Türkei: Urteil gegen Mor Gabriel nicht „rechtsstaatlich“
Der Landbesitz des
syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien ist nach jahrelangem Rechtsstreit
nun im Berufungsverfahren gegen das Schatzamt der Türkei den umliegenden Dörfern zugesprochen
worden. Das hat der Anwalt des Klosters, Rudi Sümer, an diesem Dienstag bestätigt.
Nach westlicher Einschätzung ist das Urteil zumindest zweifelhaft, denn wichtige Dokumente
wurden vom Gericht nicht berücksichtigt. Andererseits wäre nun der Weg für eine Klage
vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte frei. Der Türkeiexperte und Leiter
der Fachstelle Menschenrechte beim katholischen Hilfswerk „missio“ in Aachen, Otmar
Oehring, spricht der Türkei in Zusammenhang mit diesem Urteil gar die Rechtsstaatlichkeit
ab:
„Weil es ein typisches und deshalb auch zu erwartendes Urteil des
Kassationsgerichts in Ankara war, welches sich nicht auf das Recht stützt, sondern
welches ganz offensichtlich ein politisches Urteil ist, das natürlich auch von staatlichen
Behörden so gewollt war. Wenn in der Türkei Rechtsstaatlichkeit herrschen würde, dann
hätte dieses Gericht sich natürlich auch auf die vorgelegten Dokumente stützen müssen.“
Auch
in Deutschland hat der Fall bereits für Aufsehen gesorgt. Da das syrisch-orthodoxe
Kloster in der Türkei zu einer religiösen Minderheit gehört, blickt Erzbischof Schick
mit Sorge auf das Urteil. Es gebe ein „bedenkliches Signal an die christliche Minderheit“.
Mor Gabriel gilt als geistliches Zentrum für rund 3.000 syrisch-orthodoxe Christen
im Südosten der Türkei. Auch Politiker wie Erika Steinbach von der CDU schalten sich
in die Diskussion mit der Vermutung ein, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts
in Ankara politisch motiviert gewesen sei. Otmar Oehring bestätigt uns, dass der Fall
als extrem komplex anzusehen ist. So seien nicht nur die auf dem betroffenen Landstück
angesiedelten Dörfer in den Konflikt verwickelt.
„Es geht darum, dass
diese drei Dörfer praktisch einem kurdischen Stammesführer gehören und dieser ein
Interesse dran hatte, die Landflächen des Klosters zu bekommen. Er ist gleichzeitig
Abgeordneter der regierenden AKP im türkischen Parlament gewesen. Und da spielt dann
wiederum noch eine Rolle, dass der türkische Staat ein Interesse an der bevorzugten
Behandlung bestimmter kurdischer Stammesführer hat, die im Bürgerkrieg zwischen der
PKK und der türkischen Republik dem türkischen Staat sogenannte Dorfwächter zur Verfügung
gestellt haben.“
Bei den Dorfwächtern handle es sich um eine paramilitärische
Einheit, die, meist unfreiwillig, von ihren Feudalherren, den Stammesführern, im Bürgerkrieg
für den türkischen Staat eingesetzt wurden.
„Man darf nun vermuten,
dass diese Gemengelage dazu geführt hat, dass es ein großes Interesse von staatlicher
Seite gab, diesen Prozess auf jeden Fall nicht zu Ungunsten des Klägers, in diesem
Fall dieses Stammesführers und der von ihm mit dem Prozess beauftragten Dörfer, kommen
zu lassen.“
Wie Oehring berichtet, kam es im Vorfeld des Berufungsurteils
zu verschiedenen Versuchen durch das türkische Parlament, zu einer gütlichen Einigung
zu kommen und dem Kläger gleichwertige Landflächen aus türkischem Staatsbesitz zu
übertragen. Offensichtlich sei eine derartige Einigung aber nicht zustande gekommen.
Dennoch – auch wenn das Kloster den Fall zunächst verloren hat, könne man ihn als
Chance in Bezug auf die Menschenrechte der syrisch-orthodoxen Minderheit sehen.
„Wir
haben jetzt eben zunächst einmal das negative Urteil, das aber in sich natürlich auch
wieder eine große Hoffnung für das Kloster und auch für die syrisch-orthodoxe Gemeinschaft
in der Türkei in sich birgt, weil damit nun der Weg nach Straßburg und zum Europäischen
Menschenrechtsgerichtshof eröffnet ist.“
Hintergrund
In
dem langwierigen Rechtsstreit des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien
gegen das Schatzamt der Türkei ging es um die Besitzrechte an 28 Hektar Land in der
Umgebung des Klosters. Das Schatzamt war in erster Instanz vor Gericht unterlegen,
weil das Kloster nachweisen konnte, dass es seit 1937 Steuern auf den Landbesitz gezahlt
hatte. Das Berufungsgericht in Ankara berücksichtige allerdings die entsprechenden
Steuerbelege nicht, weil die Dokumente angeblich verlorengegangen waren. Das Kloster
hatte sie zwar erneut bei Gericht eingereicht, unterlag nun jedoch vor der Großen
Kammer des Berufungsgerichts. Nun werde ein Einspruch vor dem Verfassungsgericht oder
vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof geprüft, heißt es.