Der Besuch Benedikt
XVI. im Libanon dürfte nicht nur eine Botschaft des Friedens für die gesamte Region
sein, sondern auch ein Appell an die dort lebenden Christen zur Einheit. Im religiös
vielleicht vielfältigsten Land der Welt sind Religion und Politik bis heute eng miteinander
verknüpft. Die Bürgerkriege und die damit einhergehenden Bündnisse haben auch die
christliche Gemeinschaft immer wieder vor Zerreißproben gestellt. Großer Schatten
über der religiös-politischen Gemengelage heute: der Konflikt im Nachbarland Syrien.
Der Vatikan hatte in dieser Woche das detaillierte Programm der Libanonreise vom kommenden
September vorgestellt. Doch ob der Papst den Libanon dieses Jahr überhaupt besuchen
kann, darüber ist sich der Islamexperte und gebürtige Libanese Ralph Ghadban gar nicht
so sicher. Anne Preckel traf den Migrationsforscher und Berater der Deutschen Islamkonferenz
in diesen Tagen in Berlin.
„Diesmal hat der Papstbesuch nicht eine lokale
libanesische Dimension, sondern eine nahöstliche Dimension: Es geht um die Präsenz
der Christen im Nahen Osten im Allgemeinen. Und der Libanon ist das einzige Land,
wo der Papst hinfahren kann, er kann nirgendwo anders hin. Der Libanon hat symbolische
Bedeutung: Er ist ein Land, wo Christen politisch noch eine relevante Position haben.
Daher besteht der Papst darauf, trotz der unsicheren Lage dorthin zu fahren. Aber
– ob er das tatsächlich tun wird, weiß man nicht, je nachdem, wie sich die Situation
bis dahin entwickelt. Das hängt sehr stark von der Situation in Syrien ab.“
„Es
geht um die Präsenz der Christen“
Welche Auswirkungen hat denn die
Syrienkrise bislang im Libanon gehabt? Infolge des Konfliktes im Nachbarland war ja
von Schießereien in Vororten von Tripolis zu hören...
„Diese Spannungen
gab es zwischen Sunniten und Schiiten, die Christen hatten damit nichts zu tun. Es
gab auch in Saida und Beirut Spannungen. Der Konflikt, der jetzt auf uns zukommt,
ist ein Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Und das ist viel gefährlicher als
die alten Konflikte, denn das sind ja wirklich die zwei großen Gemeinschaften im Libanon.“
Wie
geht die Kirche im Libanon damit um? Wie versucht sie vor dem Hintergrund, die christliche
Position im Land abzusichern bzw. zu stärken?
„Um aus der Misere herauszukommen,
hatte der damalige Patriarch der Maroniten, Kardinal Antonius II. Khoraiche [in diesem
Amt von 1975 bis 1994, Anm. d. Red.] etwas Entscheidendes gemacht: Er hat die Versöhnung
mit den Drusen realisiert, die wie die Maroniten auf dem Berg im Herzen des Libanon
sitzen. Das ist schon ein sehr wichtiger Schritt gewesen, um sich abzusichern, weil
die Drusen genau wie die Christen eine bedrohte Minderheit sind. Das war die Basis
für die spätere Versöhnung mit den Sunniten, als Rafic Hariri seine Position geändert
hat - Hariri war ja nur am Anfang mit Syrien verbunden, es gab das Bündnis zwischen
Saudi-Arabien und Syrien für die Situation im Libanon. Kurz vorher, im Jahr 1997,
war Johannes Paul II. in den Libanon gekommen; die Versöhnung fand dann im Jahr 2000
statt.“
Würden Sie sagen, dass der jetzige Patriarch Bechara Rai diese
Linie fortsetzt?
„In der jetzigen Lage haben wir eine andere Situation.
Der neue Patriarch hat andere Vorstellungen davon, mit wem er paktieren soll... Rai
hat versucht, einen Mittelweg zu finden und Versöhnung voranzutreiben, indem er eine
Annäherung zu Hisbollah eingeleitet hat.“
Johannes
Paul II. besuchte den Libanon im Jahr 1997
Sie haben den Besuch von
Papst Johannes Paul II. angesprochen, der ja ein Paar Jahre nach dem Bürgerkrieg ins
Land kam. Der Heilige Stuhl hatte sich zuvor mehrfach für eine Beendigung des Bürgerkrieges
eingesetzt und in dem Kontext auch an die Christen appelliert. Welche Bedeutung hatte
der Besuch von Benedikts Vorgänger damals für die Christen im Libanon?
