2012-07-12 12:47:01

Türkei: Urteil gegen Mor Gabriel nicht „rechtsstaatlich“


RealAudioMP3 Der Landbesitz des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien ist nach jahrelangem Rechtsstreit nun im Berufungsverfahren gegen das Schatzamt der Türkei den umliegenden Dörfern zugesprochen worden. Das hat der Anwalt des Klosters, Rudi Sümer, an diesem Dienstag bestätigt. Nach westlicher Einschätzung ist das Urteil zumindest zweifelhaft, denn wichtige Dokumente wurden vom Gericht nicht berücksichtigt. Andererseits wäre nun der Weg für eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte frei. Der Türkeiexperte und Leiter der Fachstelle Menschenrechte beim katholischen Hilfswerk „missio“ in Aachen, Otmar Oehring, spricht der Türkei in Zusammenhang mit diesem Urteil gar die Rechtsstaatlichkeit ab:


„Weil es ein typisches und deshalb auch zu erwartendes Urteil des Kassationsgerichts in Ankara war, welches sich nicht auf das Recht stützt, sondern welches ganz offensichtlich ein politisches Urteil ist, das natürlich auch von staatlichen Behörden so gewollt war. Wenn in der Türkei Rechtsstaatlichkeit herrschen würde, dann hätte dieses Gericht sich natürlich auch auf die vorgelegten Dokumente stützen müssen.“


Auch in Deutschland hat der Fall bereits für Aufsehen gesorgt. Da das syrisch-orthodoxe Kloster in der Türkei zu einer religiösen Minderheit gehört, blickt Erzbischof Schick mit Sorge auf das Urteil. Es gebe ein „bedenkliches Signal an die christliche Minderheit“. Mor Gabriel gilt als geistliches Zentrum für rund 3.000 syrisch-orthodoxe Christen im Südosten der Türkei. Auch Politiker wie Erika Steinbach von der CDU schalten sich in die Diskussion mit der Vermutung ein, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts in Ankara politisch motiviert gewesen sei. Otmar Oehring bestätigt uns, dass der Fall als extrem komplex anzusehen ist. So seien nicht nur die auf dem betroffenen Landstück angesiedelten Dörfer in den Konflikt verwickelt.


„Es geht darum, dass diese drei Dörfer praktisch einem kurdischen Stammesführer gehören und dieser ein Interesse dran hatte, die Landflächen des Klosters zu bekommen. Er ist gleichzeitig Abgeordneter der regierenden AKP im türkischen Parlament gewesen. Und da spielt dann wiederum noch eine Rolle, dass der türkische Staat ein Interesse an der bevorzugten Behandlung bestimmter kurdischer Stammesführer hat, die im Bürgerkrieg zwischen der PKK und der türkischen Republik dem türkischen Staat sogenannte Dorfwächter zur Verfügung gestellt haben.“


Bei den Dorfwächtern handle es sich um eine paramilitärische Einheit, die, meist unfreiwillig, von ihren Feudalherren, den Stammesführern, im Bürgerkrieg für den türkischen Staat eingesetzt wurden.


„Man darf nun vermuten, dass diese Gemengelage dazu geführt hat, dass es ein großes Interesse von staatlicher Seite gab, diesen Prozess auf jeden Fall nicht zu Ungunsten des Klägers, in diesem Fall dieses Stammesführers und der von ihm mit dem Prozess beauftragten Dörfer, kommen zu lassen.“


Wie Oehring berichtet, kam es im Vorfeld des Berufungsurteils zu verschiedenen Versuchen durch das türkische Parlament, zu einer gütlichen Einigung zu kommen und dem Kläger gleichwertige Landflächen aus türkischem Staatsbesitz zu übertragen. Offensichtlich sei eine derartige Einigung aber nicht zustande gekommen. Dennoch – auch wenn das Kloster den Fall zunächst verloren hat, könne man ihn als Chance in Bezug auf die Menschenrechte der syrisch-orthodoxen Minderheit sehen.


„Wir haben jetzt eben zunächst einmal das negative Urteil, das aber in sich natürlich auch wieder eine große Hoffnung für das Kloster und auch für die syrisch-orthodoxe Gemeinschaft in der Türkei in sich birgt, weil damit nun der Weg nach Straßburg und zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eröffnet ist.“


Hintergrund

In dem langwierigen Rechtsstreit des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien gegen das Schatzamt der Türkei ging es um die Besitzrechte an 28 Hektar Land in der Umgebung des Klosters. Das Schatzamt war in erster Instanz vor Gericht unterlegen, weil das Kloster nachweisen konnte, dass es seit 1937 Steuern auf den Landbesitz gezahlt hatte. Das Berufungsgericht in Ankara berücksichtige allerdings die entsprechenden Steuerbelege nicht, weil die Dokumente angeblich verlorengegangen waren. Das Kloster hatte sie zwar erneut bei Gericht eingereicht, unterlag nun jedoch vor der Großen Kammer des Berufungsgerichts. Nun werde ein Einspruch vor dem Verfassungsgericht oder vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof geprüft, heißt es.

(rv/domradio 12.07.2012 db/cs)








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