Koptische Würdenträger
und auch der katholische deutschsprachige Pfarrer in Kairo hatten Ausschreitungen
befürchtet, aber es blieb ruhig: An diesem Dienstag trat ohne große Polemik das ägyptische
Parlament zusammen, das der Militärrat eigentlich aufgelöst hatte, vom islamistischen
neuen Präsidenten Mursi aber wieder einberufen worden war. Die Sitzung des Parlaments
dauerte nur fünf Minuten, die Abgeordneten – in der Überzahl Islamisten wie der Präsident
– beschlossen per Akklamation, das sogenannte Berufungsgericht um Rat in der Frage
einer möglichen Neuwahl zu bitten. Die Opposition blieb der Sitzung großteils fern.
Jedenfalls: Die Frage des Parlaments hat hohes Konfliktpotential, und der Präsident
weiß das. Pfarrer Joachim Schroedel, der seit 17 Jahren in Kairo lebt, kommentiert:
„Ich glaube durchaus, dass Mursi damit einen Schritt gemacht hat, der einfach
in die falsche Richtung gegangen ist. Er wollte wohl ein wenig Muskeln spielen lassen,
bzw. man muss ja auch immer sehen, dass seine Hintermänner die eigentlichen Regenten
sind, denn Mursi ist ein relativ schwacher Mann. Aber es gibt im Hintergrund eine
Reihe von Leuten, die damals schon gesagt haben, das geht ja gar nicht, wir müssen
das Parlament wieder einsetzen. Und das hat er jetzt einfach einmal versucht. Das
typische Spiel von Mursi ist: ich mache das jetzt einfach; aber wohl wissend, dass
er kein Verfassungsgerichtsurteil umstoßen kann.“
Beobachter sind der
Ansicht, dass Ägypten auf dem Weg zu einem islamischen Staat ist. würden bald an
den Schaltstellen dieses bedeutendsten Landes des arabischen Nordafrika sitzen. Viele
Kopten – sie machen rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung aus – sorgen sich
um ihre Zukunft. (rv 10.07.2012 gs)