„Papst
Johannes Paul II. ist damals in den Libanon gekommen, um die Position der Christen
im Land zu stärken: Unter der syrischen Herrschaft saßen die Führer der Christen entweder
im Gefängnis oder waren im Ausland, und die durch die Syrer ausgewählten Führer vertraten
die Christen nicht. Sie haben eine neue politische Führung installiert, die in ihrem
Dienste stand. Daher waren die Christen total verlassen und verließen selbst auch
das Land. Der Papst wollte ihre Präsenz stärken, gegen die syrische Herrschaft, wenn
man so will. Und mit Erfolg – der Besuch hat die Leute inspiriert und ihre Position
gestärkt. Nicht nur die Christen, sondern auch Muslime, vor allem unter den Sunniten.
Und er hat indirekt dazu beigetragen, dass im Jahre 2005 Syrien aus dem Libanon vertrieben
wurde.“
18 Religionsgemeinschaften sind im Libanon offiziell anerkannt,
dann gibt es noch Minderheiten, die keine politische Vertretung haben, weil sie zu
klein sind. In kaum einem Land der Welt leben so viele Religionen auf so kleiner geographischer
Fläche. Die Worte Johannes Pauls II. „Der Libanon hat eine Mission“ haben damals auch
viele Muslime bewegt, heißt es. Können Sie das bestätigen?
„Das Zusammenleben
wurde damals durch den Besuch des Papstes unterstützt, er hat einen großen Eindruck
bei den Muslimen hinterlassen. Es stellt sich im Libanon sehr intensiv die Frage:
Wie kann man das Zusammenleben in der Vielfalt organisieren? Der Besuch des Papstes
hat das unterstützt, sein Slogan hat das bis heute unterstützt, aber er wird von bestimmten
Leuten nicht eingehalten. Und weiter sind die Christen auch untereinander nicht einig,
das ist das Hauptproblem. Und diese Zerstrittenheit führt – zusätzlich zu der Position
von bestimmten Gruppen, die den Anteil der Christen an der Gesellschaft und der Politik
wegnehmen wollen – dazu, dass ihre Gesamtposition geschwächt wird und dass sie das
Land verlassen.“
„Die Christen sind gespalten“
Woher
rührt denn diese Uneinigkeit der Christen im Libanon?
„Die Christen haben
den Bürgerkrieg eigentlich verloren. Und sie haben im Jahr 1985 durch den Kampf zwischen
den beiden Maroniten Michel Aoun [Anm. d. Red.: libanesischer Offizier und Politiker,
unterstützt heute Najib Mikati] und Samir Geagea [Anm. d. Red.: Vorsitzende der rechtsorientierten
Miliz Forces Libanaises FL] eine Art kollektiven Selbstmord begangen. Und seitdem
haben sie keine politische Relevanz mehr. Nach 1990 hatten wir die direkte Herrschaft
der Syrer, und die Syrer haben systematisch daran gearbeitet, dass die Christen verdrängt
werden. Sie haben die politische Führung geköpft, haben Agenten geholt, die nicht
die Konfessionen vertreten, und politisch gesehen haben sie den Sunniten und Schiiten,
also den mit ihnen verbündeten Muslimen, freie Hand gegeben.“ Und wie ging
es für die Christen nach der syrischen Okkupation weiter?
„Nachdem die Syrer
vertrieben wurden, hat die Spaltung der Christen zwischen Aoun und Geagea weiterbestanden.
Und Aoun, der behauptete, die Christen zu vertreten, hat mit der Hisbollah ein Bündnis
unterschrieben. Und die anderen, das ist die Gruppe vom 8. März, sind mit den Leuten
von Hariri verbündet, der Gruppe vom 14. März. Diese zwei Gruppen werden auf der einen
Seite von den Schiiten und auf der anderen Seite von den Sunniten angeführt. Und die
Christen sind zwischen beiden gespalten, sie sind so eine Art Accessoire. Sie spielen
keine wichtige Rolle mehr wie vor dem Bürgerkrieg, sie haben keine politische Relevanz
mehr als Gründungselement des Landes, was sie ja früher waren. Wenn sie sich einigen,
können sie etwas erreichen und bewegen, aber das schaffen sie nicht. Im Grunde brauchen
ihre Feinde nur darauf warten, dass sie sich selbst vernichten...“
„Von
wegen politische Mitsprache“
Das hört sich nach großer Uneinigkeit,
aber auch nach Diskriminierung an. Aber ist den Christen durch das konfessionelle
politische System im Libanon nicht die politische Mitsprache gesichert?
