präsident Mohammed Mursi einberufen worden. Unter Protesten der Bevölkerung
und der Opposition, aber auch dem Jubel der Anhänger Mursis, haben sich die Abgeordneten
zu einer kurzen Sitzung zusammengefunden. Dabei wurde entschieden, das Urteil des
Verfassungsgerichts, obwohl dieses per se das höchstmögliche Gerichtsorgan darstellt,
an das Kassationsgericht zu überweisen. Ein harscher Konflikt zwischen den Institutionen
schien unausweichlich. Nun zeigt sich Mohammed Mursi aber versöhnlich. Ich habe mit
dem Leiter der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo, Pfarrer Joachim Schroedel, gesprochen:
„Der Präsident sagte, er respektiere selbstverständlich die Autorität des
Verfassungsgerichts. Das hat er gestern noch einmal verlauten lassen. Aber im Kontext
liest man dann eben auch, er wollte es einfach einmal probieren. Er persönlich fand
wohl die Idee gar nicht so schlecht, das Parlament einfach wieder einzuberufen. Man
sieht also diese hilflosen Versuche einer Demokratisierung. Im Hintergrund steht natürlich
ein sehr spannendes und auch ernstes Spiel: Wer wird nun voran schreiten? Und wer
wird letztlich doch die Macht haben? Und in gewisser Weise hat natürlich Präsident
Mursi auch die Berechtigung, das dann einmal einzuklagen. Er sieht sich ja selbst
sicherlich nicht nur als eine Marionette des Militärs, aber auch ebenso wahrscheinlich
nicht als die Puppe der Muslimbrüder.“
Hat das Kräftespiel Mursi Profil
verschafft?
„Nein, das glaube ich nicht. Es hat ihm eher geschadet. Er wollte
sicherlich zeigen, was er als Präsident kann, aber die Bevölkerung, die das Ganze
wirklich sehr gut mitbekommt, ist, so wie ich es in vielen Gesprächen erfahren habe,
davon nicht sehr angetan gewesen. Es geht jetzt darum, dass in Ägypten Schritte in
die soziale und demokratisierende Richtung geschehen. Dass die Menschen spüren, es
ändert sich etwas. Es geht jetzt nicht darum, wer hat mehr Rechte und wer kann über
den anderen bestimmen. Die Menschen sind es satt immer nur politischen Disput zu hören,
ohne dass sie selbst davon profitieren. Und das spürt man jetzt auch wieder bei den
Jugendlichen – und auch jugendlichen parteinahen Bewegungen: Sie sagen, wir müssen
jetzt selber sehen, dass wir als Ägypter wieder voran kommen und dass wir aus dem
Status eines Schwellen-oder Entwicklungslandes herauskommen. Wir müssen initiativ
werden, um uns selbst versorgen zu können. Das sind natürlich Dinge, die der Staat
jetzt noch nicht angreift. Gebe Gott, dass möglichst bald auch eine Regierung geschaffen
wird, sprich ein Ministerpräsident ernannt wird und Minister, so dass es dann endlich
los gehen kann. Diese Spielchen sind die Menschen jedenfalls satt.“
Der
türkische Premier Erdogan gibt Mursi Rückendeckung, aber wie sieht das Ägyptische
Volk selbst die Parlamentsauflösung?
„Man muss sich immer wieder die Zahlen
vergegenwärtigen. Mursi ist mit einer knappen Mehrheit gewählt worden. Natürlich ist
diese Mehrheit zu respektieren. Aber diejenigen, die ihn gewählt haben, stehen noch
lange nicht alle auf der Seite von Muhammad Mursi. Das bedeutet also, dass es vielleicht
ein Drittel aller Wähler sind, die sagen würden, er habe Recht, sich doch mehr als
Präsident zu zeigen. Die anderen haben doch eher Ängste vor diesem Muslimbruder Mursi,
dem viele von ihnen nicht vertrauen. Und die Äußerung, die dann von Erdogan kommt,
oder auch, was beispielsweise bei seinem 18-Stunden-Besuch von Außenminister Westerwelle
gesagt wurde, das macht die Menschen nicht sehr glücklich. Denn sie sagen: Was heißt
hier Demokratie? Wir müssen doch erst einmal unsere fundamentalen Notwendigkeiten
erfüllt bekommen. Wir müssen sehen, dass wir einfach noch nicht demokratiefähig sind.
50 Prozent– ich muss es immer wieder sagen – der Ägypter sind Analphabeten. Mit denen
kann man keine Demokratie nach europäischem Muster machen. Das brauch viel Zeit, aber
ich denke, dass auch sehr genau hingeschaut werden muss, wie sich in Zukunft die Beziehungen
der europäischen Staaten zu Ägypten entwickeln. Ich bin mir auch sicher, dass bei
jedem Problem, das etwa die Freiheit der Christen anbelangt oder ihren Schutz, der
Westen schon sehr genau hinschauen wird.“
Soweit Pfarrer Joachim Schroedel
im Radio-Vatikan-Interview.