„Im
Abkommen von Taif [vom 22.10.1989, das den libanesischen Bürgerkrieg beendete, Anm.
d. Red.] wurde beschlossen, dass die Besetzung der politischen Ämter und der Verwaltung
durch jeweils 50 Prozent Muslime und 50 Prozent Christen geregelt ist. Sie haben aber
die Macht des Staatspräsidenten, also des Christen, auf die zwei anderen Sitze verteilt,
auf den Parlamentspräsidenten, einen Schiiten, und auf den Premierminister, einen
Sunniten. Daher hatten wir unter der syrischen Herrschaft eine ,Troika‘-Führung: es
gab keinen Kopf mehr. Und das passte den Syrern, denn wenn es keinen Kopf mehr gibt,
ist ja die syrische Macht die Referenz. Daher rannten die drei Präsidenten ständig
nach Damaskus, bei jedem kleinen Konflikt waren sie alle dort beim realen Inhaber
der Macht.“
Was folgern Sie daraus?
„Das zeigt, dass das Taif-Abkommen
nicht richtig umgesetzt wurde! Zweitens wurde es in der Verwaltung nicht realisiert:
Der Anteil der Christen in der Verwaltung ist von 43 Prozent im Jahre 1990 auf 15
Prozent im Jahre 2010 zurückgegangen. Wenn man bedenkt, dass der Staat der Hauptarbeitgeber
im Land ist für den Lebensunterhalt, dann braucht man diese Posten. Diese Christen
sind jetzt draußen, die jungen Leute haben eine Möglichkeit weniger und verlassen
das Land.“
Wie sieht es denn demographisch heute mit dem Anteil der Christen
im Libanon aus?
„Mit dem Einbürgerungsdekret von 1994 wurden zwischen 200.000
und 300.000 Menschen eingebürgert, das waren zu 80 bis 90 Prozent Muslime. Das hat
die ganze Struktur des Landes endgültig geändert. Die Christen haben nie, nie mehr
ein Chance – selbst wenn sie aus dem Ausland zurückkehren, was ausgeschlossen ist
, wieder eine Mehrheit zu bilden. Das ist ein Zustand, den man verinnerlichen und
als Ausgangsbasis jeder Überlegung benutzen muss: Christen sind jetzt eine Minderheit
im Land, ihre Zahl variiert je nach Angabe zwischen 29 und 32 Prozent der Bevölkerung.
Vor dem Bürgerkrieg waren sie noch 51 Prozent.“
„Wer sein Eigentum
verkauft, existiert im Libanon nicht mehr“
Viele Christen mussten auch
ihr Hab und Gut verkaufen müssen, so hört man. Vor allem im Hisbollah-dominiserten
Süden des Landes kann man Christen an einer Hand abzählen.
„Das ist ein
großes Problem, weil die Muslime systematisch die Ländereien der Christen kaufen.
Wir haben zwei Phasen gehabt: Unter der syrischen Herrschaft war der Hauptkäufer Hariri
selbst, überall hat er gekauft. Jetzt sind die Hauptkäufer die Schiiten, vor allem
im Südlibanon. Dort wird es bald keine Christen mehr geben: Die verkaufen ihr Land
und es werden Summen geboten, die über den Marktpreisen liegen, wirklich Wucherpreise,
damit die Interessenten das Land kaufen können. Und das ist in beiden Fällen organisiert,
es stehen Länder dahinter, Saudi-Arabien und dann der Iran. Wer sein Eigentum verkauft,
existiert dort nicht mehr und geht weg. Meiner Familie ist es ähnlich ergangen.“
Kommen
wir zum Besuch Benedikt XVI. im Libanon zurück. Welche Botschaft kann der Papst vor
diesem Hintergrund an das Land und insbesondere an die Christen richten?
„Dem
Vatikan geht es um Öffnung, das ist die Garantie für das Zusammenleben. Es geht um
Öffnung und Kooperation mit den Muslimen, aber gleichzeitig um Menschenrechte, dass
Christen eben Bürger wie alle anderen werden, das ist der Einsatz des Heiligen Stuhles.
Und der Besuch des Papstes ist in diesem Sinne zu verstehen.“
Und
wie wird der Papstbesuch wohl von der politischen Führung aufgenommen werden? Meinen
Sie, es könnten gar Taten folgen, die in Richtung Öffnung, Kooperation und Gleichberechtigung
der Religionen gehen oder ist das unrealistisch?
„Ich weiß nicht, ob die
Politik des Landes diesem Besuch eine große Bedeutung beimessen wird. Beim Besuch
Johannes Pauls im Jahr 1997 waren viele Parteien daran interessiert, in seinem Besuch
einen Akt der Opposition zur syrischen Besatzung zu sehen. Aber jetzt ist das Interesse
der Nicht-Christen an der Existenz der Christen so gering, denen ist es egal, ob sie
bleiben oder gehen.“